DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
lieh sie sein mag, nicht mehr ändern können. — Bei diesem Kampf traten naturgemäß auch fürch-
terliche Erscheinungen zutage. Verantwortungslose Unternehmer machten, um den „inneren“ Absatz-
markt zu vergrößern, die Waren — ich denke an Textilien — schlechter, sodaß sie nur einen Bruchteil
solange hielten, als sie ihrem Aussehen nach zu versprechen schienen nach den alten Erfahrungen;
denn das „Aussehen“ pflegte der Unternehmer. Die Maschinen arbeiteten ja so schnell, da mußte eben
der Verbraucher gezwungen werden, mehr zu kaufen. Das Tempo wuchs. Und gerade auf dem Gebiet
der Mode wurde diese Entwicklung besonders merkbar. Man schuf sich das Mittel der „Saisonneuhei-
ten“, um der eventuellen Lebensfähigkeit eines Gewebes noch den Todesstoß zu versetzen durch das:
„nicht mehr modern“. Moden gab’s wohl zu allen Zeiten, aber das Tempo war anders: langsamer,
natürlicher. Hand in Hand mit der Verschlechterung der Gewebe und der verwendeten Farben ging
natürlich auch die Verschlechterung der Musterung. Alle Stile, alle Kulturen wurden bestohlen — und
werden es noch —, da die Zeit fehlte, in langsamer Arbeit neu aufzubauen. Man hatte keine Zeit, die
Voraussetzungen für eine gesunde Formensprache zu untersuchen, das Material, die Technik, die Be-
stimmung (Zweck und Einordnung) des Produktes als Grundlage für die Gestaltung erst genau kennen
zu lernen und in sich aufzunehmen, ehe man daran ging, sie in die spezielle Form zu bringen. Zu aller
schöpferischen Arbeit gehört Zeit und Ruhe, und diejenigen Fabrikanten, die diese Faktoren in Rech-
nung stellten, haben auch gute Waren hergestellt.
Wenn man sich überlegt, welch unerhörter, viel verzweigter Organismus hinter dem Wort „Mode“
steht, welche Summe von Erfahrung und Nachdenken, genialer Erfindung und Organisation, schöpfe-
rischer Phantasie und Anspannung hunderttausender von Händen nötig ist nur für einen Gehilfen der Mode,
den Stoffdruck, so kann man über die Tatsache nicht aus moralischen und ästhetischen Bedenken zur Tages-
ordnung übergehen. Wenn wir nicht zufrieden sind mit den jetzigen Produkten, wenn wir uns über ihre Ver-
flachung entrüst en, hilft nur eins: besser machen; aber machen, machen! Anpacken ohne zu große Ängstlich-
keit, unvoreingenommen, mit offenen Sinnen. Ohne alle Sentimentalität. Die Frage, ob Handwerk oder
Maschine ist dabei unwesentlich. Die Wahl der Produktionsmethode — Handwerk oder Maschine —
wird getroffen nach persönlicher Anlage; besser oder schlechter ist keine von beiden. Es handelt sich
nur darum, ob gute oder schlechte Erzeugnisse entstehen. Entscheidend ist, daß ein schöpferischer
Mensch die Aufgabe löst, daß das Produkt mit Ruhe aus Material und Technik geformt seiner Be-
stimmung vollendet dienen kann.
Deshalb rufe ich den Fabrikanten zu: Laßt euch die schöpferischen Kräfte nicht entgehen: Ihr braucht
sie! Holt sie heran! Gebt ihnen Gelegenheit, die Besonderheiten des betreffenden Materials und der
Technik kennen zu lernen und gebt ihnen Zeit, die diesen Voraussetzungen und der einstigen Bestim-
mung des Produkts gemäße Form zu finden. Dazu gehört Zeit, viel Zeit, viel Geduld, Intelligenz, Phan-
tasie und noch vielerlei; aber anders werden wir keine Formen finden, die denen des alten Handwerks
ebenbürtig sind. Viele hundert Chemiker arbeiten dauernd daran, eine Eigenschaft eurer Produkte,
die Farbe, zu verbessern. Und die Form, das Resultat so außerordentlich vieler mitbildender Faktoren,
soll so schlecht wegkommen, soll im Handumdrehen gefunden werden?! Wo die alten guten Formen
durch Generationen erst zur Vollendung gebracht wurden! Laßt euch nicht durch die Schnelligkeit,
mit der die Maschine arbeitet, verleiten, dieses Tempo auch auf die Vorarbeiten der Gestaltung, auch
auf den schöpferischen Menschen zu übertragen. Es hat sich schön bitter gerächt. Die Arbeit des gestal-
tenden Menschen ist als natürlicher Vorgang auch den Naturgesetzen unterworfen; jede Frucht braucht
Zeit zur Reife.*)
Und den Künstlern, den schöpferischen Kräften rufe ich zu: Habt keine Angst vor der Maschine, vor
dem Handwerk, vor dem Technischen; scheut euch nicht, die Voraussetzungen und Bindungen für
*) Einen Versuch, das Rasetempo zu verlangsamen, haben z, B. die Tapetenfabrikanten gemacht mit der Verabredung, neue Muster-
karten nur alle zwei Jahre herauszugeben.
