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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Lotz, Wilhelm: Stoff und Kleid: kurzes Vorwort zum Krefelder Sonderheft
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0073

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STOFF UND KLEID

KURZES VORWORT ZUM KREFELDER SONDERHEFT

Die Wiedergabe von Stoffproben, so wie
wir sie in diesem Heft vorgenommen haben,
wird immer eine sehr unzulängliche blei-
ben, besonders wenn man sich auf eine Wie-
dergabe in schwarz-weiß beschränkt, wie
wir es bei dem größlen Teil der Abbildun-
gen tun mußten. Aber auch die farbige
Aufnahme ist nur ein schwaches Hilfsmit-
tel für die Vorstellung, vor allem bei den
heute modischen Stoffen, weil sie in ihrem
Wurf, in ihrer Veränderlichkeit gegen den
Lichteinfall immer andersartig erscheinen,
in Licht und Farben spielen. Ein Brokat
sieht ganz anders aus, je nachdem wie man
zu ihm und zum Licht steht. Bald erscheint
die Webestruktur, bald die Goldfäden, bald
die gedruckte Farbe. Aber selbst wenn es
gelänge, den Stoff vollkommen in seiner
Art wiederzugeben, so ist dabei immer zu
berücksichtigen, daß dem Stoff, der für das
Kleid bestimmt ist, erst sein ganzes Leben
in der Anwendung verliehen wird. Kleider-
stoff ist, von der Kleidgestaltung her ge-
sehen, lediglich ein Rohmaterial, wie das
Silberblech für die Silberschmiedearbeit,
wie Wand- und Raumabmessungen für die
Innenarchitektur. Eine Frau sieht in der
Auslage und im Laden die Stoffe mit ganz
anderen Augen an wie ein Mann. Ein oft
zu beobachtender Vorgang ist folgender:
Ein Künstler sucht mit seiner Frau Stoffe
für ihr Kleid aus. Es gelingt ihm, seine
Frau zu überzeugen, daß ein Stoff schöner
und besser im Muster ist als der, den die
Frau gern haben möchte. Das Kleid wird
hergestellt, und mit einer Mischung von
Triumph und Ärger zeigt die Frau, daß im
Kleid der Stoff all das verloren hat, was
ihn im Stück so reizvoll gemacht hat. Der

sichere Instinkt der Frau und ihre Einstel-
lung auf die Wirkung als Kleid bei Betrach-
tung des Stoffes war das richtigere. Dieser
Gesichtspunkt muß bei Betrachtung der
hier abgebildeten Proben von Seidenstoffen
beachtet werden.

Das Verhältnis der Kleidgestaltung zum
Material ist wechselnd, ja launisch. Es rich-
tet sich nicht nach Stilentwicklung. Bald
herrschen edle, schwere Stoffe, die weniger
auf das Auge wirken, sondern die durch
ihre Qualität unser Gefühl für stoffliche
Werte anregen, ein Gefühl, das sich aus
Erinnerungen an Tastreize und Erfahrung
im Tragen zusammensetzt. Durch einfachen
klaren Schnitt ohne viel Zutaten wird die
Echtheit der Stoffe dann noch besonders
betont, oft sogar modisch übertrieben, wie
durch Lederbesätze oder unnötig stark be-
tonten Charakter der Webestruktur. Bald
aber — und so ist es in diesem und im
letzten Jahr — weicht dieses Materialgefühl
ganz der Absicht, nur durch den Effekt auf
das Auge zu wirken. Der Augeneindruck
ist wichtiger als das Gefühl für die sach-
liche Güte. Vortäuschen von edlerem Mate-
rial durch Imitationen, Metallspitzen, Glas-
perlen, Similischmuck gilt nicht als Täu-
schung, sondern als modisch. Der Stoff
wird in seinem wechselnden Effekt dienst-
bar gemacht. Das Gleitende, Schillernde,
Unstoffliche ist der Wesenszug der heutigen
Mode und elektrische farbige Beleuchtung,
Puder, Spitzen, durchsichtige Umhänge sol-
len die bestimmte Form aufheben und mög-
lichst visionäre, phantastische Wirkung her-
vorbringen. Besonders das Abendkleid steht
im bewußten Gegensatz zur straffen sport-
lichen Form der Straßenkleidung.

' W. Lötz

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