DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTE NDEARBEIT
Angst erlöst. Es behauptet seinen Boden, in dem es sein Anders-Sein mit sicherem Gefühl herausarbeitet.
Dadurch kann es, anstatt Sammlung bedrohten, das Pveservoir schöpferischen Persönlichkeitsbewußt-
seins werden; dies aber nur, wenn es seine Funktionen nicht nur als eine Sache der Wirtschaftspolitik
begreift, sondern als eine Verpflichtung zur vollkommenen Arbeitsleistung. Gebt der Maschine, was der
Maschine ist, laßt der Hand, was der Hand ist.
Nun ist der Wille zur gemäßen Form sicher auch, beim Schaffenden wie beim Begehrenden, eine
Erziehungsfrage. Aber man soll den Respekt vor pädagogischen Institutionen in diesem Bezirke beschei-
den halten. So wenig die Schulanstalt die Lieferung von Künstlern garantiert, so aussichtslos, ja gefähr-
lich ist ein Verfahren, das methodisch „Stilgefühl“ verbreitet. Es gibt kein Serum für Kunstverstand,
und Gott bewahre uns vor der Massenerscheinung eines literarisierenden Geschmäcklertums. Was wir
brauchen, ist eine Empfindung für die Würde der guten Arbeit und Freude am Reiz formaler Erfin-
dung. Das ist es, was schließlich in dem Wort „Sinn für Qualität“ steckt, Ehrfurcht und Fröhlichkeit.
Moderne Literaten preisen gelegentlich den „Kitsch“, weil er dem „Spieltrieb“ der Menschen entspreche •
sie machen ein Kompliment vor der Masse und sind nebenher wohl Sozialisten, vergessen aber, daß
Kitsch auch Schundlohn, schlechtes Material, freudlose Arbeit heißt. Hier öffnen sich weite, sozialpoli-
tische Perspektiven, in denen sich leider bis heute das Moralische nicht von selbst versteht.
Aber das Ziel ist, überhaupt zu Selbstverständlichkeiten zu kommen: daß Industrie Industrie ist und
aus ihrer Welt ihre Eigengesetzlichkeit der Form entwickle, die eine gute Form sein wird, wenn sie
nicht Täuscherstücke betreibt. Daß Kunst wohl persönliche Gestaltung und Auseinandersetzung ist, aber
nur dann wahrhaft fruchtbar, wenn sie sich an das Lebendige ihrer Zeit und ihres Volkes gebunden weiß, daß
dies Lebendige weder im rationalistischen Schlagwort noch in zeitflüchtiger Romantik zu finden ist, son-
dern in der konkreten Fülle der Wirklichkeit, die um die Gestaltung eines Volksbewußtseins kämpft.
Vom Bauen unserer Zeit
Ein Vortrag von Hans Poelzig
Dem Menschen von heute, zumal dem Deutschen, ist nichts schwerer, als unbefangen mit dem Auge
das, was als Werk der bildenden Kunst vor ihm steht, sehen zu lernen. Der Deutsche sieht nach
wie vor sozusagen mit dem Ohr.
Durch die begriffliche Schulung daran gewöhnt, liest er nach, was über alle jene Dinge berichtet
wird und stellt sich danach ein. Und je mehr seine Seele nach der Erkenntnis aller künstlerischen Dinge
dürstet, um so leichter ist er dem verfallen, was manchmal klarer, oft auch sehr verworren, berichtet wird
und ist recht froh, wenn ihm ein Schlagwort geboten wird, an das er sich klammern kann. Mag dieses Wort
auf dem Gebiet der Architektur: Heimatkunst, Werkkunst, Zweckstil oder sonst noch was heißen — der
Deutsche, soweit ihm künstlerische Nahrungseiner Seele zu frommen scheint, ist ihm zumeist verfallen. —
Die Naivität der Anschauung fehlt fast völlig, wenn man den nicht naiv nennen will, dem alle künst-
lerischen Dinge völlig gleichgültig sind, und der bestenfalls über das, was seinem Erkennen fremd ist,
lacht oder sich entrüstet. Bis er nach einer Reihe von Jahren Werke des früher von ihm verhöhnten
Schaffensgebietes zu begreifen glaubt, sie verteidigt und sich mit frischer Wut gegen das wendet, das
den ihm heilig gewordenen Besitz an künstlerischen Werten zu bedrohen scheint.
All das geschieht so, da weitaus die Mehrzahl der Menschen lediglich die Äußerlichkeiten eines Kunst-
werkes, beim Bild zum Beispiel die Darstellungsweise, begreift, sie wie eine Sprache erlernt und natürlich
eine andere Darstellungsweise als fremdsprachlich und unverständlich empfindet.
