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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Gutzeit, Kurt: Das Problem des Raums im Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0145

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARREIT

Das Problem des Raums im Drama
von Dr. ing. Kurt Gutzeit
Das eigentliche Wesen des Dramas wird in der Idee des Gesamtkunstwerkes erfaßt, das heißt des
Kunstwerkes, das vollkommenes Sinnbild des Gesamtlebens zu sein vermag. In diesem Sinne ist
das Theater oft als „Spiegel des Lebens“ bezeichnet worden.
Das gesamte Daseinserlebnis des Menschen kommt in den Formen von Raum und Zeit zum Bewußt-
sein. Der zeit-räumliche Erlebnisakt wirkt sich aus gleichzeitig in polarer Form: konzentrierend zum
„Ich“, auflösend zur „Welt“. So haben wir also das Leben in dem Verhältnis vom „Ich“ zur „Welt“.
Im Gebiete der sinnlichen Wahrnehmung entspricht dieser Polarität das Verhältnis von Ton und Licht:
Der Ton beseelt als rhythmischer Atem das Innerlichste des Körpers, das „Ich“; das Licht schafft das
räumliche Erlebnis des Äussern, die „Welt“! Diese Wechselbeziehung von „Ich“ und „Welt“, von „Ton“
und „Licht“ im Daseinserlebnis besitzt in der Beziehung von Kreismittelpunkt zu Kreisumfang sein
vollkommenes Anschauungsbild.
Unter den einzelnen Künsten, die wir als Musik, Dichtung, Mimik, Malerei und Architektur be-
zeichnen, sind in Musik und Architektur wiederum die beiden Pole von Ich und Welt erkennbar, in-
dem die Musik der eigentliche innerste Ausdruck des Ich ist, während in der Architektur die Umwelt
gestaltet wird. Doch da jede Kunst für sich getrennt existiert, ist sie Abbild nur für einen Teil des
menschlichen Daseinserlebens. Gesamtkunstwerk jedoch nennen wir nur das Kunstwerk, das gleich wie
das reale Leben zeitlich und räumlich zugleich gestaltet: Zeit wird zum Raum und Raum zur Zeit.
Dies zu schaffen ist aber keine andere Kunst imstande außer der Kunst des Theaters, zu der als
Vorstufe gehörig auch bereits der Tanz anzusehen ist. Der Grund dafür, daß die anderen Künste teils
rein zeitliche sind, teils rein räumliche, liegt in der Besonderheit der Darstellungsmittel, die jedesmal aus-
schließlich nur zeitlich oder nur räumlich gestalten können! Beim Theater jedoch ist der lebende Mensch
das Darstellungsmittel, in dem einzig räumliche und zeitliche Daseinsform vereinigt ist: Bewegung,
Sprache, Ton sind zeitliche Daseinsformen; zu diesen kommt die körperliche Daseinsform, denn ohne
diese gibt es keine Existenz für den Menschen. Ebenso ist im Körperlichen bereits das Räumliche vor-
handen, da der Körper als ein Teil des Raumes existiert, und umgekehrt der Raum seine Tatsächlich-
keit, Bedeutung und Proportion erst durch den menschlichen Körper für uns erhält, der gewissermaßen
durch seinen Lebensrhythmus den Raum in jedem Augenblick aus sich herausstellt!
Es war von je das Bemühen des kunstschaffenden Menschen, gleich wie im realen Leben so auch
im Drama zeitliche und räumliche Darstellungselemente zu verschmelzen. Schon der Dichter erschaut
das Drama zeit-räumlich: Sein Buch gibt nicht nur Anweisung für die Sprache, sondern ebenso für
den Raum und die Bewegung im Raume! Die Entwicklung der dramatischen Idee führt durch Raum
und Zeit!
Das antike Theater der Griechen wurde diesen Anforderungen in einer Weise gerecht, die ideell
wie technisch vollkommen war: Im freien, sonnenlichtdurchfluteten Raume griechischer Landschaft
stand das Bühnenpodium mit seiner typischen Dekoration der Skenenwand und gegenüber das Amphi-
theatron, die in konzentrischen Halbkreisringen ansteigende Sitzanlage der Zuschauer. Der ringsum-
grenzende natürliche Landschaftshorizont fand in der Parallelform des Orchestrakreises in der Mitte
der Anlage sein architektonisches Abbild, das ideell wie konstruktiv Disposition und Masse des gesamten
Bauwerks bestimmte. In dieser architektonischen Anlage hatte sich der Grieche ein ausdrucksvolles

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