ÜBERSCHAU
Die Geschichte der Keramik von Cambodunum
ist gewiß nur im Rahmen der keramischen
Entwicklung in der Provinz Rätien überhaupt
zu verstehen. Auf der vindelicischen Hoch-
fläche erscheint Kempten am weitesten nach
Südwesten gerückt und so den helvetisch-gal-
lischen Zentren des Kunstgewerbes am näch-
sten. Das Allgäu tendierte kulturgeographisch
immer deutlich nach Westen. Die Kulturströme,
die vom Oberrhein her oder über das helveti-
sche Mittelland zum Bodensee gelangten, büß-
ten freilich an der Landstufe zur Allgäuer
Hochfläche hinauf notwendig an Intensität ein
und entsprechend findet man in Bregenz25 man-
ches reicher entfaltet als in Kempten. Gegen-
über der Hauptstadt der Provinz wiederum
bleibt Cambodunum eine ländliche Gaustadt,
und eben darin, daß es als solche so gut er-
forscht werden konnte, besteht seine besondere
archäologische Bedeutung26 27. Daher ist, von dem
anfangs südlichen, später westlichen Import
abgesehen, das keramische Bild stark lokal ge-
färbt und etwas eintönig, im ganzen ebenso
dem subalpinen Bereich verbunden, wie den
Gebieten an der oberen Donau21. P. Reinecke
bemerkte bei typisch cambodunensischer Ware,
wie den glänzend rot bemalten Töpfen und
Knickschalen, in Ton und Profilierung durch-
aus ein Zurückbleiben hinter dem sonst übli-
chen Standard. Der weiche glimmrig sandige
Ton, dessen Ursprung P. Reinecke irgendwo
im Bereich des weitgespannten diluvialen Stau-
beckens sucht, worin die heutige Stadt sich
ausbreitet, begleitet uns durch fast alle Gat-
tungen der Kemptener Keramik28. Dazu
kommt, daß der rätisch-vindelicische Raum
an der oberen Donau gegenüber den Rhein-
landen, wie F. Drexel betonte, ein mehr ver-
haltenes und konservatives Gesicht zeigt29. Die
keltischen Traditionen werden zäh fortgeführt,
und es besteht ein auffälliger Unterschied ge-
genüber den römisch-germanischen Provinzen
mit ihrer frisch fortfließenden kunstgewerb-
lichen Entwicklung. Dies erschwert die chro-
nologische Ordnung der Typen.
Der von uns bearbeitete keramische Bestand
entstammt zwar nur einem winzigen Areal der
gesamten Stadtfläche, gleichsam einem großen
Versuchsschacht entnommen, er vermag aber
doch ein plausibles Bild der keramischen Evo-
lution vor allem in der frühen Blütezeit des
Gemeinwesens zu geben. Diese Entwicklung
vollzieht sich in zwei deutlichen Phasen, an
deren Beginn jeweils kräftige kulturelle An-
stöße im Gefolge bedeutender politischer Ver-
änderungen stehen. Grob gesprochen, sind es
die Formen des 1. und des 2. Jahrhunderts,
die uns merkbar verschieden gegenübertreten.
Am Beginn der ersten Periode steht die Stadt-
gründung und die durch sie herbeigeführte Ver-
schmelzung der keltisch-rätischen und römi-
schen Kultur, beide damals keramisch auf
einem Höhepunkt stehend und mit guten For-
men in die neue Zeit eintretend. Deren Aus-
gleich und zugleich Abbau bildet die kerami-
sche Geschichte der tiberischen bis frühflavi-
schen Zeit. Wir sehen einen anfangs starken
Zuschuß grober Bauernkeramik neben dem
geschmackvoll linear verzierten feinen Ge-
schirr aus dem bemalenden Epilatenekreis, der
sich allmählich vermindert. Wir bemerken
durchgehend den starken Anteil der glänzend
roten oder schwarzen Ware, welche mit der
Terra Sigillata in Wettbewerb tritt. Die Sigil-
lata hält sich als Tafelgeschirr mit konstantem
Anteil durch die gesamte Zeit hindurch, nur
daß mit dem Beginn der claudischen Periode
der gallische Import den oberitalischen ver-
drängt. Krüge mit Kragen und Kelch rand,
frühe begrießte oder mit Auflage und Barbo-
tine verzierte Firnisware, Reibschüsseln mit
Steilrand und ihre Abbauformen, frühe dunkel-
rote Platten sind alle auf das 1. Jahrhundert
beschränkt. Es ist eine frischere und leben-
digere Formenwelt, als die des 2. Jahrhunderts,
welch letzte infolge der Eigenart der früheren
25) K. v. Schwerzenbach, Ein Gräberfeld von Brigantium, Jahrbuch für Altertumskunde (Wien) 3, 1909
(Beiblatt) 98 ff. — K. v. Schwerzenbach und J. Jacobs, Die römische Begräbnisstätte von Brigantium,
Jahrbuch für Altertumskunde 4, 1910, 33 ff.
26) M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im Römischen Kaiserreich (1929) I, 189.
27) P. Reinecke, Röm. Germ. Korr. Bl. 5, 1912, 17 ff. — Unmittelbare keramische Verwandtschaft findet
man in Bregenz, auf der anderen Seite in Augsburg, Aislingen und Faimingen.
28) P. Reinecke, Röm. Germ. Korr. Bl. 5, 1912, 17 ff. Allgäuer Geschichtsfreund N. F. 28, 1928, 10. Ger-
mania 13, 1929, 146 ff. Abb. 1.
29) F. Drexel, Faimingen, 1911, 74. — F. Wagner, Die Römer in Bayern, 1928, 102 f.
