merts bekannte großlinige Frauenbüste stand
neben kleinen Holzplastiken von Hötger, an
deren Ursprünglichkeit man kaum noch glau«
ben konnte.
Die Kunstgewerbeausstellung, die der
Dürerbund Herbst 1920 im benachbarten Osna;
brück veranstaltete, gab einen guten Überblick
über das kunstgewerbliche Schaffen Niedersach«
sens. Glasmalerei, Messingsund Schmiedearbeit,
Brokats und Buchkunst waren zu kirchlicher
Verwendung in beiden Nachbarstädten seit je
heimisch. Keramiken, köstliche Handarbeiten
und Entwürfe lagen da von jungen Mädchen
und anderen, Senge und Röhr hatten Holzs
plastiken und Reliefs geschickt, die, wenn auch
tastend,auf verinnerlichte religiöseMonumenials
kunst ausgingen. Willi Tegtmeyer (Hamburg),
aus dem Sturm bekannt, zeigte Holzschnitte wie
»Großstadt« u. a., denselben Erlebnisquellen
entflossen wie KurtCorrinths »Potsdamer Platz«.
Die neue Düsseldorfer Dreimannwerkstätte
(Burmann, Peiner, Geßner) bot farbig gemalte
Wandteppiche.
Das Jahr 1921 brachte in erster Linie noch eine
Gesamtschau über Eberhard Viegeners
Schaffen. Hier sah man seine Bilder von Soest, die
auflodernden Bauernhäuser im Frühling, seine
sauerländischen Felsenlandschaften, die Pas«
sionsholzschnitte, trinkende, hackende, ziehen«
de Bauern, deren Leben der Künstler selbst wie
ein legendarischer Heiliger durchwandert. Ging
man aus diesen Räumen hinaus, so hing dort
die kostbare Leihgabe, die das Museum seit
kurzem besitzt: Breughels große Bauernkirmes.
Auch hier: Leben; Fressen, Saufen, Geschrei,
Bauerntanz —, aber alles doch (wie das dunkle
Rot im stumpfen Grün) seltsam durchwirkt von
erdenschwerer Tragik.
Denn so ist dieses Land, über das am Abend die
weiten schweren Nebel der Ebene sich legen:
Hier sind noch bäuerische Menschen, die oft
mit dem zweiten Gesicht das Leben hinter den
Dingen sehen. Am Tage klingen ihre schweren,
ungeschickten Sprachlaute aus grauen Häusern,
über Feldern. Aber dann ist auf einmal auch
wieder alles Glühen, Leben und Schönheit
unserer Zeit. Eine Fahrt durch das nächtliche
Industriegebietwestfalens, zwischen Rhein und
Ruhr, wiegt eine ganze Kunstausstellung auf.
Die lichtumringte Stadt (o unaussprechliches
Traumgrün der Signale!), die erglühenden Kör«
per der Hochöfen leuchten noch den geschlos«
senen Augen nach, die nach Osten gerichtet
sind, wo bald Soest, Siebengestirn der Türme
auf roter Erde, herübergrüßt. Aber auch gern
gedenkt man schon der herberen, entrückteren
Weise des Namens Münster, die näher und
näher klingt, wenn jetzt über dem welligen
Boden des unvergleichlichen Domplatzes noch
späte Schritte geistern, oder der Mond über den
Statuen, den Giebeln des Prinzipalmarkts, über
den Gründen des Schloßgartens aufwandert, o
schöne kommende Nacht.
Dr. Hermann Schauhoff
CHRONIK DES AUSLANDES
ITALIEN: VINCENZO CARDARELLI.
Unter den jungen italienischen Schriftstellern
von größerer Bedeutung ist Vincenzo Car«
darelli einer der wenigen, die beginnen, außer«
halb Italiens bekannt zu werden. Im Jahre 1919
veröffentlichte die Anglo Italian Review in
London Auszüge aus seinem Werke, seine Be«
deutung hervorhebend. The Di al tat vorigen
Herbst ähnliches und L’Esprit Nouveau,
Paris (5. Februar 1921) widmete ihm einen
ausführlichen Versuch, der mit vorzüglichen
Übersetzungen ausgestattet ist.
Vincenzo Cardarelli begann gegen 1911 die
Aufmerksamkeit der gebildeteren Leser durch
einige literarische Kritiken auf sich zu ziehen,
und 1916 behauptete ersieh entscheidend durch
die Prologhi (Verlag Studio Editorale Lom«
bardo Milano), ein Buch in Versen und Prosa.
Es folgte dann voriges Jahr Viaggi nel
Tempo (Verlag A. Vallecchi Firenze). Kaum
über 30 Jahre alt, leitet er die römische Zeit«
Schrift La Ronda, womit er in Gemein«
schäft einiger Freunde ein Zentrum künstle«
rischer Neuerungen geschaffen hat, indem er
an Hand der Geschichte und der Theorie die
junge italienische Literatur zur Schule der gro«
ßen Klassiker, vor allem zu Manzoni und Leo«
pardi führt. Damit hat er allerdings der futu«
ristischen und impressionistischen Mode einen
Todesstoß versetzt. Ein Resüme des Werkes und
der Absichten derSchriftsteller der Ronda dürfte
vielleicht nicht ohne Interesse für die Leser des
Feuer sein. Aber wir wollen heute unserem
an sich schon kurzen Überblick über die Kunst
Cardarellis keinen Raum entziehen.
