bedrängt ist. All das Laute, was in den Bildern
Noldes oft liegt, wurde hier in der Kirche zu
einem großen vokalisch«vollen Abgesang, in
dem das Zärtliche inbrünstig wurde, alles Wilde
ernst und erdhaft, alle Beschattung zur Glut
drängte — und das farbige Übermaß wieder zur
Kühle leitete.
Diese Aufstellung wirkte so überzeugend, daß
sie selbstverständlich erschien. Wenn dennoch
mit — eigentlich unnötigem — Nachdruck hier
darauf verwiesen ist, geschieht es nur, um sie
gegenüber lokaler Verständnislosigkeit oder
mutloser Halbzustimmung mit aller Bestimmt«
heit als eine Lösung anzusprechen. Und im
übrigen — spielt man nicht Reger in Kirchen«
konzerten? Warum sollte man keine Noldebilder
in Kirchen hängen? With
VOM MANNHEIMER KUNSTLEBEN. In
dem hier für Ausstellungszwecke geschaffenen
provisorischen Anbau der städtischen Kunst«
halle ist gegenwärtig die Kollektiv«Ausstellung
Alexander von Jawlensky zur Schau ge«
stellt, welche vor einiger Zeit auch in Wies«
baden und Barmen die allgemeine Aufmerk«
samkeit auf sich zog. Die größeren Ölbilder,
meist früheren Datums, sind in einem Vorraum
von weiten und lichten Verhältnissen sehr gün«
stig, ja beinahe effektvoll zur Aufhängung ge«
bracht. Die starkfarbigen Köpfe und Halb«
figuren klingen zu einem halb barbarisch«exo«
tisch, halb feierlich«übersinnlich wirkenden
Choral zusammen, einem Klanggcbilde, hinter
dem der Wissende immer deutlicher jene alte
byzantinisch«russische Urmelodie erfühlt, die
als eine verborgene Überlieferung in Blut und
Geist dieses östlichen Künstlers fortzuwirken
scheint und in den länglichen Köpfen seiner
letzten Schaffenszeit immer erkennbarer her«
vortritt. Wichtiger noch als diese fremdartig«
phantastischen Ausdrucksköpfe muten uns die
in einer Reihe von Kojen wirksam aufgehängten
kleinen Ölbilder an, in denen erst Jawlenskys
versonnene und beharrliche Eigenart ganz un«
vergleichlich wird. Es handelt sich um die be«
kannte umfassende Reihenfolge von Köpfen,
die alle in derselben formelhaftemathematischen
Kurzschrift abgefaßt sind und die daher für
einen oberflächlichen Betrachter sich zu ähneln
scheinen wie ein Ei dem andern. Was aber für
diesen Oberflächlichen als eintönige Wieder«
holung derselben Hieroglyphen wirkt, enthüllt
sich für das Auge des empfänglichen und
willigen Kunstfreundes immer mehr als eine un«
endlich reiche Folge von Abstufungen verschie«
denster geistig«seelischer Grundverhaltungs«
weisen, enthüllt sich als knappste Formulierung
entgegengesetzter Seelenverfassungen, die nur
äußerlich mit den gleichen formalen Mitteln
ausgedrückt sind. Es ist notwendig, solche
Bilder nicht mit dem sinnlichen, sondern mit
dem geistigen Auge zu schauen, nicht mit dem
Verstände sie denkend zu zergliedern, sondern
sie gleichsam in einem religiösen Versenkungs«
zustand zu »meditieren«. Wie feierliche Altar«
bilder, Ikonen hat denn auch der Künstler die
kleinen Gemälde in Silber und Gold gerahmt
und am liebsten möchte man sie noch mit einem
Vorhang bedecken, den man nur in Stunden
der Sammlung zu lüften wünscht. Für die Hast
und Eile, für das vorschnelle raschfertige Urteil
des heutigen sonntäglichen Publikums ist der
Zugang zu dieser Kunst freilich dreifach ver«
schlossen und nicht eben viele sind es, die ohne
das helfende Wort diesen Zugang finden. Schon
eher werden die sogenannten »Variationen«
verstanden, die in der Ausstellung sehr wir«
kungsvoll zwischen den genannten »Seelen«
bildnissen« verteilt sind. Hier werden — von
weitem etwa an die Art Kandinskys und Klees
erinnernd — letzte Farbklangerinnerungen,land«
schaftliche Erlebnisse zu ganz freien Harmonien
zusammengefügt, die als solche nichts mehr mit
dem Gegenstand in der Natur zu tun haben.
Dennoch genügen ein paar suggestive Unter«
Schriften wie »Schneeflocken«, »Strenger
Winter«, um den Beschauer stimmungsmäßig
auf den richtigen Weg zu bringen, der ihn zur
Enträtselung der farbigen Symbole hinführt. In
der Tat gehören diese Variationen zu dem Koste
barsten und Reifsten, was die abstrakte Kunst
der letzten 10 Jahre in Europa hervorgebracht
hat. In jedem Blatt sind Stimmungs« und Ge«
fühlswerte von größter Macht und Allgemein«
gültigkeit zusammengedrängt. Auf engem Raum
ist viel mehr gesagt, als die meisten Maler auf
großen Leinwänden einzufangen vermögen.
