DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Figur i
Das Problem der Form im Eisenbrückenbau
von Dr. ing. Adolf Feige und Dr. Walter Riezler
Obwohl die Geschichte des Eisenbrückenbaues heute bereits auf eine Entwicklung von etwa 150 Jahren
zurückblickt, ist eine einheitliche Stellungnahme zur Form der Eisenbrücke, eine klare Erkenntnis
der ihr eigentümlichen Gesetze und damit der Berechtigung ihrer Form noch nicht allgemein erreicht.
Noch allzu häufig kann man hören, daß die Eisenbrücke ein notwendiges Übel sei, mit dem man sich
abfinden müsse, weil die wirtschaftliche Entwicklung die Ausnützung aller in irgend einem Material
gegebenen Möglichkeiten gebieterisch fordere, und weil kein Material in solchem Grade fast unbegrenzte
Möglichkeiten in sich trage als eben das Eisen, — daß aber dabei auf irgend eine „schönheitliche“ Wirkung
verzichtet werden müsse, und daß es sich höchstens darum handeln könne, die gröbsten Verunstaltungen
zu vermeiden. Diese Meinung war eine zeitlang sogar in den Kreisen der Brückenbauer verbreitet. Sie
führte zu dem oft und auch in diesem Hefte an anderer Stelle geschilderten Bestreben, entweder die
Eisenkonstruktionen in sich durch Anbringung von Zierat und ähnlichen Formen anderen „ästhetischen“
Wirkungen anzugleichen oder durch Errichtung von großen steinernen Türmen, Toren usw. den Blick
vom Eisen abzulenken.
Daß diese Anschauung nicht die unsere sein kann, braucht nicht betont zu werden. Der Begriff des
„notwendigen Übels“ entstammt einer Resignation vor den Forderungen der Zeit, die wir für verhäng-
nisvoll halten und der wir den festen Glauben entgegensetzen, daß das echt Lebendige auf allen Ent-
wickelungsstufen der Menschheit Kraft genug hat, über das in allem Natürlichen enthaltene Übel Herr
zu werden. Und ebenso wenig glauben wir, daß es irgend etwas geben könne, was sich wirklich jeder
Möglichkeit einer lebendigen Formung entziehe, was daher auszuschalten sei aus dem großen Zusammen-
hänge menschlichen Schaffens.
Die Überzeugung, daß keiner Eisenbrücke durch Anbringung von Zierat oder einer Steinkulisse eine
echte Form zu verleihen ist, ist heute in den Kreisen der Eisenbauer wohl ziemlich allgemein verbreitet,
und es wird daher der vor noch nicht zu langer Zeit übliche Weg, die eigentliche formale Lösung einem
Architekten zu übertragen, der mit dem Konstruktiven gar nichts zu tun hatte und damit vielleicht nicht
einmal Bescheid wußte, kaum mehr begangen. Man weiß heute wenigstens soviel, daß, wenn überhaupt
eine formal befriedigende Lösung möglich ist, diese nur aus den realen Bedingungen der Aufgabe
gewonnen werden kann. Diese Bedingungen sind einfach genug. Sie ergeben sich, da Brücken stets Nutz-
bauten im wahrsten Sinne des Wortes sind, aus Zweck und Material. Hier ist vor allem ausschlaggebend
die Frage nach der Größe der Lasten, die eine Brücke zu tragen hat: Fußgängersteg, einfache Straßen-
brücke und Eisenbahnbrücke werden hinsichtlich der Last in der Regel so verschieden beansprucht,
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Figur i
Das Problem der Form im Eisenbrückenbau
von Dr. ing. Adolf Feige und Dr. Walter Riezler
Obwohl die Geschichte des Eisenbrückenbaues heute bereits auf eine Entwicklung von etwa 150 Jahren
zurückblickt, ist eine einheitliche Stellungnahme zur Form der Eisenbrücke, eine klare Erkenntnis
der ihr eigentümlichen Gesetze und damit der Berechtigung ihrer Form noch nicht allgemein erreicht.
Noch allzu häufig kann man hören, daß die Eisenbrücke ein notwendiges Übel sei, mit dem man sich
abfinden müsse, weil die wirtschaftliche Entwicklung die Ausnützung aller in irgend einem Material
gegebenen Möglichkeiten gebieterisch fordere, und weil kein Material in solchem Grade fast unbegrenzte
Möglichkeiten in sich trage als eben das Eisen, — daß aber dabei auf irgend eine „schönheitliche“ Wirkung
verzichtet werden müsse, und daß es sich höchstens darum handeln könne, die gröbsten Verunstaltungen
zu vermeiden. Diese Meinung war eine zeitlang sogar in den Kreisen der Brückenbauer verbreitet. Sie
führte zu dem oft und auch in diesem Hefte an anderer Stelle geschilderten Bestreben, entweder die
Eisenkonstruktionen in sich durch Anbringung von Zierat und ähnlichen Formen anderen „ästhetischen“
Wirkungen anzugleichen oder durch Errichtung von großen steinernen Türmen, Toren usw. den Blick
vom Eisen abzulenken.
Daß diese Anschauung nicht die unsere sein kann, braucht nicht betont zu werden. Der Begriff des
„notwendigen Übels“ entstammt einer Resignation vor den Forderungen der Zeit, die wir für verhäng-
nisvoll halten und der wir den festen Glauben entgegensetzen, daß das echt Lebendige auf allen Ent-
wickelungsstufen der Menschheit Kraft genug hat, über das in allem Natürlichen enthaltene Übel Herr
zu werden. Und ebenso wenig glauben wir, daß es irgend etwas geben könne, was sich wirklich jeder
Möglichkeit einer lebendigen Formung entziehe, was daher auszuschalten sei aus dem großen Zusammen-
hänge menschlichen Schaffens.
Die Überzeugung, daß keiner Eisenbrücke durch Anbringung von Zierat oder einer Steinkulisse eine
echte Form zu verleihen ist, ist heute in den Kreisen der Eisenbauer wohl ziemlich allgemein verbreitet,
und es wird daher der vor noch nicht zu langer Zeit übliche Weg, die eigentliche formale Lösung einem
Architekten zu übertragen, der mit dem Konstruktiven gar nichts zu tun hatte und damit vielleicht nicht
einmal Bescheid wußte, kaum mehr begangen. Man weiß heute wenigstens soviel, daß, wenn überhaupt
eine formal befriedigende Lösung möglich ist, diese nur aus den realen Bedingungen der Aufgabe
gewonnen werden kann. Diese Bedingungen sind einfach genug. Sie ergeben sich, da Brücken stets Nutz-
bauten im wahrsten Sinne des Wortes sind, aus Zweck und Material. Hier ist vor allem ausschlaggebend
die Frage nach der Größe der Lasten, die eine Brücke zu tragen hat: Fußgängersteg, einfache Straßen-
brücke und Eisenbahnbrücke werden hinsichtlich der Last in der Regel so verschieden beansprucht,
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