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Fischel, Oskar [Hrsg.]; Raffaello <Sanzio> [Ill.]
Raphaels Zeichnungen: [Text und Tafeln in Mappen] (Band 5): Römische Anfänge und die Decke der ersten Stanze, der Parnass, die Jurisprudenz — Berlin, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.11121#0036
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Stauda della 233. Die Hauptgruppen von Marcantons Stich in neun Figuren.

Sctsnatura

De k b'ld Zeichnung in Feder mit schwarzbrauner Tinte und Rotel über Vor griffelung; die Umrisse durch-

stochen.

^3 Hoch 233 cm, breit37,6 cm.

London, British Museum, 1860-4-14-446.

Literatur: Fischet, Nr.380; Egger, Codex Escurialensis, S.43.

Dies Blatt gibt die Komposition in allem wesentlichen fertig; nur statt der Gruppe des
Henkers mit dem Dolch rechts findet sich hier ein Soldat, der mit erhobenem Schwert
eine beim Haar zurückgerissene Mutter bedroht. Diese Gruppe rechts ist, wie es scheint,
in Rötel vorskizziert und dann mit der Feder von Raphael selbst nachgezogen und abge-
wandelt. Der ungünstige Eindruck des Blattes hat zu berechtigten Zweifeln Anlaß ge-
geben: es ist mit einem schweren Strichnetz überarbeitet, ähnlich wie das Wiener Blatt.
Man wird sich den ursprünglichen Zustand in Federzeichnung mit ähnlichen Andeutun-
gen denken müssen, wie das Wiener Rötelblatt sie zeigt, und wie die falsche Mutter zum
Salomonsurteil (Tf. 231). Beim Henker links und der vor ihm flüchtenden Frau sieht
man noch die Sicherheit des kaum geschlossenen Konturs und die leicht metallisch wir-
kende Klarheit der einfachen Strichlagen. Auch die fließenden, mit Nachdruck gezogenen
Konturen sind Raphaels Eigentum, ebenso die flüchtigst behandelte Mutter mit dem Kind
im Stil der Madonnenimprovisationen des gerötelten Skizzenbuchs (III, Tf. 150—15N).

Es lag nahe, bei der Überarbeitung des Blattes mit einem dichten Strichnetz an den
Kupferstecher Marcanton zu denken; aber der Bologneser zeichnete jedenfalls besser als
der Überarbeiter und brauchte, um zu schattieren, weniger Kreuzlagen.

Was dem Blatt seinen sicheren Wert in der Reihe von Raphaels Entwürfen gibt und
immer wieder zum Nachdenken anregen muß, ist der Umstand, daß alle Konturen durch-
stochen und auf das Blatt in Windsor gepaust sind, um dort in Rötel weiter ausgeführt
zu werden. Jedenfalls also liegt hier ein von Raphael begonnenes, an Gedanken und Pen-
timenti reiches und mit sicheren Werken unlöslich verbundenes Stück vor.

Merkwürdig bleibt nur, warum das tot am Boden vorn in der Mitte liegende Kind oben
auf dem Blatt skizziert wurde, während gerade unten, wo sein Platz wäre, das Papier
ausgerissen ist.

234. Die elf Hauptfiguren vom Kindermord.

Bläulicher Rötel über Graphitpausung und Vorgriffelung.
Hoch 24,8 cm, breit 40,8 cm.
Wasserzeichen: Kreis mit Nereide.
Windsor Castle, Nr. 12-37 1).

Literatur: Fischel, Nr.37^; Hirth, Marcanton und sein Stil, S. 22: Egger, Codex Escurialensis, S. 43.

Die Konturen des Londoner Entwurfes wurden auf dies Blatt gepaust. Bei der nach
rechts fliehenden und der vorwärtskommenden Mutter in der Mitte und der knienden
kann man sie, soweit sie nicht in Rötel ausgeführt sind, noch deutlich in punktierten
Linien erkennen.

Die Rückenfigur des Henkers und die Frau mit den erhobenen Händen waren auf dem
Londoner Blatt nicht gegeben, Raphael hat sie mit dem Griffel skizziert, dessen Spuren
man im Papier hell durch den Rötel sieht, und besonders bei dem Behelmten zeigt diese
flüchtige Linienandeutung völlig die Handschrift, wie auf dem Londoner Blatt die rasch
umrissene Frau rechts und die Tritonen der Rückseite.

') Der Lichtdruck des Windsorblattes, teils retuschiert, teils willkürlich ergänzt, gibt hier zusammen-
hängende kümmerliche Linien in der stümperhaften Ergänzung des Lichtdruckers. In der Einleitung
wurde das charakteristische Stück treu und unretuschiert abgebildet .Teil I, S. 19).

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