schließen, daß der Parnaß das erste Fresko der vier Wände war. Noch an den Kopien der
Gruppen zusammengestellter Akte in Oxford Lind Paris erkennt man, aus wie geringem
Miterleben liier der Körper angeschaut wird. Etwas volle, allgemeine Formen lassen be-
sonders die Frauen, trotz aller Anmut in Stand und Wendungen, reizlos und unbeseelt
erscheinen; wie umbrische Scheu liegt es über ihnen; noch fehlen diesen Körpern die
(jirgarie und damit das Recht, an der Sonne zu atmen. Sie sind ohne Instinkteeschaute, nur
andersartige Wesen, von schönem Liriienfluß, mehr konstruiert als erlebt. Sie kamen noch
nicht weit über die klösterlichen Grazien der umbrischen Jugendzeit und die Hilfsfiguren
für die Florentiner Madonnen (Tf. i 12) hinaus. Erstin der großen Di sp u tastud i e von Frank-
fürt (Abt. VI) werden die .Männer und Jünglinge ganz frei; für die Frauen scheint dann die
Förnarinä, beim Übergang zur zweiten Stanze, die Losung zur Freiheit gebracht zu haben.
Aber schon hier, noch vor der neuen Befruchtung durch das materielle Erlebnis an der
Natur, triumphiert die »certa idea« in der hinreißenden Melporriene zu Oxford. Im Anfang
war der Schwung! Erst an der vierten Wand in der Lünette mit den Tugenden des Richters
kommt der damals in ihm wogende Kampf der zwei Seelen zum Ausgleich, aber uns fehlen
die Zeugnisse dafür in den Zeichhüngen. Nur jene rasche Improvisation einer graziös Ge-
lagerten auf einem Blatt der Disputa in Oxford mag darauf vorbereiten. Vielleicht besitzen
wir in ihr Raphaels erste weibliche Aktzeichnung. Für die Zeremonienbilder rechts und
links vom Fenster werden wir durch merkwürdig gegenständliche Studien überrascht. In
voller Sonne steht die Gruppe der Robenträger, der Juristen vor Justinian. Der Bisterpinsel
setzt dabei seine durchsonnten Schatten hin, die ohne jeden Kontur die Formen allein be-
stimmen; hier wirkt die in der fließenden Farbe frei gewordene Hand des Freskomalers,
und zum Zweifeln bleibt kein Grund; man spürt, von hier die Hahn bis zur .Madonna im
Grünen von Oxford (Tf. n8) zurückblickend, die ganze Weite der Kntwickelung: hier die
Sicherheit in der irdischen Körperwelt, bei den Disputastudien den freien Flug in die
Sphäre des Jenseitigen und ins unterirdische Licht.
Bei der Frankfurter Federzeichnung für die Übergabe der Dekretalen hat die ruhige
Sachlichkeit im Studium der Ornate den Gedanken an Schülerarbeit geweckt, l'nd doch
gehörte dies Maß von Bodenständigkeit dazu und so streng mußte er sich mit dem Tatsäch-
lichen auseinandergesetzt haben, Lim der Historienmaler der zweiten Stanze zu w erden.
Anteil von Schülern bei den frühen römischen Studien für diese Stanze läßtsich,trotz aller
Möglichkeit, nirgend erweisen; die überarbeitende Hand bei den Entwürfen zum Kinder-
mord kam ganz unberufen dazu; Kopien wie die der frühen Parnaßgruppe sind als solche
sofort kenntlich.
Daß er in dieser Übergangszeit von Florenz nach Rom bei den ersteh Eindrücken der
alten und neuen großen Kunst in R.im Genossen, teilnehmende, mitstrebende, abhängige,
um sich gehabt, ist ganz wahrscheinlich. Ja, es mag sich zw ischen der Schule und ihm das
Verhältnis erneuert haben, das einst seine eigenen Arbeiten so schwervon denen Peruginos
unterscheiden ließ. Aber es ist kein Wunder, daß Schüler, denen auch in der Zukunft nicht
das Glück der Persönlichkeit beschieden w ar, sich auf der Höhe .selbstentäußernder Hin-
gebung als Zeichner kaum nachweisen lassen. Wir ahnen ihren Anteil bei den Kopien nach
Filippino (Abb. 194 196), bei den Studien am Pantheon (Tf. 2*16/217), bei der aus älteren
Motiven etwas schematisch zusammengesetzten Verkündigung in Stockholm (Tf. 215),
aber von deutlich nachweisbarer Handschrift läßt sich nicht sprechen. Sie bleiben in der
Rolle der Trabanten. Sicher steigt aus dieser ersten, vielgestalteten Gruppe römischer
Blätter nur das Wissen auf von einer unaufhaltsamen Entwickelung, die sich mit wunder-
barer Folgerichtigkeit vollzieht.
Daß sich die Fülle der Gedanken für das gleiche Werk zu ein Lind derselben Zeit diesen
vielseitigen Reichtum an Formen des Ausdrucks in so verschiedenartigerTechnik schafftest
neu und ohne Vorgang, ja fast ohne Nachfolge in der gesamten Geschichte der Zeichenkunst.
