Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

DOI Artikel:
Poelzig, Hans: Vom Bauen unserer Zeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0023

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE FORM/MONATS SCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Das Interesse, auch unserer sogenannten Gebildeten, an den Schöpfungen der bildenden Kunst ist —
gemessen an der Gesamtzahl — wohl kaum sehr groß. Die Flut der Schriften, die sich damit befaß t?
wendet sich schließlich doch an einen verhältnismäßig kleinen Kreis. Und zumindest neun Zehntel des
Interesses, das dieser Kreis für die bildende Kunst überhaupt auf bringt, wendet sich der Malerei zu; von
dem Rest wird immer noch weitaus der größte Teil an Interesse der Plastik zugute kommen.
Für Architektur als Kunst hat man, bisher wenigstens, recht wenig übrig gehabt. Der Deutsche, der
schon ohnedies, im wahren Sinne des Wortes, nicht sehen kann, sieht natürlich am Bauwerk noch viel
weniger die Melodie der Linien und Formen oder der Farben als am gemalten Bild, das sinnlich viel
unmittelbarer auf ihn einwirkt, und bei dem sich noch viel leichter ein gegenständliches Interesse einstellt.
Daß er danach den Malereien der neuesten Kunst, die auf eine gegenständliche Darstellung mehr
oder weniger verzichtet, hilflos gegenübersteht, ist durchaus zu begreifen.
Aus einem ganz ähnlichen Grunde pflegt man aber den Werken der Architektur gegenüber kein
Verständnis aufzubringen, und man klammert sich hier noch mehr an Äußerlichkeiten, um für sich
selbst einen Standpunkt zu gewinnen. Und besonders erschwerend wirkt es, daß gerade die deutsche
Architektur, wie zu keiner Zeit der Vergangenheit, in den letzten Jahrzehnten modischen Strömungen
unterworfen wurde. Der Sprung vom Jugendstil in die Heimatkunst war heftig und unvermittelt, und
die Perioden des Wechsels der Anschauung zählen höchstens nach Jahrzehnten, bei einer Kunst, deren
stilistische Wandlungen für Jahrhunderte festgelegt zu sein pflegten.
Das 19. Jahrhundert ging — zunächst in ruhigerem Tempo — in der Übernahme historischer Formen
von der Antike über die Renaissance zu den mittelalterlichen Formen über, um sich dann, seit dem
materiellen Aufblühen, in dem Zusammenraffen der Formen der verschiedensten künstlerischen Perioden
geradezu zu überschlagen. Ein plötzlicher Abbruch dieser Bewegung geschah im Jugendstil, der auf jede
künstlerische Tradition verzichten wollte, und wenn man ihn als eine Revolution ansehen will, so ging
die Reaktion schon nach wenigen Jahren auf eine sogenannte bodenständige Bauweise über, die sich
zumeist Heimatkunst nannte und in der sozusagen dialektischen Betonung volkstümlicher Klänge die
Rettung suchte.
Eine scharfe Auseinandersetzung verschiedener Richtungen — links der Revolutionären im Sinne
einer reinen, traditionslosen Formgestaltung — rechts der Betoner traditioneller Richtungen im Sinne
bürgerlicher Behaglichkeit, meist im sogenannten Biedermeierstil verankert, schien sich auf der Kölner
Werkbundausstellung anbahnen zu wollen, als der Krieg ausbrach. Und jetzt, nach dem Krieg, stehen
immer noch die Fronten da, der sogenannten Modernen und derer, die im Sinne einer formalistischen
Tradition zumeist dem Klassizismus zugeschwenkt sind.
Der Vergleich liegt ja scheinbar nahe, daß die verarmte Zeit wieder wie vor hundert Jahren durch
das Reinigungsbad der antikischen Formenwelt hindurchgehen soll. Wenn es auch natürlich schrecken
könnte, was alles im 19. Jahrhundert der antikisierenden Epoche folgte, die doch nur eine verhältnis-
mäßig kurze Zeit dem Bauschaffen ihren Stempel auf drücken konnte.
Und es zeigt eine sehr arge Verkennung der heutigen Lage — ganz abgesehen davon, daß sich die
Geschichte überhaupt nicht schematisch wiederholt — wenn man sie in Parallele mit der Zeit um die
Befreiungskriege herum setzen will, die am Beginn des technischen Zeitalters stand, während wir uns
trotz des Weltkrieges und aller seiner Folgen mitten drin befinden.
Wenn überhaupt ein Vergleich angestellt werden sollte, so wäre höchstens der mit der römischen
Periode um den Beginn unserer Zeitrechnung möglich.
Auch damals flössen künstlerische Traditionen aus der ganzen Welt zusammen. Die im eigentlichen
17
 
Annotationen