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Angst erlöst. Es behauptet seinen Boden, in dem es sein Anders-Sein mit sicherem Gefühl herausarbeitet.
Dadurch kann es, anstatt Sammlung bedrohten, das Pveservoir schöpferischen Persönlichkeitsbewußt-
seins werden; dies aber nur, wenn es seine Funktionen nicht nur als eine Sache der Wirtschaftspolitik
begreift, sondern als eine Verpflichtung zur vollkommenen Arbeitsleistung. Gebt der Maschine, was der
Maschine ist, laßt der Hand, was der Hand ist.
Nun ist der Wille zur gemäßen Form sicher auch, beim Schaffenden wie beim Begehrenden, eine
Erziehungsfrage. Aber man soll den Respekt vor pädagogischen Institutionen in diesem Bezirke beschei-
den halten. So wenig die Schulanstalt die Lieferung von Künstlern garantiert, so aussichtslos, ja gefähr-
lich ist ein Verfahren, das methodisch „Stilgefühl“ verbreitet. Es gibt kein Serum für Kunstverstand,
und Gott bewahre uns vor der Massenerscheinung eines literarisierenden Geschmäcklertums. Was wir
brauchen, ist eine Empfindung für die Würde der guten Arbeit und Freude am Reiz formaler Erfin-
dung. Das ist es, was schließlich in dem Wort „Sinn für Qualität“ steckt, Ehrfurcht und Fröhlichkeit.
Moderne Literaten preisen gelegentlich den „Kitsch“, weil er dem „Spieltrieb“ der Menschen entspreche •
sie machen ein Kompliment vor der Masse und sind nebenher wohl Sozialisten, vergessen aber, daß
Kitsch auch Schundlohn, schlechtes Material, freudlose Arbeit heißt. Hier öffnen sich weite, sozialpoli-
tische Perspektiven, in denen sich leider bis heute das Moralische nicht von selbst versteht.
Aber das Ziel ist, überhaupt zu Selbstverständlichkeiten zu kommen: daß Industrie Industrie ist und
aus ihrer Welt ihre Eigengesetzlichkeit der Form entwickle, die eine gute Form sein wird, wenn sie
nicht Täuscherstücke betreibt. Daß Kunst wohl persönliche Gestaltung und Auseinandersetzung ist, aber
nur dann wahrhaft fruchtbar, wenn sie sich an das Lebendige ihrer Zeit und ihres Volkes gebunden weiß, daß
dies Lebendige weder im rationalistischen Schlagwort noch in zeitflüchtiger Romantik zu finden ist, son-
dern in der konkreten Fülle der Wirklichkeit, die um die Gestaltung eines Volksbewußtseins kämpft.
Vom Bauen unserer Zeit
Ein Vortrag von Hans Poelzig
Dem Menschen von heute, zumal dem Deutschen, ist nichts schwerer, als unbefangen mit dem Auge
das, was als Werk der bildenden Kunst vor ihm steht, sehen zu lernen. Der Deutsche sieht nach
wie vor sozusagen mit dem Ohr.
Durch die begriffliche Schulung daran gewöhnt, liest er nach, was über alle jene Dinge berichtet
wird und stellt sich danach ein. Und je mehr seine Seele nach der Erkenntnis aller künstlerischen Dinge
dürstet, um so leichter ist er dem verfallen, was manchmal klarer, oft auch sehr verworren, berichtet wird
und ist recht froh, wenn ihm ein Schlagwort geboten wird, an das er sich klammern kann. Mag dieses Wort
auf dem Gebiet der Architektur: Heimatkunst, Werkkunst, Zweckstil oder sonst noch was heißen — der
Deutsche, soweit ihm künstlerische Nahrungseiner Seele zu frommen scheint, ist ihm zumeist verfallen. —
Die Naivität der Anschauung fehlt fast völlig, wenn man den nicht naiv nennen will, dem alle künst-
lerischen Dinge völlig gleichgültig sind, und der bestenfalls über das, was seinem Erkennen fremd ist,
lacht oder sich entrüstet. Bis er nach einer Reihe von Jahren Werke des früher von ihm verhöhnten
Schaffensgebietes zu begreifen glaubt, sie verteidigt und sich mit frischer Wut gegen das wendet, das
den ihm heilig gewordenen Besitz an künstlerischen Werten zu bedrohen scheint.
All das geschieht so, da weitaus die Mehrzahl der Menschen lediglich die Äußerlichkeiten eines Kunst-
werkes, beim Bild zum Beispiel die Darstellungsweise, begreift, sie wie eine Sprache erlernt und natürlich
eine andere Darstellungsweise als fremdsprachlich und unverständlich empfindet.
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