Gruppen zusammengestellter Akte in Oxford Lind Paris erkennt man, aus wie geringem
Miterleben liier der Körper angeschaut wird. Etwas volle, allgemeine Formen lassen be-
sonders die Frauen, trotz aller Anmut in Stand und Wendungen, reizlos und unbeseelt
erscheinen; wie umbrische Scheu liegt es über ihnen; noch fehlen diesen Körpern die
(jirgarie und damit das Recht, an der Sonne zu atmen. Sie sind ohne Instinkteeschaute, nur
andersartige Wesen, von schönem Liriienfluß, mehr konstruiert als erlebt. Sie kamen noch
nicht weit über die klösterlichen Grazien der umbrischen Jugendzeit und die Hilfsfiguren
für die Florentiner Madonnen (Tf. i 12) hinaus. Erstin der großen Di sp u tastud i e von Frank-
fürt (Abt. VI) werden die .Männer und Jünglinge ganz frei; für die Frauen scheint dann die
Förnarinä, beim Übergang zur zweiten Stanze, die Losung zur Freiheit gebracht zu haben.
Aber schon hier, noch vor der neuen Befruchtung durch das materielle Erlebnis an der
Natur, triumphiert die »certa idea« in der hinreißenden Melporriene zu Oxford. Im Anfang
war der Schwung! Erst an der vierten Wand in der Lünette mit den Tugenden des Richters
kommt der damals in ihm wogende Kampf der zwei Seelen zum Ausgleich, aber uns fehlen
die Zeugnisse dafür in den Zeichhüngen. Nur jene rasche Improvisation einer graziös Ge-
lagerten auf einem Blatt der Disputa in Oxford mag darauf vorbereiten. Vielleicht besitzen
wir in ihr Raphaels erste weibliche Aktzeichnung. Für die Zeremonienbilder rechts und
links vom Fenster werden wir durch merkwürdig gegenständliche Studien überrascht. In
voller Sonne steht die Gruppe der Robenträger, der Juristen vor Justinian. Der Bisterpinsel
setzt dabei seine durchsonnten Schatten hin, die ohne jeden Kontur die Formen allein be-
stimmen; hier wirkt die in der fließenden Farbe frei gewordene Hand des Freskomalers,
und zum Zweifeln bleibt kein Grund; man spürt, von hier die Hahn bis zur .Madonna im
Grünen von Oxford (Tf. n8) zurückblickend, die ganze Weite der Kntwickelung: hier die
Sicherheit in der irdischen Körperwelt, bei den Disputastudien den freien Flug in die
Sphäre des Jenseitigen und ins unterirdische Licht.
Bei der Frankfurter Federzeichnung für die Übergabe der Dekretalen hat die ruhige
Sachlichkeit im Studium der Ornate den Gedanken an Schülerarbeit geweckt, l'nd doch
gehörte dies Maß von Bodenständigkeit dazu und so streng mußte er sich mit dem Tatsäch-
lichen auseinandergesetzt haben, Lim der Historienmaler der zweiten Stanze zu w erden.
Anteil von Schülern bei den frühen römischen Studien für diese Stanze läßtsich,trotz aller
Möglichkeit, nirgend erweisen; die überarbeitende Hand bei den Entwürfen zum Kinder-
mord kam ganz unberufen dazu; Kopien wie die der frühen Parnaßgruppe sind als solche
sofort kenntlich.
Daß er in dieser Übergangszeit von Florenz nach Rom bei den ersteh Eindrücken der
alten und neuen großen Kunst in R.im Genossen, teilnehmende, mitstrebende, abhängige,
um sich gehabt, ist ganz wahrscheinlich. Ja, es mag sich zw ischen der Schule und ihm das
Verhältnis erneuert haben, das einst seine eigenen Arbeiten so schwervon denen Peruginos
unterscheiden ließ. Aber es ist kein Wunder, daß Schüler, denen auch in der Zukunft nicht
das Glück der Persönlichkeit beschieden w ar, sich auf der Höhe .selbstentäußernder Hin-
gebung als Zeichner kaum nachweisen lassen. Wir ahnen ihren Anteil bei den Kopien nach
Filippino (Abb. 194 196), bei den Studien am Pantheon (Tf. 2*16/217), bei der aus älteren
Motiven etwas schematisch zusammengesetzten Verkündigung in Stockholm (Tf. 215),
aber von deutlich nachweisbarer Handschrift läßt sich nicht sprechen. Sie bleiben in der
Rolle der Trabanten. Sicher steigt aus dieser ersten, vielgestalteten Gruppe römischer
Blätter nur das Wissen auf von einer unaufhaltsamen Entwickelung, die sich mit wunder-
barer Folgerichtigkeit vollzieht.
Daß sich die Fülle der Gedanken für das gleiche Werk zu ein Lind derselben Zeit diesen
vielseitigen Reichtum an Formen des Ausdrucks in so verschiedenartigerTechnik schafftest
neu und ohne Vorgang, ja fast ohne Nachfolge in der gesamten Geschichte der Zeichenkunst.