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Galerie Flechtheim; Kandinsky, Wassily [Ill.]
Kandinsky: Februar 1931 — Berlin: Galerie Alfred Flechtheim, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.70162#0005
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für Kunstgeschichte
in München
WASSILY KANDINSKY
Kandinsky hat nicht nur die Verwertung eindeutiger Formen er-
kannt, sondern gleichzeitig eine Fülle neuer Darstellungsmittei,
in erster Linie Farben- und Formendurchleuchtungen, die das
Bild lockern, es steigen, schweben, gleiten lassen, es von der
Gesetzmäßigkeit der realen Welt lösen und neuen Kräften öffnen.
1924 tritt Kandinsky in das bisher letzte Stadium seiner Kunst.
Es ist charakterisiert durch große Ruhe mit starker innerer
Spannung, durch Hervortreten starker, aber verhaltener Farben,
durch einen größeren Schichtenreichtum, in den sich der Be-
schauer von Stufe zu Stufe hineinsieht. Das Bild wird im er-
höhten Maße synthetisch, oder wie Kandinsky einmal sich aus-
drückte, an die Stelle des „Entweder-Oder“ tritt das „Und“.
Dieses Synthetische bezieht sich natürlich nur auf seine eignen
Erfahrungen und auf das, was jeder, auch der Führende, sich
amalgamiert. Nicht nachahmend, sondern miterlebend. Es ist
nicht gleichgültig, ob sich die Atmosphäre verdichtet, oder ob
man ins Leere arbeitet. Man dient der Kunst auch heute auf
verschiedene Weise, aber es ist gewiß, daß spätere Geschlechter
die bahnbrechenden Künstler unserer Zeit als Einheit sehen
werden.
Es gibt in dieser letzten Gruppe von Bildern den Aufstieg zu
einer Polyphonie und Polytonalität, die selbst an Kandinskys
eigenen Werken der früheren Jahre gemessen wie eine Auf-
lösung der Form aussieht, weil der Zusammenhang nur noch im
Geistigen, im Irrationalen liegt, also in einer Sphäre, die sich
beinahe der Kontrolle entzieht. Es liegt nahe, an den auf-
gelösten Charakter von Spätwerken zu denken, an Beethovens
letzte Streichquartette z. B. und zu vermuten, daß auch hier
alles äußerlich Synthetische erlischt zu Gunsten eines mehr
geistig objektiven Tatbestands, der erst allmählich Eigentum der
Aufnehmenden werden kann.
 
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