DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
findungen begleite; er nennt sie die „angenehme“ und stellt ihr die „schöne“ Kunst gegenüber, welche
die reflektierende Urteilskraft und nicht die Sinnesempfindung zum Richtmaß hat. „Schöne Kunst
ist Kunst des Genies“ überschrieb Kant das Kapitel, welches er der Erzeugung des Kunstwerkes
widmete und damit legte er den Grund zu jener Auffassung des 19. und noch mehr des 20. Jahr-
hunderts, die den Begriff „Kunst“ nur mehr da angewendet wissen will, wo sich die Persönlichkeit des
Schaffenden in seinem Werke manifestiert, „um dadurch als eigenes Selbst anderen zu erscheinen“.
Die Persönlichkeit des Schaffenden geht in sein Werk ein durch die Mittel der Technik. Mit Hilfe
von Pinsel und Meißel, von Stichel und Feile kommt es zur Beseelung der Materie; je unmittelbarer
die Einwirkung des Künstlers ist, um so beseelter kann der Stoff erscheinen. Bei einem Bronzeguß
z. B. schiebt sich zwischen Modell und Werk die tote Gußform ein; nimmt der Künstler das fertige
Gußstück noch einmal selbst in die Hand, um es zu ziselieren, so erscheint es „lebendiger“, und zwar
in höherem Maße, als wenn dies von Hilfsarbeitern ausgeführt wird. Man beachte, wie die herkömm-
liche Ausdrucksweise von dem Erzeugnis von Menschenhand wie von etwas Lebendem, Organischem
spricht!
Durch die Maschine werden die Leistungen des Menschen über das natürliche Ausmaß seiner Organe
hinausgehoben, die Leistungen werden verstärkt, verfeinert, vergenauigt, bis schließlich kein Persön-
lichkeitsrest mehr an ihnen haftet. Je vollkommener das den Arbeitsmaschinen gelingt, um so voll-
kommener sind sie selbst. Weil jede moderne Maschine bis in ihren kleinsten Teil selbst ein Maschi-
nenerzeugnis ist, deshalb kann sie wohl ästhetisch erfreuen, aber niemals zum Kunstwerk werden.
Der gebildete Ingenieur weiß das; er fühlt sich glücklicherweise nie versucht, künstlerische Schaffens-
methoden, die mit maschineller Herstellung unvereinbar sind, auf die Industrie zu übertragen. Wie immer
das Problem „Maschinenkunst“ gedreht und gewendet werden mag, es findet sich keine Stelle, von der
aus seine Lösung vorgenommen werden könnte. Oder vielmehr: die einzige Lösung, die als möglich er-
scheint, ist die des Verzichtens. Dieser Verzicht wird uns erleichtert durch die Erkenntnis, daß die
Unvereinbarkeit maschineller Herstellung mit „künstlerischer“ Wirkung nicht ausschließt, daß das
Maschinenerzeugnis ästhetischen Wert besitzt.*)
In dieser Erkenntnis liegt der Wert einer klaren Unterscheidung der beiden Begriffe. Würde sie zum
geistigen Eigentum der Erzeuger wie der Verbraucher werden, so würden viele Mißverständnisse aus-
geschaltet, Kraft und Zeit gewonnen, und die gewerbliche Produktion von kulturfeindlichen Verirrungen
bewahrt bleiben. Der Kölner Werkbundstreit um die individuelle und typische Form wäre auf der Basis
dieser Erkenntnis nicht möglich gewesen.**) Van de Veldes Individualismus ist überall berechtigt, wo es
sich um handgearbeitete Werke handelt — an gefangen von der kleinsten Goldschmiedearbeit bis zum
hochgetürmten Werk der Baukunst. Typische Formen im Sinne von Muthesius dagegen schafft die
Maschine — muß sie schaffen, wenn sie nicht zur Erzeugung von Talmikunstwerken erniedrigt werden
soll. Jenen Schöpfungen der menschlichen Hand kommt in ihrer höchsten Vollendung künstlerische Be-
deutung zu — die Typen der maschinellen Produktion können zu ästhetischer Vollkommenheit gesteigert
werden. Indem jede der beiden Produktionsarten ihrem eigenen Gesetze treu bleibt, können sie beide
Kulturwerte schaffen.
*) In Anlehnung an Spitzer und Dessoir habe ich dem „ästhetischen“ Wert den „künstlerischen“ Wert gegenübergestellt; jedoch würde
sich die Scheidung der Begriffe, auf die es hier ankommt, auch ermöglichen lassen, wenn man zwischen „geschmackvoll“ und „künst-
lerisch“, zwischen „Geschmackswerten“ und „künstlerischen“ Werten unterscheiden wollte. Das „Ästhetische“ würde dann das ganze
Gebiet umschließen, eine Anwendung dieses Begriffes, die wahrscheinlich in Ansehung seiner bisherigen philosophischen Geltung mehr
Zustimmung fände.
**) Vergl. H. Hark ort, „Künstler, MassenerzeugnisundType“ in den Mitteilungen des Deutschen Werkbundes, Nr. 5, Berlin 1920.
