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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 3.1928

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Heuß, Hermann: Architektur und Natur: zweierlei Formwille
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https://doi.org/10.11588/diglit.13709#0100
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Im Grunde aber besieht das Problem gar
nicht, wenigstens nicht in so schroffer Ausprä-
gung; es handelt sich nur darum, vorurteilslos
die vorhandenen Gegebenheiten zu erkennen und
gegeneinander abzuwägen. Dieses Gebiet wenig-
stens eines harnionischen Zusammenarbeitens von
Phantasie des Menschen und der Natur müßte
der heule üblichen theoretischen Zankerei entzogen
bleiben. Vielleicht — ich wage dies aus dem Mund
eines Architekten wohl ketzerische Wort — kommt
es überhaupt nicht so völlig auf reinlichen Aus-
gleich der beiden Formprinzipien an, vielleicht
schadet auch das Überwiegen des rein Pflanzlichen
gelegen llich gar nichts und ist sogar der Kor-
rektheit planmäßiger Strenge vorzuziehen, wenn
nur die Schönheit des einzelnen sich der Fülle
eines lebendigen und ganz natürlichen Gefühles
unterordnet und die Teile in beruhigendem Ver-
hältnis zueinander stehen. Schließlich kann ein
stark farbig empfindendes Auge wenigstens ein-
zelne Partien nur nach Zusammenklingen von
Farbakkorden ordnen, nach überlegt abgestuften
Graden von Hell und Dunkel. Das Architekto-
nische versteht sich, mit Fr. Tb. Yischer zu
sprechen, eigentlich von selbst, und die Roman-
tik des Werdenden ist immer so wundervoll, daß
man sie kaum zu fürchten braucht.

Architektur ist Bildung, d. h. sinnvolle Orga-
nisierung des Ungeformten aus übersehbaren und
in angemessenem V erhältnis zueinander stehen-
den Elementen. Auf die Gestaltung des Gartens
angewandt, bedeutet dies Beziehung der Gaxten-
teile in irgendeinem Sinn auf die erklärten oder
immanenten Gebäudeachsen, Gestaltung dieser
Teile in Hinblick auf die Ansichten und ähnliches.
Es gibt zu denken, daß die heutigen Bemühungen
um neue Durchformung des Baukubus den Garten
gänzlich unberührt gelassen haben, wenn man
nicht, in Stullgart z. B., die erheiternden Harm-
losigkeiten Corbusierscher Gartengestaltung als
Anzeichen eines neuen Geistes auch der Natur
gegenüber betrachten will. Vorläufig scheint das
Neue noch so in rationalen Zwangsvorstellungen
festgefahren, daß es zu unbefangener Ausbildung
des Natürlichsten keine Freiheit gefunden hat.

Der andere Teil architektonischer Beeinflussung
liegt in der Steigerung und Gliederung natür-
licher Bedingtheiten. Abfallendes Gelände wird
durch Böschungen und Mauern modelliert, in
menschliches Maß gebracht: wenigstens in der
nächsten Umgebung gewährt nur das Geformte
dauernde Befriedigung, reine Beruhigung des
Geistes. Wasserläufe werden in klare Becken ge-
sammelt, in ebenen Boden werden Parterre ver-
tieft, klare Alleen sprechen herrisch architekto-
nische Sprache, Baulichkeiten und Plastiken ver-
stärken an geeigneten Stellen den überall spür-
baren Willen zur Formung.

Hier aber beginnt die Wandlung gegen die
frühere Vorstellung der architektonischen All-
macht gegenüber dem andern Prinzip, der
wuchernden Lebendigkeit des Pflanzlichen, die an

sich nur Eigengesetzlichkeit, nie Unterordnung
kennt und anerkennt. Unter dem formalen Abso-
lutismus des 18. Jahrhunderts konnten Baum und
Blume nur geduldel im Rahmen einer alles er-
drückenden formalen Idee, die allerdings uner-
hörte Werke zu Wege brachte, sich einfügen. Eine
Zeit, die wie unsere schließlich doch einen Aus-
gleich zwischen Staatsform und Einzelpersönlich-
keit wenigstens anstrebt, wird auch die Pflanze
stärker als Individuum gellen lassen und ihr im
Garten eine andere Rollle anweisen, überhaupt die
in ihr ruhenden Formelemente in anderem Sinn
gebrauchen und ausbilden. Der Sinn wirklich
neuzeitlicher Gartengestaltung scheint zu sein, den
Garten organisch vollkommen durchzudenken und
durchzuerleben und doch das menschliche Ein-
greifen fast wieder vergessen zu lassen; wie
wenn die Bildnerkraft der Natur von selbst sozu-
sagen auf solche Gedanken von Ordnung und Be-
ziehung gekommen wäre. Also, entscheidender
Unterschied gegen die englische landschaftliche
Anschauung: es werden der Natur nicht ,,Kunst"-
kniffe abgeguckt, sondern wir leiten ihren Ent-
faltungsdrang unmerklich nach unserem Willen.
Charakteristisch hierfür ist u. a. die Verwendung
möglichst wenig bearbeiteten Materials für Mau-
ern, Terrassen, Bodenbelag, Wege, kurz, das Ver-
wischen scharfer Grenzen zwischen menschlichem
Eingriff und natürlichem Wachstum.

Eines ist gewiß: wenn der heutige Garten weni-
ger dem Herrscherbedürfnis des Menschen ent-
gegenkommt, dem Sichüberlegenfühlenwollen des
Geistes (man könnte das natürlich auch als
Schwäche deuten), so scheint er vielmehr zum
Abbild des unendlichen Schöpfertriebes der Erde
zu werden, die dem jetzigen Menschen als Gegen-
gewicht gegen die drohende Entwurzelung aus dem
natürlichsten Nährboden zum unwiderstehlichen
Bedürfnis geworden ist und ihm, heute wenig-
stens, edlere, reinere und dauerndere Entzückun-
gen gewährt als aller heroische Prunk des alten
Gartens.

Man darf hier nicht von Romantik reden, wenn
man darunter nicht irgendwie das Gefühl des Ver-
bundenseiens mit einem Unendlichen verstehen
will. Es handelt sich nicht um ein Sichgehenlassen
in Formschwäche, in artistische Träumerei, son-
dern um Gestalten aus sehr kenntnisreicher Liebe
heraus, aus der Ehrfurcht vor einer Lebenskraft,
deren letzte Geheimnisse uns ewig verschlossen
bleiben müssen, soll anders nicht das Leben leer
werden.

Konkret gesprochen: wir haben gelernt, den
Urstoff Natur in Blüten und Sträuchern außer-
ordentlich weiterzuentwickeln und dieses geformte
Formlose als neue Elemente bewußt in Rechnung
zu stellen. Die niederen Polstergewächse z. B., vor
kurzem ganz ungeachtet, bilden heule den
höchst lebendigen und reichen Vorgrund, aus dem
in ungemeinen Abstufungen als prunkende Ein-
zelslücke, als schließende Wände, als wahrhaftige
Wälder die Wunder der Stauden heraussteigen,
ganz in raumbildendem Sinn verwendet und doch

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