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lieh sie sein mag, nicht mehr ändern können. — Bei diesem Kampf traten naturgemäß auch fürch-
terliche Erscheinungen zutage. Verantwortungslose Unternehmer machten, um den „inneren“ Absatz-
markt zu vergrößern, die Waren — ich denke an Textilien — schlechter, sodaß sie nur einen Bruchteil
solange hielten, als sie ihrem Aussehen nach zu versprechen schienen nach den alten Erfahrungen;
denn das „Aussehen“ pflegte der Unternehmer. Die Maschinen arbeiteten ja so schnell, da mußte eben
der Verbraucher gezwungen werden, mehr zu kaufen. Das Tempo wuchs. Und gerade auf dem Gebiet
der Mode wurde diese Entwicklung besonders merkbar. Man schuf sich das Mittel der „Saisonneuhei-
ten“, um der eventuellen Lebensfähigkeit eines Gewebes noch den Todesstoß zu versetzen durch das:
„nicht mehr modern“. Moden gab’s wohl zu allen Zeiten, aber das Tempo war anders: langsamer,
natürlicher. Hand in Hand mit der Verschlechterung der Gewebe und der verwendeten Farben ging
natürlich auch die Verschlechterung der Musterung. Alle Stile, alle Kulturen wurden bestohlen — und
werden es noch —, da die Zeit fehlte, in langsamer Arbeit neu aufzubauen. Man hatte keine Zeit, die
Voraussetzungen für eine gesunde Formensprache zu untersuchen, das Material, die Technik, die Be-
stimmung (Zweck und Einordnung) des Produktes als Grundlage für die Gestaltung erst genau kennen
zu lernen und in sich aufzunehmen, ehe man daran ging, sie in die spezielle Form zu bringen. Zu aller
schöpferischen Arbeit gehört Zeit und Ruhe, und diejenigen Fabrikanten, die diese Faktoren in Rech-
nung stellten, haben auch gute Waren hergestellt.
Wenn man sich überlegt, welch unerhörter, viel verzweigter Organismus hinter dem Wort „Mode“
steht, welche Summe von Erfahrung und Nachdenken, genialer Erfindung und Organisation, schöpfe-
rischer Phantasie und Anspannung hunderttausender von Händen nötig ist nur für einen Gehilfen der Mode,
den Stoffdruck, so kann man über die Tatsache nicht aus moralischen und ästhetischen Bedenken zur Tages-
ordnung übergehen. Wenn wir nicht zufrieden sind mit den jetzigen Produkten, wenn wir uns über ihre Ver-
flachung entrüst en, hilft nur eins: besser machen; aber machen, machen! Anpacken ohne zu große Ängstlich-
keit, unvoreingenommen, mit offenen Sinnen. Ohne alle Sentimentalität. Die Frage, ob Handwerk oder
Maschine ist dabei unwesentlich. Die Wahl der Produktionsmethode — Handwerk oder Maschine —
wird getroffen nach persönlicher Anlage; besser oder schlechter ist keine von beiden. Es handelt sich
nur darum, ob gute oder schlechte Erzeugnisse entstehen. Entscheidend ist, daß ein schöpferischer
Mensch die Aufgabe löst, daß das Produkt mit Ruhe aus Material und Technik geformt seiner Be-
stimmung vollendet dienen kann.
Deshalb rufe ich den Fabrikanten zu: Laßt euch die schöpferischen Kräfte nicht entgehen: Ihr braucht
sie! Holt sie heran! Gebt ihnen Gelegenheit, die Besonderheiten des betreffenden Materials und der
Technik kennen zu lernen und gebt ihnen Zeit, die diesen Voraussetzungen und der einstigen Bestim-
mung des Produkts gemäße Form zu finden. Dazu gehört Zeit, viel Zeit, viel Geduld, Intelligenz, Phan-
tasie und noch vielerlei; aber anders werden wir keine Formen finden, die denen des alten Handwerks
ebenbürtig sind. Viele hundert Chemiker arbeiten dauernd daran, eine Eigenschaft eurer Produkte,
die Farbe, zu verbessern. Und die Form, das Resultat so außerordentlich vieler mitbildender Faktoren,
soll so schlecht wegkommen, soll im Handumdrehen gefunden werden?! Wo die alten guten Formen
durch Generationen erst zur Vollendung gebracht wurden! Laßt euch nicht durch die Schnelligkeit,
mit der die Maschine arbeitet, verleiten, dieses Tempo auch auf die Vorarbeiten der Gestaltung, auch
auf den schöpferischen Menschen zu übertragen. Es hat sich schön bitter gerächt. Die Arbeit des gestal-
tenden Menschen ist als natürlicher Vorgang auch den Naturgesetzen unterworfen; jede Frucht braucht
Zeit zur Reife.*)
Und den Künstlern, den schöpferischen Kräften rufe ich zu: Habt keine Angst vor der Maschine, vor
dem Handwerk, vor dem Technischen; scheut euch nicht, die Voraussetzungen und Bindungen für
*) Einen Versuch, das Rasetempo zu verlangsamen, haben z, B. die Tapetenfabrikanten gemacht mit der Verabredung, neue Muster-
karten nur alle zwei Jahre herauszugeben.
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