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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Pechmann, Günther von: Die formschaffende Arbeit in der Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0082

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
teur der Maschine bei Beachtung aller technischen Notwendigkeiten ein Spielraum, innerhalb dessen
er nicht nach mechanischen, sondern nach ästhetischen Gesetzen zu gestalten vermag. Aus dem Zu-
sammenwirken des Betriebsleiters mit begabten Konstrukteuren entsteht dann jene scheinbare Zweck-
form, die, wenn auch in manchem nur um Nuancen von den voran gegangenen Formen verschieden,
den feinen Veränderungen im Formgefühl der Zeit Rechnung trägt.

Erzeugt die formschaffende Arbeit des Ingenieurs, wenn sie ästhetischen Erwägungen Folge gibt
künstlerische Werte? Es sind nicht Wenige, die bereit sind, diese Frage zu bejahen. So meint
zwar Utitz, man könne die Maschine ästhetisch genießen, aber nicht künstlerisch, weil dieser Ge-
nuß nicht unmittelbar aus dem Gestaltungsproblem entspringt, das in eine ganz andere Richtung weist.
„Sollte sich aber zeigen“, fährt er fort, „daß bei der Maschine auch die Gestaltung auf diese Wirkung
der Freude hin geübt ist, so wäre dies allerdings ein künstlerischer Zug an ihr“. Wäre diese letzte Fol-
gerung richtig, so würde jeder modernen Schnellzugslokomotive und jedem gut gebauten Automobil,
aber auch einem Paar schön geformter Herrenstiefel, künstlerischer Wert inne wohnen; denn bei allen
diesen Erzeugnissen wird die Formgebung keineswegs nur durch den Gebrauchszweck, sondern auch
durch die Rücksicht auf die ästhetische Wirkung beeinflußt. Wir kämen zu einer Verwirrung der Be-
griffe, die für die Kunst wie für die industrielle Produktion gleich unheilvolle Folgen hätte ■—- und sie
vielleicht schon gehabt hat.
„Die Erzeugung ästhetischer Emotionen durch ein beliebiges Ding“, sagt Spitzer (a. a. O. S. 298 f.)
„verbunden noch mit dem Umstande, daß dieses Ding ein Produkt bewußter menschlicher Tätigkeit
ist, erweist sich als ganz und gar unzulänglich für die Begriffsbestimmung des „Künstlerischen“. Denn
dann müßte so ziemlich alles, was aus Menschenhand hervorgeht, als echtes wahrhaftes Kunstwerk
gelten . . . Aber auch die weitere doppelte Hinzufügung zu jener mangelhaften Bestimmung: erstens,
daß Lustgefühle, Gefühle von positivem ästhetischen Werte, erregt werden, und zweitens, daß die Wek-
kung solcher Lustgefühle mit zu den Absichten des Bildners oder Erzeugers des Gegenstandes gehört
hat, reicht für den in Frage stehenden Zweck nicht hin“. Bei solcher Begriffsbestimmung würde tat-
sächlich jede Schranke zwischen Industrie und Kunst fallen, eine Möglichkeit, an welche die Führer
der modernen kunstgewerblichen Bewegung teilweise glauben. So hat Richard Riemerschmid auf der
Werkbundtagung 1919 in Stuttgart die Anschauung vertreten, daß zwischen dem ästhetisch wertvollen
Erzeugnis eines Fabrikanten und irgend einem Meisterwerk der bildenden Kunst nur ein Unterschied
in der Quantität der künstlerischen Leistung bestünde. Karl Schmidt-Hellerau äußerte bei dem
gleichen Anlaß, daß in einem Industrieerzeugnis wie dem Bosch-Zünder mehr künstlerisches Gefühl
stecke als in der ganzen Stuttgarter Kunst in den letzten 20 Jahren. Es ist nun wohl unbestreitbar, daß
ein Bosch-Zünder mehr ästhetisches Gefallen erwecken kann als ein mißlungenes Bild. Aber die Be-
zeichnung „Kunst“ und „künstlerisch“ werden hier in einer Bedeutung gebraucht, die sich nicht mehr
deckt mit dem von der modernen Menschheit mit dem Worte Kunst verknüpften Begriffsinhalt. Noch
für Goethe war Kunst „die zur Tat verwendete Wissenschaft“, also ein „Können“*). Eine Differenzie-
rung erfuhr dieser alte Kunstbegriff durch Kant, der zwischen mechanischer und ästhetischer Kunst
unterschied; von diesen beiden Begriffen mußte der erstere in dem Maße schwinden, als die Technik
rational wurde, ein Vorgang, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzieht. Die ästhetische Kunst
aber trennt Kant in solche Kunst, die zum Zweck habe, daß die Lust die Vorstellungen als bloße Emp-
*) Goethes Werke, 23/277 („Aus Makariens Archiv“).

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