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Fischbach, Friedrich [Hrsg.]; Gryglewicz, Tomasz [Red.]
Ornamente der Gewebe — Hanau, 1874

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https://doi.org/10.11588/diglit.26449#0012
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4+ VIII

Entstehung, Zweck und Ergänzung des Werkes.

Ein grosser Theil des Materiales wurde vor der Gründung der Kunst-
gewerbe-Museen gesammelt und gezeichnet. Damals erschien die Symbolik
und Schönheit der Zeichnung so sehr als Hauptsache, dass Niemand eine
besondere Wiedergabe der Textur und der Farben für nöthig hielt. Die
Ansprüche der Archeologie, Material und Technik in der getreuesten
Wiedergabe erkennen zu können, sind jüngeren Datums. Die Ausführung
und Gruppirung der Tafeln des Werkes Ornamente der Gewebe würde
also eine bessere sein, wenn mir jetzt die Aufgabe neu gestellt würde.
Man berücksichtige aber, dass damals das zu publicirende Material auf
vielen Reisen erst zu suchen war und spätere Entdeckungen und Funde
eine einheitliche Anlage nicht erlaubten. Andererseits ist das, was der
Archeologie in der Wiedergabe vieler Muster jetzt ungenügend erscheint,
nothwendig gewesen, um den Kunstindustriellen möglichst brauchbares
Material zu liefern. Der Fabrikant und Decorateur braucht die Werk-
zeichnung, in welcher die bestimmte Contur Hauptsache und welche
nicht zu sehr durch kostspieligen Druck vertheuert ist. Es sollte kein
Salon-Album mit malerischen Effekten, sondern ein Atelier-Werk werden,
welches bisher mir und meinen Collegen fehlte. Wer die photographische
Copie verlangt, möge nur versuchen, .wie ungenügend und wie theuer
der beste Lichtdruck ist, und wie schwer es ist, viele Muster auf einer
Tafel zu vereinigen.' Als Ergänzung und Fortsetzung des Werkes halte
ich es jedoch für wichtig, dass die historisch bedeutendsten Muster möglichst
genau durch farbigen Lichtdruck publicirt werden.

Als ich von 1858 bis 1862 die mit dem kgl. Polytechnikum ver-
bundene Musterzeichnenschule in Berlin besuchte, erkannte ich bald, dass
der Naturalismus, der einzig und allein dort cultivirt wurde, im Wider-
spruch mit den Decorationen der Architektur etc. stehe. Mein verehrter
Freund Professor L. Lohde, der Mitarbeiter Bötticher’s bestätigte, dass die
französische Unterrichtsmethode zwar Zeichner für die wechselnde Mode,
nicht aber Ornamentisten schaffe, die der Kunst dienen. Als er mir
die Architektur-Ornamentik erklärte, musste er zugeben, dass sie für
das moderne Gewerbe grosse Lücken habe und dass selbst Schinkel
viele Onamente für die Weberei zu construktiv und zu plastisch com-
ponirte. Das einzige Gute der Schule war das Zeichnen der Blumen nach
der Natur, wenn auch die Studien nicht als Mittel, sondern gleich schon
als Zweck betrachtet wurden. Heute wurde die Rose mit einer Knospe
und einigen Kornblumen oder Astern nach rechts gewendet und morgen
die Gruppirung nach links gedreht. Jeder derartige in Wiederholung
gesetzte Effekt durfte als Muster gelten. Mein Lehrer verstieg sich
damals zu dem Ausspruche, welcher ihn und die damalige Zeit charakterisirt.
Er sagte tadelnd: »Sie sind zu deutsch, um ein guter Dessinateur zu
werden.«

In diese Zeit, in welcher ich eine triviale Lebensaufgabe mit einer
befriedigenderen vertauschen wollte,fiel die Ausstellung der Kirchenparamente,
welche Dr. Fr. Bock nach alten Vorbildern hatte weben und sticken lassen.
Meine Lehrer verlachten diesen Unsinn, und die Berliner fanden es sehr
merkwürdig und etwas arrogant, dass man solche mittelalterliche katho-
lische Spezialitäten als Sehenswürdigkeiten bezeichne. — Die Teppich-
Compositionen, die mein Lehrer Van der Syp in demselben Saale ausgestellt
hatte, zeigten eine holländische Landschaft mit Windmühlen und zwischen
Weinlaub Hasen und Hunde, ferner grosse Gurkenblätter, Rosen etc. —•
Die schlichten Gewebe imponirten mir durch ihre harmonische Wirkung
trotz bescheidenem Aufwande von Formen und Farben.