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neben kleinen Holzplastiken von Hötger, an
deren Ursprünglichkeit man kaum noch glau«
ben konnte.
Die Kunstgewerbeausstellung, die der
Dürerbund Herbst 1920 im benachbarten Osna;
brück veranstaltete, gab einen guten Überblick
über das kunstgewerbliche Schaffen Niedersach«
sens. Glasmalerei, Messingsund Schmiedearbeit,
Brokats und Buchkunst waren zu kirchlicher
Verwendung in beiden Nachbarstädten seit je
heimisch. Keramiken, köstliche Handarbeiten
und Entwürfe lagen da von jungen Mädchen
und anderen, Senge und Röhr hatten Holzs
plastiken und Reliefs geschickt, die, wenn auch
tastend,auf verinnerlichte religiöseMonumenials
kunst ausgingen. Willi Tegtmeyer (Hamburg),
aus dem Sturm bekannt, zeigte Holzschnitte wie
»Großstadt« u. a., denselben Erlebnisquellen
entflossen wie KurtCorrinths »Potsdamer Platz«.
Die neue Düsseldorfer Dreimannwerkstätte
(Burmann, Peiner, Geßner) bot farbig gemalte
Wandteppiche.
Das Jahr 1921 brachte in erster Linie noch eine
Gesamtschau über Eberhard Viegeners
Schaffen. Hier sah man seine Bilder von Soest, die
auflodernden Bauernhäuser im Frühling, seine
sauerländischen Felsenlandschaften, die Pas«
sionsholzschnitte, trinkende, hackende, ziehen«
de Bauern, deren Leben der Künstler selbst wie
ein legendarischer Heiliger durchwandert. Ging
man aus diesen Räumen hinaus, so hing dort
die kostbare Leihgabe, die das Museum seit
kurzem besitzt: Breughels große Bauernkirmes.
Auch hier: Leben; Fressen, Saufen, Geschrei,
Bauerntanz —, aber alles doch (wie das dunkle
Rot im stumpfen Grün) seltsam durchwirkt von
erdenschwerer Tragik.
Denn so ist dieses Land, über das am Abend die
weiten schweren Nebel der Ebene sich legen:
Hier sind noch bäuerische Menschen, die oft
mit dem zweiten Gesicht das Leben hinter den
Dingen sehen. Am Tage klingen ihre schweren,
ungeschickten Sprachlaute aus grauen Häusern,
über Feldern. Aber dann ist auf einmal auch
wieder alles Glühen, Leben und Schönheit
unserer Zeit. Eine Fahrt durch das nächtliche
Industriegebietwestfalens, zwischen Rhein und
Ruhr, wiegt eine ganze Kunstausstellung auf.
Die lichtumringte Stadt (o unaussprechliches
Traumgrün der Signale!), die erglühenden Kör«
per der Hochöfen leuchten noch den geschlos«
senen Augen nach, die nach Osten gerichtet
sind, wo bald Soest, Siebengestirn der Türme
auf roter Erde, herübergrüßt. Aber auch gern
gedenkt man schon der herberen, entrückteren
Weise des Namens Münster, die näher und
näher klingt, wenn jetzt über dem welligen
Boden des unvergleichlichen Domplatzes noch
späte Schritte geistern, oder der Mond über den
Statuen, den Giebeln des Prinzipalmarkts, über
den Gründen des Schloßgartens aufwandert, o
schöne kommende Nacht.
Dr. Hermann Schauhoff
CHRONIK DES AUSLANDES
ITALIEN: VINCENZO CARDARELLI.
Unter den jungen italienischen Schriftstellern
von größerer Bedeutung ist Vincenzo Car«
darelli einer der wenigen, die beginnen, außer«
halb Italiens bekannt zu werden. Im Jahre 1919
veröffentlichte die Anglo Italian Review in
London Auszüge aus seinem Werke, seine Be«
deutung hervorhebend. The Di al tat vorigen
Herbst ähnliches und L’Esprit Nouveau,
Paris (5. Februar 1921) widmete ihm einen
ausführlichen Versuch, der mit vorzüglichen
Übersetzungen ausgestattet ist.
Vincenzo Cardarelli begann gegen 1911 die
Aufmerksamkeit der gebildeteren Leser durch
einige literarische Kritiken auf sich zu ziehen,
und 1916 behauptete ersieh entscheidend durch
die Prologhi (Verlag Studio Editorale Lom«
bardo Milano), ein Buch in Versen und Prosa.
Es folgte dann voriges Jahr Viaggi nel
Tempo (Verlag A. Vallecchi Firenze). Kaum
über 30 Jahre alt, leitet er die römische Zeit«
Schrift La Ronda, womit er in Gemein«
schäft einiger Freunde ein Zentrum künstle«
rischer Neuerungen geschaffen hat, indem er
an Hand der Geschichte und der Theorie die
junge italienische Literatur zur Schule der gro«
ßen Klassiker, vor allem zu Manzoni und Leo«
pardi führt. Damit hat er allerdings der futu«
ristischen und impressionistischen Mode einen
Todesstoß versetzt. Ein Resüme des Werkes und
der Absichten derSchriftsteller der Ronda dürfte
vielleicht nicht ohne Interesse für die Leser des
Feuer sein. Aber wir wollen heute unserem
an sich schon kurzen Überblick über die Kunst
Cardarellis keinen Raum entziehen.
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