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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Pechmann, Günther von: Die formschaffende Arbeit in der Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0079

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Die formschaffende Arbeit in der Industrie
von Syndikus Dr. Günther von Pechmann
TAie Herstellung eines jeden körperlichen Gegenstandes zerfällt in zwei Teile: Die Konzipierung der
J-^Form und die Verwirklichung der vorgestellten Form durch die Ausführung.
Die Form ist das Primäre. Niemand beginnt mit technischen Mitteln auf einen Stoff einzuwirken,
bevor ihm nicht das Bild dessen, was er durch diese Einwirkung gestalten will, vor Augen schwebt.
Primitive Techniken lassen es zu, noch während der Ausführung Einzelheiten der Form zu schaffen, eine ur-
sprünglich nur im allgemeinen Umriß konzipierte Form auszugestalten, oder, wenn Stoff und Werkzeug
oder der Formwille des Arbeitenden es verlangen, sie zu verändern. Je rationaler die Technik ist, um so
mehr verlangt sie präzise Festlegung der Form und aller ihrer Einzelheiten vor Beginn der Aus-
führung.
Diese Festlegung der Form ist eine geistige, schöpferische Tätigkeit. Insoweit sie sich materieller
Mittel bedient, um den Formgedanken zu fixieren — durch Zeichnung oder Modellierung — will ich
sie als „formschaffende Arbeit“ bezeichnen.
Wo eine Form geschaffen wird, da ist immer die Möglichkeit gegeben, diese Form mit Rücksicht
auf ihre ästhetische Wirkung zu gestalten. Denn weit über den Bereich des künstlerischen Schaffens
hinaus erstreckt sich das Reich der körperlich gestalteten Dinge, die wir als schön oder häßlich, als
geschmackvoll oder geschmackswidrig bezeichnen, also dem ästhetischen Urteil unterwerfen.
Daß eine Maschine schön sein kann, diese Erkenntnis ist heute schon Besitz der Allgemeinheit. Damit
verbindet sich bei Vielen die Meinung, daß diese Schönheit nicht einer gefühlsmäßig schaffenden Arbeit
ihr Dasein verdanke, sondern daß sie das unbeabsichtigte Ergebnis der rein zweckmäßigen Konstruktion
sei. Dieser Glaube an die Existenz einer „reinen Zweckform“ konnte sich festsetzen, weil die Vorgänge,
welche zur Entstehung der industriellen Sachform führen, für die Mehrzahl der Menschen in ein Dunkel
gehüllt sind. Während das sogenannte Kunstgewerbe mit seinem Reichtum an Kunstform und Orna-
ment gewissermaßen vor den Augen der Öffentlichkeit entsteht und jedem künstlerischen und techni-
schen Können und Nichtkönnen ohne allzugroße Schwierigkeit die Mitwirkung bei der Produktion
ermöglicht ist und jeglicher Dilettantismus sich auf seinen Gebieten nach Herzenslust tummeln kann,
bilden sich die Formen der Erzeugnisse vorwiegend technischer Art mehr im Verborgenen, unter Be-
dingungen, die nur den an der Produktion unmittelbar Beteiligten bekannt sind. Die Wissenschaft hat
sich bisher mit diesem Teil des Produktionsvorganges nur wenig beschäftigt. Die Technologie, die hier in
erster Linie zuständig wäre, beginnt regelmäßig die Darstellung des Produktionsprozesses da, wo die
Ausführung des Formgedankens mit den Mitteln der Technik im Stoff einsetzt; sie überspringt den
schöpferischen, formschaffenden Arbeitsvorgang. Die Ästhetik als Wissenschaft hat sich seit dem Siege
der spekulativen Philosophie bis in die Gegenwart mit dem Problem der Formenbildung im Gewerbe
nicht mehr beschäftigt; eine Ästhetik des gewerblichen Schaffens gibt es deshalb nicht, erst in neuester
Zeit haben sich Ansätze zu einer solchen entwickelt*). Auch die Nationalökonomie hat erst in aller-
*) Semper’s „Stil“ ist ein großer und wertvoller Versuch; aber er und noch mehr seine Nachfolger haben die materiellen Elemente
der Form: Stoff, Technik und Gebrauchszweck überschätzt und die Bedeutung des menschlichen Formwillens nicht erkannt. Grund-
legendes findet sich bei Hugo Spitzer, „Untersuchungen zur Theorie und Geschichte der Ästhetik“, Bd. I, Graz 1905. Nach ihm
Dessoir, Utitz. — v. Lossow in seinen Vorlesungen über die Konstruktion von Maschinenteilen an der Technischen Hochschule München
hat seine Schüler zur ästhetischen Bewertung der Formen angeregt.

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