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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0350

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
und auszubilden. Ob von da aus eine direkte Beeinflussung der heute noch fast ganz
unter Pariser Einfluß stehenden Modenindustrie stattfindet, wie es da und dort mit
Erfolg geschehen ist, oder ob nur kleinere Werkstätten sich bilden, die in neuem
Geiste arbeiten, das ist im Grunde eine Frage zweiten Ranges. Wesentlich ist nur,
daß die Gefahr einer Übereilung vermieden wird: daß nicht der Ehrgeiz entsteht,
nun in kurzem die „Deutsche Form“ ausprägen und allgemein verbreiten zu wollen.
Dieser Versuch müßte zu einer Verflachung der Form und damit zu einem Schei-
tern der ganzen Bewegung führen. Denn dann würden sich eben wieder alle Frauen
von elegantem Geschmack den Pariser Modellen zuwenden. Einstweilen ist es ge-
nügend, wenn da und dort wirklich ausgezeichnete Kleider einer von Paris unab-
hängigen Form entstehen. Wenn in der Form Leben steckt, wird es schon weiter
wirken.
Die Aufgabe, die den gebildeten und geschmacklich feinfühlenden Frauen hier
gestellt ist, ist reizvoll genug. Daß sie auch vielseitig ist, das sucht unser Heft zu
zeigen, denn es handelt sich ja hiebei nicht nur um Kleider, sondern um das ganze
weite Gebiet weiblichen Putzes und damit der Handarbeit überhaupt. Dieses Ge-
biet, einst der Stolz aller Kulturen und der Anteil, den die Frauen an der Schaf-
fung der schönen Form einer Zeit hatten, war in den letzten Jahrzehnten arg
heruntergekommen; es war dies eine böse Folge der Verbreitung schöngeistiger
Bildung.
Hier ist die Wendung bereits eingetreten: Mit jedem Jahr erweitert sich der Kreis
der Frauen, die in der Handarbeit nicht nur den Zeitvertreib für müßige Stunden,
sondern edlen Lebensinhalt sehen; und daß in den Jahren der Schöngeistigkeit die
handwerkliche Phantasie der Frau nicht Schaden gelitten hat, das beweist die Fülle
von Lebendigem, Formvollem und echt Kultiviertem, an der wir uns freuen dürfen.
Vielleicht wissen die wenigsten Frauen, die sich dieser Arbeit widmen, wie groß die
Aufgabe ist, wie schön das Ziel, dem sie zustreben. Auch darin zeigt sich der „Sinn“
der Mode, daß sie unaufhörlich neue Aufgaben stellt, an denen die Frau ihre Kräfte
erproben und entwickeln kann.
W. Riezler.

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