Ganz magisch leuchtet es hinter der riesigen Silhouette Christi auf, der seiner
Mutter erscheint, auf dem Altar in Medole (S. 182). Die imposanten Formen dunkel
vor dem Lichtnebel erwecken den Eindruck der Vision noch lebhafter, als die Gebärden-
sprache vermöchte.
Dieselbe Andacht vor dem leuchtenden Element gab ihm die Idee zur Komposition
der „Fede“ ein (S. 189). Hier fand der Doge Grimani seine späte, für einen schick-
salsschweren Lebensgang wohlverdiente Verherrlichung. Vor dem Schutzpatron der
Stadt, deren Bild in der Ferne sich aus den Wogen hebt, hat er verehrend gekniet;
da ist aus dem Gewölk über dem Wasser eine strahlende Frauengestalt getreten mit Kreuz
und Kelch: er darf die Erfüllung des Glaubens mit menschlichen Augen erblicken.
Zwischen den beiden tieffarbigen massigen Körpern des heiligen Markus und des
Dogen ist das Lichtwunder gefaßt, gehoben durch den düsteren Kreuzesbalken. Als
Tizians eigenster Ausdruck wallt und webt es von leuchtenden Engelsköpfen um
die Vision.
In Garben streut er dann das heilige Feuer durch den Raum, in dem die Jung-
frau mit den Aposteln beim Pfingstfest (S. 192) versammelt ist. Das Durcheinander-
fahren der begeisterten Gestalten wird im Licht erst recht lebendig: Antlitz und Hände
der Madonna sind ihm entgegengewandt, hier trifft ein Strahl den erhobenen Arm Petri,
dort die Stirn, den zurückgebogenen Hals, die Brust eines anderen. Es ist der Wirbel-
wind der Erregung, der in Tintorettos Kunst weiterleben sollte.
Im Martyrium des heiligen Laurentius (S. 193), dem Bild, das in der Kirche der
Gesuati zur Unsichtbarkeit verurteilt hängt, drückt sich der Kampf irdischer und himm-
lischer Gewalten im Widerstreit verschiedener Lichter aus. Die Henker werden von
den Kohlen unter dem Rost düster angestrahlt, an der Götterstatue, den Tempelsäulen,
über die Waffen und Rüstungen zuckt das Licht der Fackeln hin, und das Antlitz des
Heiligen glänzt wider von den Strahlen des Sterns, die aus dem zerteilten Gewölk
herableuchten. So setzt sich auch das Überirdische der Engelserscheinung in der
Verkündigung (S. 229) für S. Salvatore in plötzlich gegen die Madonna vorbrechendes
Licht um. Wo Auge und Hand dem Greise für die Einzelheiten nicht mehr recht
gehorchen mochten, da entschädigt er durch die breiten Massen von Farbe, Licht und
Schatten. Wo bei anderen die Schwäche beginnt, wächst ihm neuer künstlerischer Aus-
druck zu. Daß nicht alle solche neue Verjüngung des Meisters verstanden, erzählt
Vasari gerade bei diesem Bild; da wirkt es wie ein Protest, wenn die Künstlerinschrift
hinter „Titianus“ zweimal das entscheidende Wort „fecit“ bringt.
Gleichzeitig für dieselbe Kirche entstand der Hauptaltar der Verklärung Christi
(S. 201). Wieder dient alles nur dem Licht, das die großbewegte Erlösergestalt umfließt.
Die zurückbleibenden Apostel sind mit ihren Körpern und Gliedern nur als dunkle,
schwere Werte behandelt gegen diese Fülle des Lichts, von dem Moses und Elias
magnetisch angezogen schweben.
Nichts bezeichnet diesen Alterstil Tizians deutlicher als ein Vergleich zwischen
beiden Kompositionen der Dornenkrönung, die ein Zeitraum von nahezu dreißig Jahren
trennt. Das Pariser Bild (S. 114) gibt den brutalen Vorgang in klarer Beleuchtung gräßlich
genug; auf der späteren Münchner Wiederholung (S. 239) wird die Wut der Henker im
zuckenden Schein qualmender Pechfackeln noch gräßlicher, die ausfahrenden Bewegungen,
das Durcheinander von Waffen und Stäben noch wilder. Die nirgends fest umrissenen
Formen gewinnen dadurch mit flimmerndem Kontur das Leben flüchtigster Bewegung.
