Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0355

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DIE FORM/MONATSSGHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Eure gestaltende Arbeit genau zu studieren, nicht stöhnend und verdrossen, sondern in der Erkenntnis,
daß sie der gesunde Boden sind, der Kraft und Nahrung in jeder Hinsicht spenden wird für den zarten
Keim eurer Phantasie. Tretet ein in die Werkstatt, tretet ein in die Fabrik und erwerbt euch durch
bescheidene Einfügung in den Organismus ohne jeden Dünkel das Recht auf Mitarbeit. Ich weiß, daß
ein großer Teil schon danach handelt; aber viele fehlen noch. Wir müssen hinhören können auf die
Forderungen, die unsere Zeit an uns stellt, wir müssen uns einordnen lernen in den großen Organis-
mus des heutigen Lebens, das uns nötig braucht. Wir haben kein Recht, uns darüber zu beschweren,
wie tot und mechanisiert die Formen um uns werden, wenn wir fliehen in romantischer Befangenheit
vor den Notwendigkeiten heute. Lassen wir alle falsche Eitelkeit und Ausflüchte von uns fahren und
seien wir zufrieden, den Formen unserer Zeit einen zarten Schimmer von Schönheit verliehen zu haben.
Wenn wir Verantwortlichkeitsgefühl vom Fabrikanten fordern, müssen wir es auch fordern von uns
selbst. Sonst haben sie recht, uns Schwärmer und Phantasten zu nennen.
Für die Erzieher des künstlerischen Nachwuchses aber kann es nur eine Methode wirklicher Schu-
lung fürs Leben, zu künstlerischer Selbständigkeit für die späteren, neuen Aufgaben geben — und
glücklicherweise wird sie ja auch vielerseits angewandt —: an einfachen praktischen Arbeiten, zu denen
die Schalen die Einrichtungen besitzen, die Gesetze gesunderGestaltung zu lehren, die schöpferische Phan-
tasie von Anfang an zu gewöhnen an die Verbindung mit Material, Technik und Bestimmung des zu
Gestaltenden. Es ist unmöglich, in den Schulen alle Einrichtungen moderner Produktion zu schaffen;
es genügt, den Lernenden in praktischer Arbeit bei größter Freiheit der Phantasie zu künstlerischer
Disziplin zu erziehen, die Bindung als etwas Heilsames schätzen zu lehren. Dann wird er auch — ist’s
eine schöpferische Natur — später im Leben unter anderen Bedingungen, mit neuen Gegebenheiten
ohne Krampf und Fexerei die selbstverständliche Form finden, die uns nottut, sei es im Handwerk
oder mit der Maschine.
Zwei wesentliche Erscheinungen also sind es in der Hauptsache, die die gestaltende Arbeit unserer
Zeit beeinträchtigen: das Tempo des Fabrikanten bei der Gestaltung und die Romantik des Künstlers.—
Vorwärts!

Hand- und Maschinenspitze
von Dr. Marie Schuette, Leipzig

Die Spitze ist gegenwärtig das Stiefkind der Mode, und alle Versuche des letzten Jahres, sie zugunsten der
leidenden Plauener Spitzenindustrie an dem Gesellschaftskleide der Dame wieder zu Ehren zu bringen,
sind nicht geglückt. Im Gegenteil: es hat den Anschein, als wolle die Mode die gleiche Richtung weiter
innehalten auf gerade Abschlußlinien, auf Unregelmäßigkeit in Schnitt und Ausputz, auch möglichste
Beschränkung des Schmuckes. Das große Gesellschaftskleid bevorzugt im Augenblick den schweren,
großgemusterten Gold- und Silberbrokat, der keinen Schmuck neben sich zur Wirkung kommen läßt.
So bleibt für die Spitze als einziges Tummelfeld das Gebiet der Wäsche. Hier sind es aber nicht die
eigentlichen alten Spitzenarten, die bei der Mode in Gunst stehen, sondern Stickerei und Netzarbeit.
Die Stickerei auf Tüll als Tüllspitze — spitzzackig, unregelmäßig im Muster, mit figürlicher und orna-
mentaler Zeichnung, als Besatz und abgepaßte Decke. Das Gebiet der Filet- und der Strickspitze ist schon
durch die Technik beschränkter, da sie sich den verschiedenen Zwecken nicht so einfach anpassen. Als
runde Decke macht neuerdings die Netzarbeit der Strickspitze scharfe Konkurrenz, mit der Tüllstickerei
zusammen haben sie die Klöppelei weit zurückgedrängt.
Die ausgesprochene Vorliebe für die Tüllstickerei ist tiefer begründet, sie beruht darauf, daß sich
mit den einfachsten Mitteln und verhältnismäßig geringem Aufwand an Arbeit die Zeichnung ins
Textile, in den Spitzencharakter umsetzen läßt. Näh- und Klöppelspitze dagegen setzen eine ganz andere

11
 
Annotationen