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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Riezler, Walter: Über das Veralten technischer Formen
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0097

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Über das Veralt en technischer Formen
von Walter Riezler
In unserem ersten Hefte weist Hans Poelzig darauf hin, daß im Gegensätze zu Werken der Kunst
der rein technische Bau nur das Leben einer Eintagsfliege führe: mit dem Augenblick, da seine tech-
nische Aufgabe erfüllt ist, verschwindet er aus der Welt, und niemand denkt daran, ihn um seiner
Schönheit willen zu erhalten. Nun ist die Frage: entspricht diesem äußeren Schicksal auch der innere
Sinn, verliert die technische Form in dem Augenblick, da sie technisch „überholt“ ist, ihre Lebendig-
keit, oder ist sie noch irgendwie in sich berechtigt, wie es die künstlerische Form auch da noch bleibt,
wo sie mit einem noch so „veralteten“ Gegenstände verbunden ist?
Man ist geneigt, diese letzte Frage zu verneinen, wenn man an die oft fast lächerliche Wirkung
veralteter technischer Formen, etwa an Lokomotiven, Kraftwagen usw. denkt. Es hat den Anschein,
als sei die Macht des „Fortschritts“, an die im Reiche der rein seelischen Entwicklungen heute nie-
mand mehr glaubt, hier allen andern übergeordnet, sodaß in der Tat die lebendige Wirkung davon
abhängt, daß der technische Zweck soweit erfüllt ist, als es im Augenblicke möglich ist. Bei näherer
Betrachtung ergibt sich aber, daß jene lächerliche Wirkung nicht von der veralteten Konstruktion
herkommt, sondern von der Unfähigkeit, für die Konstruktion die angemessene und lebendige Form
zu finden. Es ist oft betont worden, daß in Zeiten der Entwicklung neuer technischer Möglichkeiten
die Formen zuerst immer so bleiben, wie sie früher waren, und erst allmählich der neuen Konstruk-
tion und Funktion folgen: gute Beispiele hiefür sind die Übergänge von der Steinbrücke zur Eisen-
brücke, vom Segelschiff zum Dampfer, von der Kutsche zum Kraftwagen. Wir alle haben’ diese Ent-
wicklung noch mehr oder weniger miterlebt oder kennen wenigstens ihre Spuren.
In dem Augenblicke aber, in dem die Ängstlichkeit überwunden ist, die an früheren, nun sinnlos
gewordenen Formen Halt sucht, ändert sich das Bild. Sobald für irgend ein technisches Problem die
ihr gemäße, das innere Leben offenbarende Form gefunden ist, kann man von einem „Veralten“ nicht
mehr reden. Dann kann noch immer insofern die ältere Form durch eine neuere „überholt“ werden,
als durch technische Fortschritte neue, kühnere Möglichkeiten auftauchen, deren Formung für uns
aus diesem Grunde mehr bedeutet. Aber die ältere Form bleibt daneben lebendig, und sie wird als
Ausdruck einer ganz bestimmten Funktion um so stärker wirken, je mehr wir dem unmittelbaren
Vergleich der beiden Formen entrückt sind. — Schon heute sind wir auf manchen Gebieten der tech-
nischen Form, z. B. auf dem des Eisenhallenbaus, so weit, daß wir ältere, technisch überholte Lösungen
als durchaus formvoll und lebendig empfinden, — weil eben damals schon eine echte Form dafür ge-
funden war. Und wahrscheinlich werden alle anderen Gebiete bald folgen.
Freilich wird trotzdem das Schicksal dieser Werke auch in Zukunft bleiben: sie werden zum alten
Eisen geworfen, sobald sie technisch ihre Schuldigkeit getan haben. Aber damit teilen sie im Grunde
nur das Geschick, das in früheren Zeiten die meisten Kunstwerke erwartete: auch sie waren in der
Regel nicht für die Ewigkeit gemacht. Auch ihr Schicksal war in dem Augenblick besiegelt, als die
neue Gegenwart ihr Recht forderte und eigenes Werk an die Stelle des Alten setzen wollte.
So scheint uns der Unterschied zwischen künstlerischer und technischer Form nicht in ihrem Ver-
hältnis zu Zeit und Ewigkeit zu liegen, sondern in dem Andern: in der Beziehung zur Menschenseele,
zum Ganzen der Welt, und zur Gottheit.

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