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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0352

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
rend. Der Ästhet ist befriedigt, der Snob noch viel mehr, aber übrig bleibt nichts als eine eitle äußere Haut.
Es gibt kaum ein Arbeitsgebiet wieder, auf dem mit gleicher Unbekümmertheit und gleicher
Rücksichtslosigkeit Material und Arbeit verschwendet wird, Ideen gestohlen und zerstört werden. Der
Reiz einer Spitze, der an einem guten Modell zur Geltung gebracht wurde, läuft sich nach wenigen
Wochen tot, da im Hetztempo tausende von sogenannten neuen Mustern in Maschinenspitzen „ä la
Venetienne“ von der Industrie herausgeworfen werden, um dann ebenso schnell und ebenso unorganisch
an das Kleid angebracht zu werden. In der gleichen Weise ergeht es einer guten und organisch erdachten
und bedingten Stickerei, einem bedruckten Stoff. Geistlos und sinnlos wird nachgeahmt, und über-
morgen liegt in hunderten von Variationen die gute Idee eines Stoffes von gestern oder heute zum
Angebot vor. Nicht nur die Kleidung, nein auch die ganze Erscheinung wird schematisiert und imitiert.
Jede dritte Frau ist ein Plagiat der ersten und diese erste wieder eine Kopie irgend einer Asta Nielsen.
Das Prokrustesbett der Mode verkürzt oder verlängert innerhalb weniger Monate, nicht wie früher
innerhalb einiger Jahre oder Jahrzehnte, den Körper der Frau.
Die Mode der alten Zeit hatte Stil, denn sie entsprang festgefügten Lebensbedingungen und gesell-
schaftlich sozialen Voraussetzungen. Sie war stets national und doch international in der großen Linie.
Sie entwickelte sich langsam und organisch. Die heutige Mode hat keinen Stil, sie ist immer nur
modisch.
Das Schema, das herausgegriffen wird, und in schneller und schnellster Wiederholung zur
Manie wird, ist ein rein äußerlich dekoratives, dessen Leere zur schnellen Ermüdung führt und nur
wieder treibt zu neuer Kostümierung. Sie zeigt Unrast und Gier und flüchtige Eitelkeit, alles bleibt
nur eine verblüffende, im Augenblick einschmeichelnde Hülle. Sie reagiert auf die schlechtesten In-
stinkte unserer Zeit und ruft von sich aus wieder die schlechtesten hervor. Sie ist nicht belastet von
der Armut der Zeit, nicht berührt von den Problemen der Zeit.
Die Kultur ihrer Träger sitzt nur an ihrer eigenen körperlichen Oberfläche. Die Kultur ihrer
Umgebung, ihres eigenen geistigen Lebens ist leer und banal, der Geschmack daran höchstens snobistisch.
Ihre Traditionslosigkeit führt zur Lebensunsicherheit, und das Zeichen der Zeit ist auch hier wieder
nur chaotisch.
Es soll hier die Mode nicht als kleinbürgerliche Angelegenheit hingestellt werden oder als ein Tum-
melplatz für individualistische moralische Versuche. Sie soll bleiben, was sie ist, eine Dame voll Laune
und Eleganz, reizvoll und charmant. Jede Doktrin bleibe ihr fern. Gesetze und Normen lassen sich
gottseidank nicht aufstellen, denn die Mode ist wohl das lebendigste Arbeitsgebiet, das lebendigste Aus-
drucksmittel einer Einzelpersönlichkeit, einer Klasse, eines Volkes. Kleider sind Gebrauchsgegenstände,
keine Kunstwerke. Sie unterliegen den Anforderungen des Tages. Und doch können Kleider auch
metaphysische Wirkungen ausüben durch ihre innere Gesetzmäßigkeit, ihre Ruhe und Zurückhaltung,
ihre kokette Heiterkeit und Lebendigkeit, ihre spielende Grazie, ihre gesunde Einfachheit, ihre Würde.
Kleider müssen und können zusammenwachsen, mit der Trägerin ein organisch untrennbares Ganzes
bilden, ein Bild ihres Geistes geben, den Ausdruck ihrer Seele und das Gefühl des Lebens steigern.
Aber die Arbeit, die der Mode dient, muß den Vorbedingungen der Lebensform folgen, den Anforde-
rungen der Zeit entsprechen, sie muß Disziplin zeigen.
Ein Beispiel solcher Disziplin haben wir ja schon im Straßenkleid, das seit Jahren mit nur kleinen
Variationen das gleiche geblieben ist. Auch die Sportkleidung ist ein Beispiel für eine gefundene Form,
wenngleich sie jetzt schon beginnt, spielerischen und snobistischen Einflüssen zu unterliegen. Beide sind
gute organische Lösungen einer Typisierung, die überall den gleichen sachlichen Voraussetzungen
unterliegt.
An der Typisierung, ja auch an der Stapelware, der Maschinenarbeit kann unsere Zeit nicht
vorbeigehen. Unsere Armut, unser Mangel an Zeit drängen dazu. Aber wesentlich ist dann auch hier
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