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findungen begleite; er nennt sie die „angenehme“ und stellt ihr die „schöne“ Kunst gegenüber, welche
die reflektierende Urteilskraft und nicht die Sinnesempfindung zum Richtmaß hat. „Schöne Kunst
ist Kunst des Genies“ überschrieb Kant das Kapitel, welches er der Erzeugung des Kunstwerkes
widmete und damit legte er den Grund zu jener Auffassung des 19. und noch mehr des 20. Jahr-
hunderts, die den Begriff „Kunst“ nur mehr da angewendet wissen will, wo sich die Persönlichkeit des
Schaffenden in seinem Werke manifestiert, „um dadurch als eigenes Selbst anderen zu erscheinen“.
Die Persönlichkeit des Schaffenden geht in sein Werk ein durch die Mittel der Technik. Mit Hilfe
von Pinsel und Meißel, von Stichel und Feile kommt es zur Beseelung der Materie; je unmittelbarer
die Einwirkung des Künstlers ist, um so beseelter kann der Stoff erscheinen. Bei einem Bronzeguß
z. B. schiebt sich zwischen Modell und Werk die tote Gußform ein; nimmt der Künstler das fertige
Gußstück noch einmal selbst in die Hand, um es zu ziselieren, so erscheint es „lebendiger“, und zwar
in höherem Maße, als wenn dies von Hilfsarbeitern ausgeführt wird. Man beachte, wie die herkömm-
liche Ausdrucksweise von dem Erzeugnis von Menschenhand wie von etwas Lebendem, Organischem
spricht!
Durch die Maschine werden die Leistungen des Menschen über das natürliche Ausmaß seiner Organe
hinausgehoben, die Leistungen werden verstärkt, verfeinert, vergenauigt, bis schließlich kein Persön-
lichkeitsrest mehr an ihnen haftet. Je vollkommener das den Arbeitsmaschinen gelingt, um so voll-
kommener sind sie selbst. Weil jede moderne Maschine bis in ihren kleinsten Teil selbst ein Maschi-
nenerzeugnis ist, deshalb kann sie wohl ästhetisch erfreuen, aber niemals zum Kunstwerk werden.
Der gebildete Ingenieur weiß das; er fühlt sich glücklicherweise nie versucht, künstlerische Schaffens-
methoden, die mit maschineller Herstellung unvereinbar sind, auf die Industrie zu übertragen. Wie immer
das Problem „Maschinenkunst“ gedreht und gewendet werden mag, es findet sich keine Stelle, von der
aus seine Lösung vorgenommen werden könnte. Oder vielmehr: die einzige Lösung, die als möglich er-
scheint, ist die des Verzichtens. Dieser Verzicht wird uns erleichtert durch die Erkenntnis, daß die
Unvereinbarkeit maschineller Herstellung mit „künstlerischer“ Wirkung nicht ausschließt, daß das
Maschinenerzeugnis ästhetischen Wert besitzt.*)
In dieser Erkenntnis liegt der Wert einer klaren Unterscheidung der beiden Begriffe. Würde sie zum
geistigen Eigentum der Erzeuger wie der Verbraucher werden, so würden viele Mißverständnisse aus-
geschaltet, Kraft und Zeit gewonnen, und die gewerbliche Produktion von kulturfeindlichen Verirrungen
bewahrt bleiben. Der Kölner Werkbundstreit um die individuelle und typische Form wäre auf der Basis
dieser Erkenntnis nicht möglich gewesen.**) Van de Veldes Individualismus ist überall berechtigt, wo es
sich um handgearbeitete Werke handelt — an gefangen von der kleinsten Goldschmiedearbeit bis zum
hochgetürmten Werk der Baukunst. Typische Formen im Sinne von Muthesius dagegen schafft die
Maschine — muß sie schaffen, wenn sie nicht zur Erzeugung von Talmikunstwerken erniedrigt werden
soll. Jenen Schöpfungen der menschlichen Hand kommt in ihrer höchsten Vollendung künstlerische Be-
deutung zu — die Typen der maschinellen Produktion können zu ästhetischer Vollkommenheit gesteigert
werden. Indem jede der beiden Produktionsarten ihrem eigenen Gesetze treu bleibt, können sie beide
Kulturwerte schaffen.
*) In Anlehnung an Spitzer und Dessoir habe ich dem „ästhetischen“ Wert den „künstlerischen“ Wert gegenübergestellt; jedoch würde
sich die Scheidung der Begriffe, auf die es hier ankommt, auch ermöglichen lassen, wenn man zwischen „geschmackvoll“ und „künst-
lerisch“, zwischen „Geschmackswerten“ und „künstlerischen“ Werten unterscheiden wollte. Das „Ästhetische“ würde dann das ganze
Gebiet umschließen, eine Anwendung dieses Begriffes, die wahrscheinlich in Ansehung seiner bisherigen philosophischen Geltung mehr
Zustimmung fände.
**) Vergl. H. Hark ort, „Künstler, MassenerzeugnisundType“ in den Mitteilungen des Deutschen Werkbundes, Nr. 5, Berlin 1920.
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