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Fischel, Oskar [Hrsg.]; Raffaello <Sanzio> [Ill.]
Raphaels Zeichnungen: [Text und Tafeln in Mappen] (Band 1): Raphaels umbrische Zeit — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.10369#0019
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ZUR BEURTEILUNG DER ZEICHNUNGEN

Ist es ein größeres Unglück für den Juwelier, eine
falsche Perle als echt einzukaufen oder seine echte
•als falsch wegzugeben? .... ärgerlicher ist doch
wohl das zweite. Carl Justi.

Die Kennerschaft alter Zeichnungen hat seit Morelli wieder einen so starken Impuls Prinzipien der
empfangen, daß sie bei ihrem kritischen Bestreben oft ganz außer acht ließ, warum Beurteilung
man sich ursprünglich und immer noch mit den Studien des großen Malers beschäf-
tigte: ihr eigentlicher Reiz liegt doch darin, daß sie sein Schaffen miterleben lassen,
nicht in dem Streit um »echt« oder »falsch«. Unendlich selten laßt sich das Gespenst
der »Fälschung«, so häufig es auch beschworen wird, in den alten beglaubigten Samm- Kopien und
lungen wirklich sehen. Viel öfter, als er früher gefälscht wurde, ist Raphael als Zeichner Fälschungen
in der neueren Literatur verleugnet worden, so daß es gar nicht zweifelhaft sein kann,
wann an dem Meister mehr gesündigt ist1). Man weiß, wie vielfach und treu nach ihm
in den zwei Jahrhunderten akademischer Verehrung von Künstlern kopiert wurde;
ja Amateure haben sich Faksimile herstellen lassen, um sie zur Erinnerung in den
Portfolios ihrer Cabinete neben unzweifelhaften Blättern aufzubewahren-). So finden
sich mitunter Entwürfe, die verschwanden, nur in solchen Kopien erhalten, und ihr
Wert zeigt sich, wenn sie Blätter, die bisher beziehungslos schienen, mit festen
Werken verbinden lassen3). Sogar eine Fälschung, die wirklich »das Böse will«,
kann Gutes schaffen, sobald sie ein unbekanntes Kompositionsstadium des Meisters
überliefert.

Wirklich gefälscht in alter Zeit wurde Raphael nur von einer Hand. Timoteo Viti
sollte dieser geschickte Nachahmer gewesen sein, obwohl der ganz bestimmte Charakter
seiner sechs authentischen Blätter ihn vor solch zweifelhafter Ehre hätte bewahren
sollen. In krausen und vagen Strichen versucht sie, besonders die flüchtigen Feder-
züge von Zeichnungen der späten Florentiner Zeit nachzuahmen; so ist sie durch
Blätter der Sammlung Habich zuletzt wieder bekannter geworden (Abb. i, 2). Auf

y) Einen festen Maßstab für die Kritik hat Morelli so wenig wie Wickhoff, noch wer sonst über
Raphaels Zeichnungen etwas veröffentlichte, gefunden, und der Verfasser bedauert heut, jenen großen
Anregern »auch in Fehlern gefolgt« zu sein, wie Wickhoff von einer Jugendarbeit sagte. Heute bekennt
er sich gern zur Epoche »der sich erholenden Widerstandskraft« (Justi).

2) Wickhoff: Einleitung zu den »Italienischen Handzeichnungen der Albertina«, Jahrbuch der kunst-
historischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses XIII, 2, 1892.

3) Für die Entwicklung der Disputa-Komposition wurden gerade solche Kopien von dokumentarischer
Wichtigkeit.

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