ler und Spitteier; der welsche und französische
Gefühlskreis ist es, aus dem heraus die Forde?
rung kommt, nicht bei einmal abgestempelten
Größen stehen zu bleiben, die Kunst immer wie?
der lebendig zu erleben. EduardKorrodi war
es dann, der der Schweizer Literatur deutlich
zugerufen hat, daß sie nicht bei Gottfried Keller
stehen bleiben dürfe, daß sie aus ihrem Seldwyla?
tum und Alpenidyll heraus und in eine neue,
weitere Welt hinein müsse, um schweizerisch im
besseren Sinne zu werden, und gerade solche
Kritik schöpft ihre Kraft nicht zuletzt aus dem
so gar nicht in sich versponnenen, ewig sich
umwandelnden französischen Charakter. Unter
dem Eindruck solcher Gesinnung und Erwar?
tung ist auch soeben eine Stiftung in Zürich zu?
stände gekommen, die nicht irgend einer anti?
quierten und familienbehaglichen Sache dienen
soll, sondern der Förderung der jungen Schwei?
zer Literatur: der von dem Züricher Martin
Bodmer gestiftete GottfriedKeller?Preis,der
alles wirklich Lebendige des Schweizer Schrift?
tums auszeichnen wird. Es soll nicht ver?
schwiegen werden, daß am Zustandekommen
dieser Stiftung die Unzufriedenheit mit gewis?
sen doktrinären Einflüssen in den Kuratorien
berühmter deutscher Stiftungen mitgesprochen
hat, Einflüsse, die die wahrhaft weltbürgerliche
Schweiz nach dem Kriege nicht mehr ertragen
mag. Äußerlich ist das Leben Europas überall,
nur nicht in der Schweiz im Fluß, in einer bedeu?
tungsvollen Wandlung; tiefer gesehen verbürgt
die Befruchtung, der die Schweiz aus deutschem
und welschem Geist und Geisteskampf ausge?
setzt bleibt, eine ständige Umwandlung, aber
auch zugleich eine weniger schmerzliche Erhal?
tung des europäischen Kulturideals.
Waldemar Jollos
ZUR ZEITGESCHICHTE
DAS HOLLANDINSTITUT AN DER
FRANKFURTER UNIVERSITÄT. Wie oft
haben wir nicht zu hören bekommen, daß der
Handel die Völker einander näher bringe, daß
wirtschaftlicher Verkehr zum gegenseitigen Ver?
ständnis und zu gegenseitiger Würdigung führe!
Der Krieg und alles, was darauf gefolgt ist, haben
gezeigt, daß dieser Satz doch nur eine sehr be?
dingte Richtigkeit hat. Wenn man auch sagen
kann, daß heute manches anders wäre, wenn
nach dem Kriege sofort überall der freie Handel
wieder eingeführt worden wäre, so läßt sich doch
nicht leugnen, daß vor dem Kriege der inter?
nationale Handelsverkehr stellenweise ein Maxi?
mum an Intensität erreicht hatte. Und trotzdem
haben die Völker sich gegenseitig nicht gewür?
digt. Ja, man hat feststellen müssen, daß selbst
bei so verwandten Völkern wie dem deutschen
und dem niederländischen vielfach auf beiden
Seiten Mißverständnisse und Verkennung von
Tatsachen bestanden haben und noch bestehen,
die weitgehende Folgen gehabt haben.
Wie kann es aber kommen, daß Holländer und
Deutsche durch soviele Bande des Handels, des
Reiseverkehrs, des Austauschs geistiger Güter
verbunden voneinander so unklare und oft un?
wichtige Anschauungen besitzen? Der Grund
hierfür liegt darin, daß trotz dieses starken Ver?
kehrs beide Völker sich innerlich nicht gekannt
haben. Es ist schließlich nicht verwunderlich,
daß der beste deutsche Kaufmann sich nicht
von selbst klar darüber wird, welchen Einfluß
der Calvinismus auf die holländische Staatsidee
gehabt hat, wenn er auch noch so oft in Holland
gereist ist. Und der gescheiteste holländische
Lehrer, der in Deutschland studierte, konnte die
deutsche Psyche nicht kennen, wenn er nicht
Einblick gewonnen hat in das Leben der deut?
sehen Arbeitermassen in den Bezirken des
Kohlenbergbaus.
Alle Kenntnis des Nachbarlandes war bei bestem
Willen einseitig. Ein allgemeines Verständnis der
Psyche des Nachbarvolkes bekamen nur die
wenigen, die mit Willen danach suchten.
Es ist Hollands Stolz stets gewesen, daß es die
andern Völker immer als Ganzes gewürdigt hat.
Nirgends auf der Welt ist die Vorurteilslosig?
keit in nationaler Beziehung bewußter durch?
geführt worden als in diesem Land, und auch
außerhalb der Grenzen der Niederlande haben
die Holländer stets ein verbindendes Element
zwischen den Völkern dargestellt. Der Völker?
haß ist dem Holländer etwas Wesensfremdes, und
wo er auftrat, ist er von niederländischer Seite
womöglich stets bekämpft worden.
So ist es nicht zu verwundern, daß die Hol?
länder es als die beste Propaganda für ihr
Land gehalten haben, den fremden Völkern
Kenntnis ihres Landes und ihres Volkes zu
bringen. Keine Schönfärberei, keine »Presse?