— 41 —
Die Geschichte der Keramik von Cambodunum
ist gewiß nur im Rahmen der keramischen
Entwicklung in der Provinz Rätien überhaupt
zu verstehen. Auf der vindelicischen Hoch-
fläche erscheint Kempten am weitesten nach
Südwesten gerückt und so den helvetisch-gal-
lischen Zentren des Kunstgewerbes am näch-
sten. Das Allgäu tendierte kulturgeographisch
immer deutlich nach Westen. Die Kulturströme,
die vom Oberrhein her oder über das helveti-
sche Mittelland zum Bodensee gelangten, büß-
ten freilich an der Landstufe zur Allgäuer
Hochfläche hinauf notwendig an Intensität ein
und entsprechend findet man in Bregenz25 man-
ches reicher entfaltet als in Kempten. Gegen-
über der Hauptstadt der Provinz wiederum
bleibt Cambodunum eine ländliche Gaustadt,
und eben darin, daß es als solche so gut er-
forscht werden konnte, besteht seine besondere
archäologische Bedeutung26 27. Daher ist, von dem
anfangs südlichen, später westlichen Import
abgesehen, das keramische Bild stark lokal ge-
färbt und etwas eintönig, im ganzen ebenso
dem subalpinen Bereich verbunden, wie den
Gebieten an der oberen Donau21. P. Reinecke
bemerkte bei typisch cambodunensischer Ware,
wie den glänzend rot bemalten Töpfen und
Knickschalen, in Ton und Profilierung durch-
aus ein Zurückbleiben hinter dem sonst übli-
chen Standard. Der weiche glimmrig sandige
Ton, dessen Ursprung P. Reinecke irgendwo
im Bereich des weitgespannten diluvialen Stau-
beckens sucht, worin die heutige Stadt sich
ausbreitet, begleitet uns durch fast alle Gat-
tungen der Kemptener Keramik28. Dazu
kommt, daß der rätisch-vindelicische Raum
an der oberen Donau gegenüber den Rhein-
landen, wie F. Drexel betonte, ein mehr ver-
haltenes und konservatives Gesicht zeigt29. Die
keltischen Traditionen werden zäh fortgeführt,
und es besteht ein auffälliger Unterschied ge-
genüber den römisch-germanischen Provinzen
mit ihrer frisch fortfließenden kunstgewerb-
lichen Entwicklung. Dies erschwert die chro-
nologische Ordnung der Typen.
Der von uns bearbeitete keramische Bestand
entstammt zwar nur einem winzigen Areal der
gesamten Stadtfläche, gleichsam einem großen
Versuchsschacht entnommen, er vermag aber
doch ein plausibles Bild der keramischen Evo-
lution vor allem in der frühen Blütezeit des
Gemeinwesens zu geben. Diese Entwicklung
vollzieht sich in zwei deutlichen Phasen, an
deren Beginn jeweils kräftige kulturelle An-
stöße im Gefolge bedeutender politischer Ver-
änderungen stehen. Grob gesprochen, sind es
die Formen des 1. und des 2. Jahrhunderts,
die uns merkbar verschieden gegenübertreten.
Am Beginn der ersten Periode steht die Stadt-
gründung und die durch sie herbeigeführte Ver-
schmelzung der keltisch-rätischen und römi-
schen Kultur, beide damals keramisch auf
einem Höhepunkt stehend und mit guten For-
men in die neue Zeit eintretend. Deren Aus-
gleich und zugleich Abbau bildet die kerami-
sche Geschichte der tiberischen bis frühflavi-
schen Zeit. Wir sehen einen anfangs starken
Zuschuß grober Bauernkeramik neben dem
geschmackvoll linear verzierten feinen Ge-
schirr aus dem bemalenden Epilatenekreis, der
sich allmählich vermindert. Wir bemerken
durchgehend den starken Anteil der glänzend
roten oder schwarzen Ware, welche mit der
Terra Sigillata in Wettbewerb tritt. Die Sigil-
lata hält sich als Tafelgeschirr mit konstantem
Anteil durch die gesamte Zeit hindurch, nur
daß mit dem Beginn der claudischen Periode
der gallische Import den oberitalischen ver-
drängt. Krüge mit Kragen und Kelch rand,
frühe begrießte oder mit Auflage und Barbo-
tine verzierte Firnisware, Reibschüsseln mit
Steilrand und ihre Abbauformen, frühe dunkel-
rote Platten sind alle auf das 1. Jahrhundert
beschränkt. Es ist eine frischere und leben-
digere Formenwelt, als die des 2. Jahrhunderts,
welch letzte infolge der Eigenart der früheren
25) K. v. Schwerzenbach, Ein Gräberfeld von Brigantium, Jahrbuch für Altertumskunde (Wien) 3, 1909
(Beiblatt) 98 ff. — K. v. Schwerzenbach und J. Jacobs, Die römische Begräbnisstätte von Brigantium,
Jahrbuch für Altertumskunde 4, 1910, 33 ff.
26) M. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im Römischen Kaiserreich (1929) I, 189.
27) P. Reinecke, Röm. Germ. Korr. Bl. 5, 1912, 17 ff. — Unmittelbare keramische Verwandtschaft findet
man in Bregenz, auf der anderen Seite in Augsburg, Aislingen und Faimingen.
28) P. Reinecke, Röm. Germ. Korr. Bl. 5, 1912, 17 ff. Allgäuer Geschichtsfreund N. F. 28, 1928, 10. Ger-
mania 13, 1929, 146 ff. Abb. 1.
29) F. Drexel, Faimingen, 1911, 74. — F. Wagner, Die Römer in Bayern, 1928, 102 f.
— 41 —