sönlichen Anschauung, gründlich satt, verträgt
sie nicht mehr, die ewig widergekäute Masse.
Uhde und Rousseau waren nicht nur bekannt,
sondern Freunde. Uhde kannte zwar den Domes
Kreis sogar so gut, daß er sich über sein ver«
kapseltes Innenlebenmit viel Berechtigunglustig
machen konnte (in seinem hübschen flüssigen
Pariser Roman: Die Freundschaften Fortunats).
Aber er führte doch ein ziemlich abseitiges Le«
ben im Paris derVorkriegszeit. Erhielt sich auch an
wahrePariser und hat von ihnen gelernt, was man
weder in der Abbaye de Thelem, noch im Ciro
oderinder Bar Fischer,weder bei Henry, noch auf
den Sitzen vor dem Cafe de la Paix lernen kann.
Die wenigen Klugen machten es alle so, und
während die Snobs der deutschen Botschaft bei
der Internationalen Crapule verkehrten, die »do«
miers« eng aneinander geschmiegt im Cafe du
Dome über Cezanne, seineÄpfel und deren Kon«
turen sprachen, immer und immer wieder, wäh«
rend Otto van Waetjen jeden Abend neun volle
Jahre hindurch die Wunder des balTabarin ge«
noß, fand Uhde die Freundschaft des douaniers.
Wozu soll man wiederholen, was in diesem hüb«
sehen, zarten Buch steht? Man konstatiert nur,
daß man daraus ganz von selbst in eine alte be«
kannte cajolierende Stimmung getragen wird,
die längst vorbei ist. Man atmet das Paris von
damals, weniger das, was man davon auf den
Boulevards nach dem Winter gesehen hat, als
die Luft der Fortifikations, der Faubourgs, der
Umgegend, Robinson, erlebt die kleinen Feste,
das ganze Paris des kleinen Mannes, die Welt
der concierges, denkt an die Gaiete Roche«
chouart, auf deren Brettern man Kaiser Wilhelm
mit seinem noble coeur gegen Bismarck ent«
scheiden hörte, daß Paris nicht zu beschießen sei.
Dieser große einfache Meister mit seinen typi«
sehen Bourgeois«Instinkten, der Pfiffigkeit und
Eitelkeit, der neben seinen Künstlerqualitäten
alle Untugenden seines Standes hatte (die so
sympathisch sind und sein Bild nicht abschwä«
chen) wirkt von heute gesehen unwahrschein«
lieh. Uhde beschreibt ihn ebenso liebevoll wie
wahrhaftig, er läßt nichts weg. Das ist sein
Talent. Er hätte auch keinen Grund bei der
Größe dieses Oeuvres, selbst wenn die heutige
Zeit weniger mit der Hemmungslosigkeit aller
Art von kleinen spitzbüberischen Veranla«
gungen kokettierte.
Er mag auch vielen wie ein kleinbürgerlicher
Don Quichotte erscheinen, das ist natürlich
gleichgültig bei seiner künstlerischen Leiden«
schäft.
Uhde mit seinen lebendigen Instinkten ver«
meidet es, eine Stilanalyse dieser Kunst zu geben.
Dem ist nur zu folgen, obwohl es eine verhält«
nismäßig frische Aufgabe wäre, die Elemente
dieser Kunst einmal bündig festzustellen, des«
halb, weil sie ganz aus dem Rahmen herausfällt,
weil sich Rousseau wie allein auch Seurat ganz
außerhalb der Entwicklungslinie, wie sie laufen
sollte und mußte, nach kunsttheoretischem Er«
messen, stellt. Uhde gibt dafür eine Menge
schönen Anschauungsmaterials, aus dem die
Frische dieses neuen Wesens, die Innigkeit (wenn
man dies durch Nazarener und anderes Gesindel,
auch expressionistisches diskreditierte Wort ver«
wenden darf) und die ungeheuere, starke, wenn
auch immer zarte Komik dieses Weltbildes
hervorkommt. Wie alle gute Kunst ist sie dabei
nüchtern in der Fülle, beziehungsreich, erken«
nend, aufschlußgebend. Man sehe sich z. B. die
»Fußballspieler«, an und man erkennt Frank«
reichs Auffassung vom Sport, oder die verschie«
densten Repräsentanten der petite bourgeoisie,
und man wird die Spießigkeit dieses Frankreich
fühlen, die von unserer Spießigkeit so weit ent«
fernt ist wie Pariser Kellner, Portiers und
Droschkenkutscher von den gleichen Berufs«
ständen in Magdeburg.
Rousseau ist eine Art biblische Erscheinung. Das
hat Uhde in seinem Buch sehr gut herausge«
bracht. Seine Kindlichkeit, Unberührtheit, Stille,
sein stilunbeeinflußbares kleines Leben, das alles
ist heute ein verschollenes Wunder.
Und dazu ist das schöne Buch lächerlich billig.
H. v. Wedderkop
»DAS BILD. ATLANTEN ZUR KUNST.«
Herausgegeben von Hausenstein. Band 1: Go«
tische Tafelmalerei; Band 2: Die Bildnerei der
Etrusker. (Mit 76 und 67 Abbildungen, Mün«
chen, R. Piper &. Co.) Der dieser neu beginnen«
den Bücherreihe zugrunde liegende Gedanke:
das heute besonders Wichtige aus der kunst«
geschichtlichen Welt uns so dicht wie möglich
vor Augen zu rücken (und zwar so, daß wir uns
damit auseinandersetzen müssen), bedarf kei«
ner besonderen Empfehlung oder Verteidigung.