Propaganda« im schlechten (Kriegs?) Sinne,
30
Gefühlskreis ist es, aus dem heraus die Forde?
rung kommt, nicht bei einmal abgestempelten
Größen stehen zu bleiben, die Kunst immer wie?
der lebendig zu erleben. EduardKorrodi war
es dann, der der Schweizer Literatur deutlich
zugerufen hat, daß sie nicht bei Gottfried Keller
stehen bleiben dürfe, daß sie aus ihrem Seldwyla?
tum und Alpenidyll heraus und in eine neue,
weitere Welt hinein müsse, um schweizerisch im
besseren Sinne zu werden, und gerade solche
Kritik schöpft ihre Kraft nicht zuletzt aus dem
so gar nicht in sich versponnenen, ewig sich
umwandelnden französischen Charakter. Unter
dem Eindruck solcher Gesinnung und Erwar?
tung ist auch soeben eine Stiftung in Zürich zu?
stände gekommen, die nicht irgend einer anti?
quierten und familienbehaglichen Sache dienen
soll, sondern der Förderung der jungen Schwei?
zer Literatur: der von dem Züricher Martin
Bodmer gestiftete GottfriedKeller?Preis,der
alles wirklich Lebendige des Schweizer Schrift?
tums auszeichnen wird. Es soll nicht ver?
schwiegen werden, daß am Zustandekommen
dieser Stiftung die Unzufriedenheit mit gewis?
sen doktrinären Einflüssen in den Kuratorien
berühmter deutscher Stiftungen mitgesprochen
hat, Einflüsse, die die wahrhaft weltbürgerliche
Schweiz nach dem Kriege nicht mehr ertragen
mag. Äußerlich ist das Leben Europas überall,
nur nicht in der Schweiz im Fluß, in einer bedeu?
tungsvollen Wandlung; tiefer gesehen verbürgt
die Befruchtung, der die Schweiz aus deutschem
und welschem Geist und Geisteskampf ausge?
setzt bleibt, eine ständige Umwandlung, aber
auch zugleich eine weniger schmerzliche Erhal?
tung des europäischen Kulturideals.
Waldemar Jollos
ZUR ZEITGESCHICHTE
DAS HOLLANDINSTITUT AN DER
FRANKFURTER UNIVERSITÄT. Wie oft
haben wir nicht zu hören bekommen, daß der
Handel die Völker einander näher bringe, daß
wirtschaftlicher Verkehr zum gegenseitigen Ver?
ständnis und zu gegenseitiger Würdigung führe!
Der Krieg und alles, was darauf gefolgt ist, haben
gezeigt, daß dieser Satz doch nur eine sehr be?
dingte Richtigkeit hat. Wenn man auch sagen
kann, daß heute manches anders wäre, wenn
nach dem Kriege sofort überall der freie Handel
wieder eingeführt worden wäre, so läßt sich doch
nicht leugnen, daß vor dem Kriege der inter?
nationale Handelsverkehr stellenweise ein Maxi?
mum an Intensität erreicht hatte. Und trotzdem
haben die Völker sich gegenseitig nicht gewür?
digt. Ja, man hat feststellen müssen, daß selbst
bei so verwandten Völkern wie dem deutschen
und dem niederländischen vielfach auf beiden
Seiten Mißverständnisse und Verkennung von
Tatsachen bestanden haben und noch bestehen,
die weitgehende Folgen gehabt haben.
Wie kann es aber kommen, daß Holländer und
Deutsche durch soviele Bande des Handels, des
Reiseverkehrs, des Austauschs geistiger Güter
verbunden voneinander so unklare und oft un?
wichtige Anschauungen besitzen? Der Grund
hierfür liegt darin, daß trotz dieses starken Ver?
kehrs beide Völker sich innerlich nicht gekannt
haben. Es ist schließlich nicht verwunderlich,
daß der beste deutsche Kaufmann sich nicht
von selbst klar darüber wird, welchen Einfluß
der Calvinismus auf die holländische Staatsidee
gehabt hat, wenn er auch noch so oft in Holland
gereist ist. Und der gescheiteste holländische
Lehrer, der in Deutschland studierte, konnte die
deutsche Psyche nicht kennen, wenn er nicht
Einblick gewonnen hat in das Leben der deut?
sehen Arbeitermassen in den Bezirken des
Kohlenbergbaus.
Alle Kenntnis des Nachbarlandes war bei bestem
Willen einseitig. Ein allgemeines Verständnis der
Psyche des Nachbarvolkes bekamen nur die
wenigen, die mit Willen danach suchten.
Es ist Hollands Stolz stets gewesen, daß es die
andern Völker immer als Ganzes gewürdigt hat.
Nirgends auf der Welt ist die Vorurteilslosig?
keit in nationaler Beziehung bewußter durch?
geführt worden als in diesem Land, und auch
außerhalb der Grenzen der Niederlande haben
die Holländer stets ein verbindendes Element
zwischen den Völkern dargestellt. Der Völker?
haß ist dem Holländer etwas Wesensfremdes, und
wo er auftrat, ist er von niederländischer Seite
womöglich stets bekämpft worden.
So ist es nicht zu verwundern, daß die Hol?
länder es als die beste Propaganda für ihr
Land gehalten haben, den fremden Völkern
Kenntnis ihres Landes und ihres Volkes zu
bringen. Keine Schönfärberei, keine »Presse?
Propaganda« im schlechten (Kriegs?) Sinne,
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