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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 2.1927

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Lüders, Marie-Elisabeth: Baukörper ohne Wohnungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13210#0328
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den meisten von denen, die sie entworfen und
ausgeführt haben, alle Forderungen, die an die
Benutzbarkeil einer Wohnung als Familienheim.
gestellt werden müssen, spurlos vorübergegangen
sind. Fragt man sich, ob sie denn noch gar nichts
von den Erfordernissen, die die tägliche häusliche
Bewirtschaftung an einen Bau stellen muß, gehört
haben? Nur ein paar Beispiele. Es finden sich
dort bis auf die Erde hinunter gehende, riesige,
mit breiten Flügeln versehene Treppenfenster, die,
geöffnet, den Durchgang auf dem Treppenabsatz
vollkommen verstellen und eine beispiellose Ge-
fahr für die Kinder im Hause bilden. Vor einem
dieser Fensler findet sich auch noch eine über
der Eingangslür liegende Bedachung — ohne Ge-
länder. Die Fenster selber haben in Treppenab-
salzhöhe drei horizontal liegende Gitterstäbe,
die aber so weit gestellt sind, daß auch noch
sechs- und mehrjährige Kinder ganz leicht durch-
klettern können. Die Bewohner von Zwei- und
Dreizimmerwohnungen pflegen aber kein Kinder-
fräulein zu haben, das jedes Kind sorglich hinun-
lergeleitet und dazu Boller, Schlitten usw. an den
tiefgehenden Scheiben vorbeilaviert. — Unter
dem Motto „die Landschaft wird in den Baum

ELEKTRO-KÜHLSCHRANK

gezogen" finden sich solche bis zur Erde reichende
Fenster auch in verschiedenen Wohnungen. Die
Wände sind zum Teil vollkommen in Glas aufge-
löst — nach Norden wie nach Süden in dem glei-
chen Baum. In solchen Bäumen ist ein bestän-
diger, für kleinere Kinder keineswegs unbedenk-
licher Gegenzug über den Fußboden hin. Im
Sommer sind diese Bäume, deren Fenster wegen
ihrer Größe und hohen Lage keine Holzläden
haben können, glühend heiß, und das Licht in
ihnen ist so blendend, daß kleinere Kinder am
Tage und etwas größere in den früheren Abend-
stunden darin nicht schlafen können. In einigen
Wohnungen ist die Landschaft auch in die — nach
Süden gelegene — Speisekammer, mit Hilfe eines
bis auf einen geringen Sockel die ganze Wand
einnehmenden Fensters, gezogen!! Es ist ein Irr-
tum, wenn die Erbauer vielleicht annehmen, daß
der Mensch im Sommer einzig und allein von
dicker Milch lebt. —■ An anderer Stelle ist der
gleiche Sinn für die Schönheit der Natur der eben-
falls nach Süden liegenden Küche und an dritter
Stelle der Badestube zugute gekommen. Über die
Temperatur in der ersteren dürfte im Sommer
kein Streit sein. Diese Küche hat aber einen weite-
ren schweren hauswirtschaftlichen Fehler: der für
die Anzahl der auf dieses Haus zu berechnenden
Personen sehr kleine Gasherd liegt dem Fenster
gegenüber an einem kurzen Wandstück zwischen
zwei im rechten Winkel zueinander gruppierten
Türen. Erstens dreht man dem Licht beim
Kochen den Bücken zu, zweitens schlägt die Gas-
flamme jedesmal durch, wenn eine Tür geöffnet
wird, und drittens ist es ein Gotteswunder, wenn
nicht jeder, der durch die Tür geht, ein Koch-
geschirr vom Herd reißt oder der Flamme zunahe
kommt. Da die Küche den Vorzug der Südlage im
Erdgeschoß hat, liegen zwei Schlafzimmer, — da-
von das größere für zwei Personen nach — Nor-
den halb unler der Erde!! — In dem Badezimmer
eines Hauses befindet sich neben anderen auch
hinter der Badewanne ein großes, nicht zu öffnen-
des, Fenster. Da die Wanne direkt unler dem
Fenster endet, bleibt die Frage unbeantwortet,
wie man das Fenster, das im ersten Stock liegt,
reinigen soll. Von innen müßte man eine Leiter
in die Wanne stellen, was eben nicht geht, und
für außen das Beinigungsinstilut bestellen. Etwas
ähnliches findet man noch an anderer Stelle. Am
Treppenflur, belichtet durch ein sehr großes Trep-
penfenster, liegt, — mit halbhoher Wand zum
Treppenflur, über die jeder Passant von den obe-
ren Stufen in das Zimmer sehen kann, das soge-
nannte Mädchenzimmer! Kommentar überflüssig.
Das erwähnte Treppenfenster liegt an einer schma-
len, gebogenen Treppe, seine Beinigung bleibt
ebenfalls ein Problem. — Seine würdige Konkur-
renz hat jenes „Zimmer" mit halbhoher Wand

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