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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Riezler, Walter: Religion und Kunst der Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0203

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MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT


Einziges amtliches Organ der Deutschen Gewerbeschau München 1922 / des Deutschen Werkbundes / des Reichskunstwarts / des
Verbandes Deutscher Kunstgewerbevereine / des Wirtschaftsbundes deutscher Kunsthandwerker / und anderer Vereinigungen /
Verantwortlicher Schriftleiter: Dr. Walter Riezler, Stettin, Städtisches Museum / Verlag Hermann Reckendorf, München, Kaufinger-
straße 23 / Bezugspreis: Heft 1 (März) 70 Mark. Quartal April bis Juni 1922 (Hefte 2 bis 4) 210 Mark. Jede Buchhandlung
oder Postanstalt nimmt Bestellungen entgegen, ebenso der Verlag.
Der Nachdruck der Aufsätze dieses Heftes ist bei genauer Quellenangabe gestattet, doch bleiben die Rechte der Verfasser gewahrt

1. JAHR

1922

HEFT 4

RELIGIÖSE KUNST
Inhalt: Riezler, Religion und Kunst der Gegenwart (S. 1) / Koch, Die zehn Gebote (S. Il) / Hoff, Aufgaben heutiger kirchlicher Kunst (S. 12) /
Redslob, Kirche und Handwerk (S. 20) / Bartning, Das evangelische Kirchbauprogramm (S. 24) / Geller, Die großen Thorn-Prikker-Fenster
in der Dreikönigenkirche zu Neuß a. Rh. (S. 27) / Zu den Bildern (S. 30)

Religion und Kunst der Gegenwart
Die deutsche Revolution hat sich, soviel wir sehen, von bilderstürmerischen Aus-
schreitungen völlig freigehalten. Dagegen wurde nicht lange nachher, in ruhigen
Zeiten und offenbar von einer Seite, die sonst der revolutionären Bewegung durch-
aus fernsteht, der Versuch gemacht, den in der Marienkirche zu Lübeck vorläufig
aufgehängten großen Kruzifixus von Ludwig Gies zu zertrümmern. Diese beiden
Tatsachen erhellen die Stellung unserer Zeit zur Kunst mit doppeltem Lichte. Auf
der einen Seite sehen wir das Volk in einem gewissen dumpfen Respekt vor dem
Kunstwerk befangen, den wir nicht allzu hoch einschätzen werden, wenn wir uns
erinnern, daß er vor allem Werken gegenüber geübt wurde, deren Wertlosigkeit,
ja künstlerischeNichtswürdigkeit zum mindesten denFührernbekanntwar, und deren
Vernichtung fast ein gutes Werk gewesen wäre. Auf der anderen Seite aber sehen
wir, wie blinder religiöser Eifer sich an einem Werke vergreift, das den Stempel
höchsten künstlerischen Ernstes an der Stirn trägt, und das zwar von dem Herkömm-
lichen abweichen mag, aber für die Gebildeten — und in deren Kreisen sind die Tä-
ter offenbar zu suchen — immerhin in die von Ausstellungen seit mindestens zehn
Jahren wohlbekannte „moderne“ Kunst unschwer einzuordnen ist.
 
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