Isenheimer Altar
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mäßige, allegorische oder typologische Verarbeitungen, Sittenbild»
mäßige Umsetzungen oder gedrängte Auszüge aus den Tatsachen der
Heiligenlegende, wie die Colmarer Madonna im Rosenhag von Schon»
gauer oder der Schnewlinaltar im Freiburger Münster (im Anschluß
an Dürers Madonna mit der Meerkatze), sind, namentlich im Herzstück
eines Hochaltars, äußerst selten. Man hat hier bei unserm Bilde ver»
gleichsweise von der Madonna im Rosengarten gesprochen.
Die Bezeichnung ist aber sicher verfehlt; denn abgesehen von den
blutroten Rosen rechts von der Mittelgruppe, die natürlich ihre tief»
symbolische Bedeutung haben, erinnert nichts an einen Rosengarten.
Betrachtet man im Mittelgründe den geschlossenen Zug der mehrfach
abgetreppten Mauer, die links mit der Pforte einsetzt und rechts sich
im Bildrande verliert, so erscheint es viel richtiger, von der M a»
donna im verschlossenen Garten zu sprechen. Es ist das
im Mittelalter immer wiederkehrende Sinnbild des hortus conclusus
und der porta clausa, vielleicht fügt sich rechts im Hintergründe der
blaue stille See als fons signatus, altes Symbol der jungfräulichen
Mutter, dieser Vorstellungsreihe sinngemäß ein.
Lange hat die Oertlichkeit richtig als hortus conclusus erkannt, irrt
aber, wenn er mit Kogler den Augenblick als Geburtsszene faßt.
Joseph, der im Bilde fehlt, sei nach der apokryphen Legende eben
weggegangen, um die Hebamme zu holen. Inzwischen habe sich die
Geburt ohne menschliches Zutun auf wunderbare Weise vollzogen.
Stall oder Hütte seien lediglich aus Gründen der besseren Bildgestal»
tung weggelassen, weil der Maler schon auf dem benachbarten Engel»
konzert ein Gebäude anbringen wollte. Deshalb habe er Maria in die
Landschaft gesetzt. Diese Erklärung bleibt jedoch an der Oberfläche
haften. Der Einfluß der Ueberlieferung auf den Ausdruck im Bilde
war in alter Zeit immerhin so zwingend, daß das biblische Ereignis
der Geburt unmöglich ohne das übliche Beiwerk des Stalles, der Tiere,
der Hirten, der Engel, des heiligen Joseph als solches verstanden wor»
den wäre, abgesehen davon, daß wohl niemand diesen kräftigen
Knaben, der mit dem Rosenkränze spielt, als eben geborenes Kind an»
sprechen wird. Aus dem Größenverhältnis von Mutter und Kind äst
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mäßige, allegorische oder typologische Verarbeitungen, Sittenbild»
mäßige Umsetzungen oder gedrängte Auszüge aus den Tatsachen der
Heiligenlegende, wie die Colmarer Madonna im Rosenhag von Schon»
gauer oder der Schnewlinaltar im Freiburger Münster (im Anschluß
an Dürers Madonna mit der Meerkatze), sind, namentlich im Herzstück
eines Hochaltars, äußerst selten. Man hat hier bei unserm Bilde ver»
gleichsweise von der Madonna im Rosengarten gesprochen.
Die Bezeichnung ist aber sicher verfehlt; denn abgesehen von den
blutroten Rosen rechts von der Mittelgruppe, die natürlich ihre tief»
symbolische Bedeutung haben, erinnert nichts an einen Rosengarten.
Betrachtet man im Mittelgründe den geschlossenen Zug der mehrfach
abgetreppten Mauer, die links mit der Pforte einsetzt und rechts sich
im Bildrande verliert, so erscheint es viel richtiger, von der M a»
donna im verschlossenen Garten zu sprechen. Es ist das
im Mittelalter immer wiederkehrende Sinnbild des hortus conclusus
und der porta clausa, vielleicht fügt sich rechts im Hintergründe der
blaue stille See als fons signatus, altes Symbol der jungfräulichen
Mutter, dieser Vorstellungsreihe sinngemäß ein.
Lange hat die Oertlichkeit richtig als hortus conclusus erkannt, irrt
aber, wenn er mit Kogler den Augenblick als Geburtsszene faßt.
Joseph, der im Bilde fehlt, sei nach der apokryphen Legende eben
weggegangen, um die Hebamme zu holen. Inzwischen habe sich die
Geburt ohne menschliches Zutun auf wunderbare Weise vollzogen.
Stall oder Hütte seien lediglich aus Gründen der besseren Bildgestal»
tung weggelassen, weil der Maler schon auf dem benachbarten Engel»
konzert ein Gebäude anbringen wollte. Deshalb habe er Maria in die
Landschaft gesetzt. Diese Erklärung bleibt jedoch an der Oberfläche
haften. Der Einfluß der Ueberlieferung auf den Ausdruck im Bilde
war in alter Zeit immerhin so zwingend, daß das biblische Ereignis
der Geburt unmöglich ohne das übliche Beiwerk des Stalles, der Tiere,
der Hirten, der Engel, des heiligen Joseph als solches verstanden wor»
den wäre, abgesehen davon, daß wohl niemand diesen kräftigen
Knaben, der mit dem Rosenkränze spielt, als eben geborenes Kind an»
sprechen wird. Aus dem Größenverhältnis von Mutter und Kind äst