sie ihn, führten ihn ausschließlich auf den einen oder andern dieser
Gesichtspunkte zurück, als ob sie kein Verständnis dafür hätten,
daß er all das vereint und noch etwas mehr ist. Um das Wesent-
lichste hat man ihn betrogen: die tiefe Einheit, die unter seiner
bunten Vielgestaltigkeit verborgen liegt. Nach meiner Auffassung
jedenfalls ist es keinem eingefallen, das Beschwörende und gleich-
zeitig so Plastische dieser „Komödie in hundert Akten“, die seine
Fabeln darstellen, herauszuheben und uns das Gefühl zu ver-
mitteln, daß ein Künstler den Inspirationen eines großen Dichters
seinen Zauber lieh. Aus diesem Grunde habe ich es für wünschens-
wert und möglich gehalten, dem Werk La Fontaines eine weniger
buchstäbliche, weniger fragmentarische Interpretation zu geben,
die ausdrucksvoller und synthetischer sein sollte; und meiner
Ansicht nach kann man eine solche Übertragung nur von einem
Maler mit Temperament fordern, einem Maler mit schöpferischer
Begabung, der von malerischen Einfällen strotzt. „Gut“, ant-
wortete man mir, „wie aber kann man auf die sonderbare Idee
verfallen, einen Ausländer dazu auszuersehen, das Werk eines
spezifisch französischen Geistes auszudeuten, einen Champagner
zu illustrieren?“ — Die Einwendung überrascht mich nicht. Sie
ist zu natürlich, als daß ich sie nicht schon selbst erhoben hätte.
Aber sie kann mich nicht hindern.
Ich halte es für sehr richtig, daß man La Fontaine ausgesprochen
als authentischen Repräsentanten französischen Geistes ansieht
und ihn unter diesem Aspekt betrachten will. Aber auch das
bedeutet meines Erachtens eine Schmälerung, einen Raub an
seinem Ruhm, eine Beeinträchtigung seines Genies, dessen Aus-
strahlung durch keine Grenzen gehemmt wird, weder zeitlich
noch räumlich. Ich möchte geradezu behaupten, daß man La
Fontaine unrecht tut, wenn man ihn als charakteristischen Schrift-
steller unseres großen Jahrhunderts registriert. Daß wir ihn heute
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Gesichtspunkte zurück, als ob sie kein Verständnis dafür hätten,
daß er all das vereint und noch etwas mehr ist. Um das Wesent-
lichste hat man ihn betrogen: die tiefe Einheit, die unter seiner
bunten Vielgestaltigkeit verborgen liegt. Nach meiner Auffassung
jedenfalls ist es keinem eingefallen, das Beschwörende und gleich-
zeitig so Plastische dieser „Komödie in hundert Akten“, die seine
Fabeln darstellen, herauszuheben und uns das Gefühl zu ver-
mitteln, daß ein Künstler den Inspirationen eines großen Dichters
seinen Zauber lieh. Aus diesem Grunde habe ich es für wünschens-
wert und möglich gehalten, dem Werk La Fontaines eine weniger
buchstäbliche, weniger fragmentarische Interpretation zu geben,
die ausdrucksvoller und synthetischer sein sollte; und meiner
Ansicht nach kann man eine solche Übertragung nur von einem
Maler mit Temperament fordern, einem Maler mit schöpferischer
Begabung, der von malerischen Einfällen strotzt. „Gut“, ant-
wortete man mir, „wie aber kann man auf die sonderbare Idee
verfallen, einen Ausländer dazu auszuersehen, das Werk eines
spezifisch französischen Geistes auszudeuten, einen Champagner
zu illustrieren?“ — Die Einwendung überrascht mich nicht. Sie
ist zu natürlich, als daß ich sie nicht schon selbst erhoben hätte.
Aber sie kann mich nicht hindern.
Ich halte es für sehr richtig, daß man La Fontaine ausgesprochen
als authentischen Repräsentanten französischen Geistes ansieht
und ihn unter diesem Aspekt betrachten will. Aber auch das
bedeutet meines Erachtens eine Schmälerung, einen Raub an
seinem Ruhm, eine Beeinträchtigung seines Genies, dessen Aus-
strahlung durch keine Grenzen gehemmt wird, weder zeitlich
noch räumlich. Ich möchte geradezu behaupten, daß man La
Fontaine unrecht tut, wenn man ihn als charakteristischen Schrift-
steller unseres großen Jahrhunderts registriert. Daß wir ihn heute
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