Das ist die Breite, das Kneten farbiger Massen, in dem Tizian sein letztes Bild,
die „Pieta“ (S. 247), für sein eigenes Grab schafft. Neben der linear vollendeten Gruppe
xxxvm
Mutter erscheint, auf dem Altar in Medole (S. 182). Die imposanten Formen dunkel
vor dem Lichtnebel erwecken den Eindruck der Vision noch lebhafter, als die Gebärden-
sprache vermöchte.
Dieselbe Andacht vor dem leuchtenden Element gab ihm die Idee zur Komposition
der „Fede“ ein (S. 189). Hier fand der Doge Grimani seine späte, für einen schick-
salsschweren Lebensgang wohlverdiente Verherrlichung. Vor dem Schutzpatron der
Stadt, deren Bild in der Ferne sich aus den Wogen hebt, hat er verehrend gekniet;
da ist aus dem Gewölk über dem Wasser eine strahlende Frauengestalt getreten mit Kreuz
und Kelch: er darf die Erfüllung des Glaubens mit menschlichen Augen erblicken.
Zwischen den beiden tieffarbigen massigen Körpern des heiligen Markus und des
Dogen ist das Lichtwunder gefaßt, gehoben durch den düsteren Kreuzesbalken. Als
Tizians eigenster Ausdruck wallt und webt es von leuchtenden Engelsköpfen um
die Vision.
In Garben streut er dann das heilige Feuer durch den Raum, in dem die Jung-
frau mit den Aposteln beim Pfingstfest (S. 192) versammelt ist. Das Durcheinander-
fahren der begeisterten Gestalten wird im Licht erst recht lebendig: Antlitz und Hände
der Madonna sind ihm entgegengewandt, hier trifft ein Strahl den erhobenen Arm Petri,
dort die Stirn, den zurückgebogenen Hals, die Brust eines anderen. Es ist der Wirbel-
wind der Erregung, der in Tintorettos Kunst weiterleben sollte.
Im Martyrium des heiligen Laurentius (S. 193), dem Bild, das in der Kirche der
Gesuati zur Unsichtbarkeit verurteilt hängt, drückt sich der Kampf irdischer und himm-
lischer Gewalten im Widerstreit verschiedener Lichter aus. Die Henker werden von
den Kohlen unter dem Rost düster angestrahlt, an der Götterstatue, den Tempelsäulen,
über die Waffen und Rüstungen zuckt das Licht der Fackeln hin, und das Antlitz des
Heiligen glänzt wider von den Strahlen des Sterns, die aus dem zerteilten Gewölk
herableuchten. So setzt sich auch das Überirdische der Engelserscheinung in der
Verkündigung (S. 229) für S. Salvatore in plötzlich gegen die Madonna vorbrechendes
Licht um. Wo Auge und Hand dem Greise für die Einzelheiten nicht mehr recht
gehorchen mochten, da entschädigt er durch die breiten Massen von Farbe, Licht und
Schatten. Wo bei anderen die Schwäche beginnt, wächst ihm neuer künstlerischer Aus-
druck zu. Daß nicht alle solche neue Verjüngung des Meisters verstanden, erzählt
Vasari gerade bei diesem Bild; da wirkt es wie ein Protest, wenn die Künstlerinschrift
hinter „Titianus“ zweimal das entscheidende Wort „fecit“ bringt.
Gleichzeitig für dieselbe Kirche entstand der Hauptaltar der Verklärung Christi
(S. 201). Wieder dient alles nur dem Licht, das die großbewegte Erlösergestalt umfließt.
Die zurückbleibenden Apostel sind mit ihren Körpern und Gliedern nur als dunkle,
schwere Werte behandelt gegen diese Fülle des Lichts, von dem Moses und Elias
magnetisch angezogen schweben.
Nichts bezeichnet diesen Alterstil Tizians deutlicher als ein Vergleich zwischen
beiden Kompositionen der Dornenkrönung, die ein Zeitraum von nahezu dreißig Jahren
trennt. Das Pariser Bild (S. 114) gibt den brutalen Vorgang in klarer Beleuchtung gräßlich
genug; auf der späteren Münchner Wiederholung (S. 239) wird die Wut der Henker im
zuckenden Schein qualmender Pechfackeln noch gräßlicher, die ausfahrenden Bewegungen,
das Durcheinander von Waffen und Stäben noch wilder. Die nirgends fest umrissenen
Formen gewinnen dadurch mit flimmerndem Kontur das Leben flüchtigster Bewegung.
Das ist die Breite, das Kneten farbiger Massen, in dem Tizian sein letztes Bild,
die „Pieta“ (S. 247), für sein eigenes Grab schafft. Neben der linear vollendeten Gruppe
xxxvm