Gleichzeitig mit der Ausstellung des russischen
Künstlers bringt die Kunsthalle noch eine große
Schau von Gemälden des Holsteiners Emil
Nolde. Dem Alter und dem allgemeinen, durch
die Generation bedingten Kunstwollen nach,
18
Noldes oft liegt, wurde hier in der Kirche zu
einem großen vokalisch«vollen Abgesang, in
dem das Zärtliche inbrünstig wurde, alles Wilde
ernst und erdhaft, alle Beschattung zur Glut
drängte — und das farbige Übermaß wieder zur
Kühle leitete.
Diese Aufstellung wirkte so überzeugend, daß
sie selbstverständlich erschien. Wenn dennoch
mit — eigentlich unnötigem — Nachdruck hier
darauf verwiesen ist, geschieht es nur, um sie
gegenüber lokaler Verständnislosigkeit oder
mutloser Halbzustimmung mit aller Bestimmt«
heit als eine Lösung anzusprechen. Und im
übrigen — spielt man nicht Reger in Kirchen«
konzerten? Warum sollte man keine Noldebilder
in Kirchen hängen? With
VOM MANNHEIMER KUNSTLEBEN. In
dem hier für Ausstellungszwecke geschaffenen
provisorischen Anbau der städtischen Kunst«
halle ist gegenwärtig die Kollektiv«Ausstellung
Alexander von Jawlensky zur Schau ge«
stellt, welche vor einiger Zeit auch in Wies«
baden und Barmen die allgemeine Aufmerk«
samkeit auf sich zog. Die größeren Ölbilder,
meist früheren Datums, sind in einem Vorraum
von weiten und lichten Verhältnissen sehr gün«
stig, ja beinahe effektvoll zur Aufhängung ge«
bracht. Die starkfarbigen Köpfe und Halb«
figuren klingen zu einem halb barbarisch«exo«
tisch, halb feierlich«übersinnlich wirkenden
Choral zusammen, einem Klanggcbilde, hinter
dem der Wissende immer deutlicher jene alte
byzantinisch«russische Urmelodie erfühlt, die
als eine verborgene Überlieferung in Blut und
Geist dieses östlichen Künstlers fortzuwirken
scheint und in den länglichen Köpfen seiner
letzten Schaffenszeit immer erkennbarer her«
vortritt. Wichtiger noch als diese fremdartig«
phantastischen Ausdrucksköpfe muten uns die
in einer Reihe von Kojen wirksam aufgehängten
kleinen Ölbilder an, in denen erst Jawlenskys
versonnene und beharrliche Eigenart ganz un«
vergleichlich wird. Es handelt sich um die be«
kannte umfassende Reihenfolge von Köpfen,
die alle in derselben formelhaftemathematischen
Kurzschrift abgefaßt sind und die daher für
einen oberflächlichen Betrachter sich zu ähneln
scheinen wie ein Ei dem andern. Was aber für
diesen Oberflächlichen als eintönige Wieder«
holung derselben Hieroglyphen wirkt, enthüllt
sich für das Auge des empfänglichen und
willigen Kunstfreundes immer mehr als eine un«
endlich reiche Folge von Abstufungen verschie«
denster geistig«seelischer Grundverhaltungs«
weisen, enthüllt sich als knappste Formulierung
entgegengesetzter Seelenverfassungen, die nur
äußerlich mit den gleichen formalen Mitteln
ausgedrückt sind. Es ist notwendig, solche
Bilder nicht mit dem sinnlichen, sondern mit
dem geistigen Auge zu schauen, nicht mit dem
Verstände sie denkend zu zergliedern, sondern
sie gleichsam in einem religiösen Versenkungs«
zustand zu »meditieren«. Wie feierliche Altar«
bilder, Ikonen hat denn auch der Künstler die
kleinen Gemälde in Silber und Gold gerahmt
und am liebsten möchte man sie noch mit einem
Vorhang bedecken, den man nur in Stunden
der Sammlung zu lüften wünscht. Für die Hast
und Eile, für das vorschnelle raschfertige Urteil
des heutigen sonntäglichen Publikums ist der
Zugang zu dieser Kunst freilich dreifach ver«
schlossen und nicht eben viele sind es, die ohne
das helfende Wort diesen Zugang finden. Schon
eher werden die sogenannten »Variationen«
verstanden, die in der Ausstellung sehr wir«
kungsvoll zwischen den genannten »Seelen«
bildnissen« verteilt sind. Hier werden — von
weitem etwa an die Art Kandinskys und Klees
erinnernd — letzte Farbklangerinnerungen,land«
schaftliche Erlebnisse zu ganz freien Harmonien
zusammengefügt, die als solche nichts mehr mit
dem Gegenstand in der Natur zu tun haben.
Dennoch genügen ein paar suggestive Unter«
Schriften wie »Schneeflocken«, »Strenger
Winter«, um den Beschauer stimmungsmäßig
auf den richtigen Weg zu bringen, der ihn zur
Enträtselung der farbigen Symbole hinführt. In
der Tat gehören diese Variationen zu dem Koste
barsten und Reifsten, was die abstrakte Kunst
der letzten 10 Jahre in Europa hervorgebracht
hat. In jedem Blatt sind Stimmungs« und Ge«
fühlswerte von größter Macht und Allgemein«
gültigkeit zusammengedrängt. Auf engem Raum
ist viel mehr gesagt, als die meisten Maler auf
großen Leinwänden einzufangen vermögen.
Gleichzeitig mit der Ausstellung des russischen
Künstlers bringt die Kunsthalle noch eine große
Schau von Gemälden des Holsteiners Emil
Nolde. Dem Alter und dem allgemeinen, durch
die Generation bedingten Kunstwollen nach,
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