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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Riezler, Walter: Auf dem Wege zur Kunstform: Betrachtungen zur Entwicklung des Lichtspiels
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Pauli, Franz: Zum Formproblem des Lichtspiels
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0153

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Daß auch bei dieser Bescheidung noch genügend Fremdartigkeit und Phantastik für das Lichtspiel
gerettet werden kann, beweisen die Szenen aus dem „Müden Tod“, die wir abbilden. Hier ist mit der
Stilisierung der Umwelt genau soweit gegangen wie der Schauspieler folgen konnte. Die Bilder sind
ganz einheitlich, dabei zum Teil von echter Phantastik und Fremdartigkeit und von einer ganz unge-
wöhnlichen Schönheit. Der Beschauer hat in der Tat den Eindruck, als blicke er in einen Spiegel, aus
dem ihm, nicht ganz vollkommen zwar, aber doch noch eindrucksvoll genug, Bilder fremder und viel-
gestaltiger Wirklichkeiten entgegentreten.
Und darum handelt es sich in unserem Fall: nicht um Kunstformen, sondern um die Spiegelungen
von Wirklichkeiten. Die Aufgabe ist die, diese Wirklichkeiten unter Ausnutzung aller technischen
Errungenschaften möglichst reich und vielseitig zu gestalten und sich dabei von Geschmack, Stilgefühl
und Phantasie leiten zu lassen.

Zum Formproblem des Lichtspiels
von Dr. Franz Pauli
T> efreiung und Erlösung aus Chaos und Barbarei durch die Form ist das Ziel.
Chaos und Barbarei sind die Zeichen, unter denen das Lichtspiel steht, doppelt steht, als ein Kind
seiner Zeit und als junge Kunst. Mit Schauder wandte sich darum der Kenner anderer Künste, die ihre
Wurzeln tief in der Vergangenheit haben, vom Neuling ab. Er wagte es nicht, die reinen gepfleg-
ten Hände zu beflecken, um den Säugling aus seinen Windeln allmählich herauszuschälen. Dazu waren
andere nötig. Sie waren wohl etwas rauhe Gemüter, aber sie sahen die zukunftsfrohen Möglichkeiten
des Wachstums in dem ungestalten Gebilde, und mehr noch ihrem Ahnen und ihrem Drange als einem
klaren Erkennen — das sich ja immer erst von rückwärts ergibt — gehorchend, leisteten sie die ersten
Pflegerdienste. Ihnen gebührt der gleiche Dank, wie ihn Lope de Vega dem groben, ungeschlachten Lope
de Rueda ehrfürchtig spendet, der zuerst mit seinem Thespiskarren in den spanischen Gauen umherfuhr.
Nun ist es schon soweit, daß durch die Pioniere der rauheste Urwald gelichtet ist. Schon wird Bau-
land frei für herrliche Gebilde. Schon beschäftigen sich ernste Künstler und Kenner — immer noch
wenige freilich — mit Praxis und Theorie der neuen Werkkunst.
Schon liegen Arbeiten vor, an denen als Faktum Analysis und Synthesis kritischer Forschung sich
orientieren können, um inductiv und deductiv Regeln und Gesetze für die neue Kunst tastend aufzu-
stellen. Dem schaffenden Künstler, dem Genius so einen freien Platz schaffend, von dem er zum Sprung
zur Erreichung neuer Werte ansetzen kann.
Die Elemente dreier Künste sind es, die sich im Lichtspiel zu einem neuen Ganzen vermählen wol-
len: Musik, bildende Kunst und Drama.
Das Urwesen des Lichtspiels ist Bewegung. Gebändigte, gestaltete Bewegung ist Rhythmus. Hier
hat die neue Kunst von der Musik zu lernen. Nur daß Bewegung sich nicht mit Ton, sondern mit Licht
gattet, das der Projektor auf den Schirm wirft. Hier tritt die bildende Kunst mit ihrem Rechtsanspruch
auf den Plan. Und drittens, sei es, daß reine Form und Farbe Träger und Getragene der Bewegung
sind, oder aber, wie es meist der Fall ist, der Mensch, so ergibt sich Handlung, und das Drama reiht
sich ein, den Ring zu schließen.
Um ein einfachstes und sinnfälliges Beispiel und Faktum gleich vorwegzunehmen: der Maler Rütt-
ln ann hat reine Form und Farbe zum ersten Male als Elemente eines Films verwandt. Er malte Ke-

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