In der Gallerie der altdeutschen und präraphaelischen Bilder hatte ich
auf den Gewändern eine grosse Anzahl Muster entdeckt und begann die
interessantesten zu copiren. Dieses Studium sollte mir den Unterricht

ersetzen, den die Schule mir nicht bieten konnte. Generaldirektor von
Olfers gestattete, dass ich in den Gallerien mit Hülfe von Gerüsten
die Muster der hochhängenden Bilder copirte. So entstand schon in
Ermangelung einer grösseren Anzahl alter Gewebe 1860 bis 1862 eine
beträchtliche Sammlung, die auch das Interesse des grossen P. von
Cornelius weckte. Als Lohde diese Muster sah, ermuthigte er mich durch
freundliches Lob zur Fortsetzung. Er theilte mir mit, dass C. Bötticher
viele Ornamente nach alten Geweben und Wandmalereien gesammelt,
später aber alle diese Studien, von denen nur wenige in den Vorbildern
für Handwerker und Fabrikanten unter Schinkel und Beuth publicirt
worden sind, dem kgl. Kupferstichkabinet übergeben habe. Ich liess
mir die Mappen von dem damaligen Direktor Prof. H. Weiss geben
und durfte nach Herzenslust copiren. In diesen Mappen fand ich
auch die schönen Copien, welche der Glasmaler Glinsky mit so
grosser Virtuosität für den König Friedrich Wilhelm IV. angefertigt
hat. Die Fadenmalerei ist durch Pressungen verschiedenster Art gehoben.
Meine ersten Ersparnisse benutzte ich zu einer Reise nach Halberstadt,
um die zahlreichen alten Kirchengewänder zu zeichnen, welche in einem
früher vermauerten Thurmgemache entdeckt worden waren. Ich fand eine
sehr grosse Bereicherung. In Köln lernte ich Dr. Fr. Bock persönlich
kennen. Dieser energische und unermüdliche Forscher hatte jedoch nur
die kirchliche Kunst im Auge und, wenn er auch die Bedeutung der
Reform in der Profankunst nicht unterschätzte, so lag ihm doch vor
allem die Restauration alter Kirchen und die Gründung und Beschäftigung
zahlreicher Kunstwerkstätten für kirchliche Stickerei, Weberei, Glas-
malerei, Holzschnitzerei etc. am Herzen. Er hatte bereits das epoche-
machende Werk über die liturgischen Gewänder geschrieben, und ein
grösseres Vorlagewerk der Weberei in Arbeit, das er aber aus Mangel
an Unterstützung der Regierungen etc. nicht fortführte.

Als ich 1862 mit meinen Zeichnungen nach Wien kam, veranlasste
der berühmte Gothiker Prof. Fr. Schmidt, dass Giani einige Muster
webte. Es war bereits bekannt, dass Casaretto in Crefeld durch die Propa-
ganda Bocks grosse Erfolge mit seinen mittelalterlichen Mustern hatte,
da die deutschen Bischöfe durch ein Rundschreiben alle Pfarrer ermahnt
hatten, zur würdigeren Ausstattung des Altars diese Gewebe vorzu-
ziehen. Giani, welcher damals 40 Muster auf Patronenpapier fast um-
sonst von mir erhielt, hatte besten Erfolg. Ebenso glückte es, die alten
Muster der Weberei für die Tapetenindustrie zu verwenden (was schon
früher Raschdorf durch Flammersheim & Comp, in Köln zur Ausstattung
des Gürzenich versucht hatte). Ph. Haas & Söhne wünschten Originale
für Teppiche, Faber & Comp, für Spitzengewebe, und somit durfte ich es
wagen, mit meiner auf dem Studium der Textilkunst basirenden Spezialität
1865 ein Atelier zu gründen, welches der pariser Moderichtung entgegen-
arbeitete. Die Gründung des Kunstgewerbe-Museums in Wien begünstigte
diese Bestrebungen. Von 1862—1864 hatte ich die Muster auf den
Bildern im Belvedere etc. copirt, dann aber das grosse Material der ehern.
Bock’sche Stoffsammlung, welche das Museum gekauft hatte, zur Ver-
fügung erhalten. Dieses reichhaltige Material trat nun in den Vorder-
grund, da die von Bildern entlehnten Muster nur als Originale 2. Ranges
gelten konnten.

Ich stellte mir die Aufgabe, die ganze Stoffsammlung des k. k. Museums
zum Zweck der späteren Publication zu copiren. Da viele zerrissene,
verschlissene und verschossene Muster fast ganz unkenntlich waren, so
war meine Reconstruirung der ursprünglichen Werkzeichnung willkommen,
um den artistischen Werth dieser Muster zu retten. Das k. k. Museum für
Kunst und Industrie kaufte daher diese Copien als Ergänzung der Sammlung.
 
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