Er ist unmittelbar aus unserer geistigen Situation
heraus erwachsen und wendet sich gegen die
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sie nicht mehr, die ewig widergekäute Masse.
Uhde und Rousseau waren nicht nur bekannt,
sondern Freunde. Uhde kannte zwar den Domes
Kreis sogar so gut, daß er sich über sein ver«
kapseltes Innenlebenmit viel Berechtigunglustig
machen konnte (in seinem hübschen flüssigen
Pariser Roman: Die Freundschaften Fortunats).
Aber er führte doch ein ziemlich abseitiges Le«
ben im Paris derVorkriegszeit. Erhielt sich auch an
wahrePariser und hat von ihnen gelernt, was man
weder in der Abbaye de Thelem, noch im Ciro
oderinder Bar Fischer,weder bei Henry, noch auf
den Sitzen vor dem Cafe de la Paix lernen kann.
Die wenigen Klugen machten es alle so, und
während die Snobs der deutschen Botschaft bei
der Internationalen Crapule verkehrten, die »do«
miers« eng aneinander geschmiegt im Cafe du
Dome über Cezanne, seineÄpfel und deren Kon«
turen sprachen, immer und immer wieder, wäh«
rend Otto van Waetjen jeden Abend neun volle
Jahre hindurch die Wunder des balTabarin ge«
noß, fand Uhde die Freundschaft des douaniers.
Wozu soll man wiederholen, was in diesem hüb«
sehen, zarten Buch steht? Man konstatiert nur,
daß man daraus ganz von selbst in eine alte be«
kannte cajolierende Stimmung getragen wird,
die längst vorbei ist. Man atmet das Paris von
damals, weniger das, was man davon auf den
Boulevards nach dem Winter gesehen hat, als
die Luft der Fortifikations, der Faubourgs, der
Umgegend, Robinson, erlebt die kleinen Feste,
das ganze Paris des kleinen Mannes, die Welt
der concierges, denkt an die Gaiete Roche«
chouart, auf deren Brettern man Kaiser Wilhelm
mit seinem noble coeur gegen Bismarck ent«
scheiden hörte, daß Paris nicht zu beschießen sei.
Dieser große einfache Meister mit seinen typi«
sehen Bourgeois«Instinkten, der Pfiffigkeit und
Eitelkeit, der neben seinen Künstlerqualitäten
alle Untugenden seines Standes hatte (die so
sympathisch sind und sein Bild nicht abschwä«
chen) wirkt von heute gesehen unwahrschein«
lieh. Uhde beschreibt ihn ebenso liebevoll wie
wahrhaftig, er läßt nichts weg. Das ist sein
Talent. Er hätte auch keinen Grund bei der
Größe dieses Oeuvres, selbst wenn die heutige
Zeit weniger mit der Hemmungslosigkeit aller
Art von kleinen spitzbüberischen Veranla«
gungen kokettierte.
Er mag auch vielen wie ein kleinbürgerlicher
Don Quichotte erscheinen, das ist natürlich
gleichgültig bei seiner künstlerischen Leiden«
schäft.
Uhde mit seinen lebendigen Instinkten ver«
meidet es, eine Stilanalyse dieser Kunst zu geben.
Dem ist nur zu folgen, obwohl es eine verhält«
nismäßig frische Aufgabe wäre, die Elemente
dieser Kunst einmal bündig festzustellen, des«
halb, weil sie ganz aus dem Rahmen herausfällt,
weil sich Rousseau wie allein auch Seurat ganz
außerhalb der Entwicklungslinie, wie sie laufen
sollte und mußte, nach kunsttheoretischem Er«
messen, stellt. Uhde gibt dafür eine Menge
schönen Anschauungsmaterials, aus dem die
Frische dieses neuen Wesens, die Innigkeit (wenn
man dies durch Nazarener und anderes Gesindel,
auch expressionistisches diskreditierte Wort ver«
wenden darf) und die ungeheuere, starke, wenn
auch immer zarte Komik dieses Weltbildes
hervorkommt. Wie alle gute Kunst ist sie dabei
nüchtern in der Fülle, beziehungsreich, erken«
nend, aufschlußgebend. Man sehe sich z. B. die
»Fußballspieler«, an und man erkennt Frank«
reichs Auffassung vom Sport, oder die verschie«
densten Repräsentanten der petite bourgeoisie,
und man wird die Spießigkeit dieses Frankreich
fühlen, die von unserer Spießigkeit so weit ent«
fernt ist wie Pariser Kellner, Portiers und
Droschkenkutscher von den gleichen Berufs«
ständen in Magdeburg.
Rousseau ist eine Art biblische Erscheinung. Das
hat Uhde in seinem Buch sehr gut herausge«
bracht. Seine Kindlichkeit, Unberührtheit, Stille,
sein stilunbeeinflußbares kleines Leben, das alles
ist heute ein verschollenes Wunder.
Und dazu ist das schöne Buch lächerlich billig.
H. v. Wedderkop
»DAS BILD. ATLANTEN ZUR KUNST.«
Herausgegeben von Hausenstein. Band 1: Go«
tische Tafelmalerei; Band 2: Die Bildnerei der
Etrusker. (Mit 76 und 67 Abbildungen, Mün«
chen, R. Piper &. Co.) Der dieser neu beginnen«
den Bücherreihe zugrunde liegende Gedanke:
das heute besonders Wichtige aus der kunst«
geschichtlichen Welt uns so dicht wie möglich
vor Augen zu rücken (und zwar so, daß wir uns
damit auseinandersetzen müssen), bedarf kei«
ner besonderen Empfehlung oder Verteidigung.
Er ist unmittelbar aus unserer geistigen Situation
heraus erwachsen und wendet sich gegen die
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