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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Redslob, Edwin: Kirche und Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0222

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DIE FORM/MÖNATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Kirche und Handwerk
von Dr. Edwin Redslob
11^ ine so starke, das kulturelle und wirtschaftliche Leben in allen Verzweigungen durchdringende Bewe-
-*-^gung wie die Entfaltung deutscher Werkkunst seit dem letzten halben Menschenalter wäre zu jeder
anderen Zeit entscheidend mit der Kirche verbunden gewesen. In den Werkstätten, die das Beste schaf-
fen, was Kunst und Handwerk zu geben vermögen, hätte man Priester gesehen, deren Wirken an den
großen Wegbereiter der deutschen Kunst, an Bischof Bernward von Hildesheim erinnert hätte, von
dessen Leben sein Chronist Thangmar folgendes zu berichten weiß:
„Am Morgen ging er durch die Werkstätten, wo Metalle zu verschiedenem Gebrauch bereitet wur-
den und prüfte die einzelnen Arbeiten . . . Es gab keine Kunst, in der er sich nicht versuchte, wenn
er sie auch nicht bis zur Vollkommenheit sich aneignen konnte. Nicht nur in unserem Domkloster,
sondern an verschiedenen anderen Orten richtete er Schreibstuben ein, durch die er eine reichhaltige
Sammlung sowohl theologischer als philosophischer Schriften zusammenbrachte. Die Malerei aber, die
Skulptur, die Kunst in Metallen zu arbeiten und edle Steine zu fassen, alles was er nur Feines in der-
gleichen Künsten ausdenken konnte, ließ er niemals vernachlässigen . . . Talentvolle, vorzüglich begabte
Knaben nahm er an den Hof oder auf längere Reisen mit sich und trieb sie an, sich in allem zu üben,
was in irgend einer Kunst als das Würdigste sich darbot“ . . .
Heute erblicken wir in der Nähe unserer Dome keine Werkstätten, wir sehen Kaufläden, die mit
verwässerter Massen wäre schnelle Geschäfte machen, Devotionalienhandlungen, die unter dem Vor-
wand des frommen Zweckes innerste Gefühle mißbrauchen. Den Heiligenfiguren, die Kirchen, Pfarrhäuser
und Wohnungen füllen, fehlt das geheimnisvolle Leben der Werkstatt. Sie kommen vom Ladentisch,
sie verdanken ihr Dasein nicht schöpferischer Notwendigkeit, sondern geschäftlicher Kalkulation. Sie
strahlen nicht Kraft aus, Vertiefung und Frömmigkeit. Sie schaden über sich hinaus, indem sie die Ge-
meinde der Gläubigen mit einem „Schönheitsideal“ durchdringen, das nur Kopie und Nachahmung zu
erfüllen vermögen. Wo aber die Hand eines Meisters Werke schafft, die etwas von Kraft und Schöpfung
in sich tragen, da erheben sich dieselben Stimmen, die schonend die Bank des Wechslers an den Stufen
des Tempels duldeten. Und was sie sagen, klingt wie ein neues „Kreuzige, Kreuzige!“
Wohl müssen wir gerecht zu verstehen suchen, daß die Kirche den Individualismus des 19. Jahr-
hunderts nicht mitmachen konnte; wir müssen aber auch auf den Widerstreit hin weisen, daß die Kirche
zwar in Zeiten, die über ihr Gemeinschaftsideal rückhaltslos weiterschritten zur Auflösung im Indivi-
dualismus, die enge Verbindung mit Kunst und Handwerk aufrecht zu halten versuchte, daß sie aber
heute eine Kunst vor ihren Pforten läßt, die sich steigern möchte zur Einheit, zur Form, zur Gemein-
schaft, die sich sehnt nach Handwerkstradition, wie solche einst durch die Kirche ihre höchste Weihe
fand.

Nicht brauchen kann die Kirche den Egoismus der Persönlichkeit, auch wenn er bis zur feinsten
Geistigkeit geläutert ist. Darum setzte ihre lebendige Verbindung mit der Kunst zur Zeit des Klassi-

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