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Fiorentini, Erna
Ikonographie eines Wandels: Form und Intention von Selbstbildnis und Porträt des Bildhauers im Italien des 16. Jahrhunderts — Berlin, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.41230#0088
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für Seltenheit und Exklusivität verkörperte396, sowie der besondere Stellenwert, den diese
Statuette in den Augen der Zeitgenossen einnahm397, läßt jedoch kaum den Schluß zu, della
Nave habe sich in seinem Bildnis lediglich mit dem Modell dieser allgemein beliebten Plastik
inmitten einer bloß reproduzierenden Abguß-Abteilung seiner Sammlung darstellen lassen.
Dies hätte wiederum kaum der sozial repräsentativen Funktion des Porträts Rechnung
getragen und nicht den damit verbundenen Aufgaben entsprochen, welche eine solche
Darstellung in der damaligen venezianischen Gesellschaft zu erfüllen hatte. Darüber hinaus
begann Della Nave überhaupt erst mit den Einkäufen aus Vittorias Nachlaß, also frühestens
1608, seine Sammeltätigkeit. Die Sammlung brauchte hernach einige Jahre, um den
Reichtum und Umfang zu erreichen398, welcher die Bildung della Naves überzeugend zum
Ausdruck bringen, und die Zeitgenossen in der gewünschten Weise beeindrucken konnte.
Um eine Anspielung auf die komplette Sammlung sein zu können, hätte das Gemälde
demnach erheblich später entstehen müssen, als der vorgeschlagene Datierungszeitraum
(Ende des 16. Jahrhunderts; vgl. Kat.-Nr. 46) es zuläßt. Gegen eine Darstellung, die della
Nave mit den ersten Einkäufen für die Sammlung zeigt, spricht wiederum die Tatsache, daß
im Birmingham-Bildnis unmißverständlich ein Modell von Vittorias San Sebastiano, und
nicht das begehrte und berühmte, als erste Stück seiner Sammlung von Della Nave
erworbene Original abgebildet ist.
Diese Beobachtungen müssen zu dem Schluß führen, daß das Birmingham-Bildnis kein
Sammlerporträt ist. Vielmehr dürfte das Bild Alessandro Vittoria wiedergeben, umgeben von
einigen derjenigen Modelle, die er bis zu seinem Tode aufbewahrte. Entsprechend dem für
das Bildnis vorgeschlagenen Datierungszeitraum (der die letzten Jahre des 16. Jahrhunderts
umfaßt) ist das Aussehen des Dargestellten das eines etwa Sechzig- bis Siebzigjährigen,
welcher der Erscheinung Vittorias im gesicherten Altersporträt (ca. 1600-1605; vgl. Kat.-Nr.
47, Abb. 47) und in der Selbstbildnisbüste für das Grabmonument (nach 1595; vgl. Kat.-Nr.
49, Abb. 49) nahesteht. Im Vergleich zum Porträt Veroneses (1566-1570; vgl. Kat.-Nr. 44,
Abb. 44) hat sich Vittorias Haut um die Augen stärker in Falten gelegt, die
charakteristischen Furchen von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln sind tiefer geworden.
Die Tränensäcke sind unter den mandelförmigen Augen mit ihren immer etwas
angeschwollenen Lidern deutlicher gekennzeichnet. Wie auch in den anderen bekannten
Porträts Vittorias fällt der vorstehende Stimknochen, welcher die Linie der Brauen
akzentuiert, sowie die geschwungene Form der Ohren auf. Auch wenn das Haar lichter
geworden ist, bleibt die für Vittoria charakteristische Linie des Haaransatzes unverändert.
Ein weiterer Anhaltspunkt für die Identifikation des Dargestellten mit Alessandro Vittoria ist
dessen Beziehung zu Jacopo Palma il Giovane. Der Maler des Birmingham-Porträts war ein
Protégé Vittorias. In der Tat soll der Bildhauer bei jeder Gelegenheit die künstlerische
Tugend des jungen Freundes gepriesen und ihm den Vorzug bei öffentlichen Aufträgen

396 Scamozzi (1615) I, libro m, Cap. XIX, S. 306 bezeichnet die Statuette als den "so seltenen San Sebastiano
von der Hand des Vittoria" (vgl. auch weiter oben Anm. 379).
397 Für viele Künstler wurde Vittorias San Sebastiano ein begehrtes Objekt. Abgüsse der Bronze wurden bis ins
17. Jahrhundert hinein als Studienobjekte verwendet (vgl. Venezia, 1988, S. 27), und auch Jacopo Palma il Giovane
hielt den San Sebastiano des öfteren in Skizzen fest (vgl. Mason Rinaldi, 1990, Nr. 86 a).
398 Vgl. Waterhouse (1952) S. 1-2. Scamozzis Beschreibung der Bestände (vgl. oben Anm. 380) gibt ein Bild des
großen Umfangs von della Naves Sammlung wieder, welcher wahrscheinlich durch den kompletten Ankauf weiterer
bestehender Sammlungen erreicht wurde, vgl. Savini-Branca (1964) S. 65.
 
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