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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0351

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DIE FORM/MONATSSGHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Modefragen
von Lilly Reich, Berlin

Die deutsche Modeindustrie hat sich in den letzten Jahren außerordentlich entwickelt, die Lei-
stungsfähigkeit, gesehen vom Standpunkt eines internationalen Modebeobachters außerordentlich
gesteigert. Der Export an Stapelware sowohl als an hochwertigen Einzelmodellen ist größer als je zuvor.
In allen Werkstätten der Konfektion herrscht Hochbetrieb. Die Atmosphäre dieser Arbeit brennt, reißt
alles hinein in ihren Rhythmus. Kaum auf einem anderen Gebiet werden soviel produktive Leistungen,
technische Ideen, neue glänzende Materialien herausgeworfen, soviel Geschicklichkeit und Geschmack
verschwendet innerhalb weniger Monate, und trotzdem ist das Endergebnis der Leistung, das Bild, das
sie ergibt, nicht befriedigend, es reizt zum Widerspruch.
Für wen arbeitet diese Industrie? Für wen diese Luxuswerkstätten? Für welche Leistungen wird
diese unendliche Arbeitskraft, diese Unmenge an Material, diese Unsumme an Geld aufgebracht? Vom
volkswirtschaftlichen Standpunkt aus ist es vielleicht sehr erfreulich, daß dieses Kapital an Leistung und
Vermögen lebendig ist und nicht nur im Inland lebendig ist. Aber das ist eine Frage, die hier nicht
aufgerollt werden soll.
Wesentlich ist hier das geistige Bild, das sich in diesen Leistungen zeigt und wesentlich die Frage,
wie und ob unsere Zeit sich darin spiegelt und eine Form gefunden hat.
Die Mode ist international, an diesem Satz soll hier nicht gerüttelt werden. Daß sie aber gerade in
ihrer Internationalität wieder nationale Momente sowohl in der Form als auch im Produktionsprozeß
berücksichtigen muß, ist sicher. Die Abhängigkeit unserer Modeindustrie von Paris ist seit jeher bekannt
und ist heute die gleiche wie vor dem Kriege. Alle Bemühungen, aus eigenen Kräften zu arbeiten,
einmal eigene Ideen und Materialien durchzusetzen, wurden von den Konfektionskreisen aufgegeben
in dem Augenblick, da der Weg nach Paris wieder offen war. Zu dieser Abhängigkeit von der Idee,
die importiert wird, kommt in den letzten Jahren auch die Abhängigkeit im Absatz, der exportiert
wird. Die Arbeit dieser Industrie ist festgelegt im großen wirtschaftlichen Komplex, Sklave geworden
der Nachfrage und des Angebots.
Der Kreis, der im Inland teil hat an den besten Schöpfungen unserer Modeindustrie, ist infolge der
allgemeinen Verarmung der letzten Jahre sehr klein. Einige Damen der nur noch sehr kleinen großen
Welt, einige mehr Schauspielerinnen und Filmdiven und sehr viel mehr Damen der sehr großen halben
Welt, das ist der Kreis, der die Bedingungen für diese Arbeiten hier im Inland stellt und der für die
angebotenen Ideen des Auslands die erste Resonanz gibt. Alle anderen sind ausgeschaltet, ihnen wird
nur das fertige Produkt angeboten, das in der Stapelware nur ein Abklatsch ist der unter den oben-
genannten Voraussetzungen entstandenen Modelle.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegsjahre, der erhöhte Export hat außerdem in diese
Produktion ein Tempo hinein geb rächt und dem Rad der Energie soviel Strom gegeben, das zu einer
Überstürzung, einer meist von rein kaufmännischen Augenblicksansprüchen geleiteten Steigerung führt,
die jede Stabilität und jede ruhige organische Entwicklung unterbindet.
Diese überhetzte Entwicklung bringt es mit sich, daß meist an dem eigentlichen Arbeits- und Form-
problem des Einzelstückes vorbeigegangen wird. Jedes Kleid, das der dekorativen und schmückenden
Phantasie Spielraum gibt, bleibt in den Arbeiten auch unserer besten Firmen nur im leeren Schema
stecken.
Die organische Einheit des Schnittes wird mißverstanden und eine Lösung der Konstruktion
vorgetäuscht, und nur mit Druckknöpfen und Heftstichen wird künstlich die Raffung aufrecht erhal-
ten. Der Eindruck ist stets verblüffend, schon die Kostbarkeit und Schönheit des Materials ist verfüh-

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