wertvollsten Menschenmaterials versiegen
würde. Die intuitive Erfassung der im
Material schlummernden Möglichkeilen,
wie sie dem Handweber gegeben ist, kann
auf die Dauer selbst durch intensivste Spe-
zialerfahrung und technisches Raffinement
nicht ersetzt werden.
Die geringe Zahl handwerklicher Webe-
reien, die in einigen Gegenden, z. B. im
nördlichen Schleswig-Holstein, noch alle
Stoffe für den Bedarf der Bewohner hcrzu-
BUNKINGSEIDE Foto: Curt Rehbein.
weiß mit Bindungswechsel (Bindung FRR) Berlin
stellen pflegen, erhält unter dem erzieheri-
schen Gesichtspunkt eine wesentliche Be-
deutung. Im gleichen Sinne wirken eine
Reihe von neu entstandenen Webereien, die
ihr Dasein der Nachfrage nach künstleri-
schen Stoffen, insbesondere nach Einzel-
stücken, verdanken.
Nicht im gleichen Maße vielseitig, weil
spezialisiert, doch im ganzen Arbeitsprozeß
rein handwerklich, wirkt ein anderer Teil
der Handwebereien, der sich besonders in
der Nähe mechanischer Fabriken erhallen
hat: Die Herstellung neuer Muster erfolgt
größtenteils auf Handwebstühlen. Der
Handweber entwirft diese teils selbst,
während des Webens, oder ist doch in der
Lage, die kleinen Abschnitte, nach denen
die Fabrik ihre Aufträge hereinholt, ehe sie
die eigentliche Produktion beginnt, weil
billiger herzustellen als die Maschine. Der
häufige Wechsel des Musters würde für die
Maschine zu zeitraubend sein. Der Schwer-
fälligkeit der Maschine verdankt noch eine
letzte Gruppe des Handwerks ihre Lebens-
möglichkeit: Gewisse Spezialartikel, z. B.
Schottenstoffe, die einen häufigen und weit-
läufigen Wechsel in den Farben des Schus-
ses verlangen, werden vom Handweber billi-
ger hergestellt als von der Maschine.
Das führt zum Thema zurück, denn hier
tritt der wesentlichste Gegensatz zwischen
den Möglichkeiten der Handweberei und
der mechanischen Weberei zutage: Die un-
terschiedliche Tendenz, dort zum „Schuß",
hier der ,,Kette" das formale Übergewicht
zu geben.
— Die technische Bedeutung von Kette
und Schuß muß ich als bekannt voraus-
setzen. —
Die beiden Eigenschaften der Kette, ihre
beliebige Länge und ihre Abhängigkeit vom
Geschirr, dessen Anordnung und Bewegung
die Bindungen des Gewebes bestimmt und
dessen Auswechselung mühsam und zeitrau-
bend ist, machen es für die mechanische
Weberei in noch höherem Maße als für die
Handweberei zum ökonomischen Gesetz,
möglichst lange die gleiche Ware auf ein
und demselben Webstuhl zu erzeugen. Fast
alle farbigen Effekte werden in der mecha-
nischen Weberei mit der Kette erzielt durch
Wahl einer geeigneten Bindung und An-
wendung mehrfarbiger Ketten oder durch
Bedrucken der Kette; dies z. B. bei allen
billigen Maschinen-Teppichen. Immer han-
delt es sich hier um Massenware oder
Serienhcrstellung, mag auch die Qualität
einwandfrei oder vorzüglich sein. Das
Wesen der Maschine erzwingt diese Art der
Produktion und die technische Eigenart der
Kette kommt dem zu sehr entgegen, um
nicht ausschlaggebend zu werden.
Selbstverständlich arbeitet die mecha-
nische Weberei auch mit Schußeffekten,
dies tritt in seiner Bedeutung aber sehr zu-
rück. Ein reicher und weitläufiger Schuß-
wechsel erfordert am mechanischen Stuhl
nicht nur das Vorbandensein sehr großer
WechselUästen, sondern auch für die kom-
98
würde. Die intuitive Erfassung der im
Material schlummernden Möglichkeilen,
wie sie dem Handweber gegeben ist, kann
auf die Dauer selbst durch intensivste Spe-
zialerfahrung und technisches Raffinement
nicht ersetzt werden.
Die geringe Zahl handwerklicher Webe-
reien, die in einigen Gegenden, z. B. im
nördlichen Schleswig-Holstein, noch alle
Stoffe für den Bedarf der Bewohner hcrzu-
BUNKINGSEIDE Foto: Curt Rehbein.
weiß mit Bindungswechsel (Bindung FRR) Berlin
stellen pflegen, erhält unter dem erzieheri-
schen Gesichtspunkt eine wesentliche Be-
deutung. Im gleichen Sinne wirken eine
Reihe von neu entstandenen Webereien, die
ihr Dasein der Nachfrage nach künstleri-
schen Stoffen, insbesondere nach Einzel-
stücken, verdanken.
Nicht im gleichen Maße vielseitig, weil
spezialisiert, doch im ganzen Arbeitsprozeß
rein handwerklich, wirkt ein anderer Teil
der Handwebereien, der sich besonders in
der Nähe mechanischer Fabriken erhallen
hat: Die Herstellung neuer Muster erfolgt
größtenteils auf Handwebstühlen. Der
Handweber entwirft diese teils selbst,
während des Webens, oder ist doch in der
Lage, die kleinen Abschnitte, nach denen
die Fabrik ihre Aufträge hereinholt, ehe sie
die eigentliche Produktion beginnt, weil
billiger herzustellen als die Maschine. Der
häufige Wechsel des Musters würde für die
Maschine zu zeitraubend sein. Der Schwer-
fälligkeit der Maschine verdankt noch eine
letzte Gruppe des Handwerks ihre Lebens-
möglichkeit: Gewisse Spezialartikel, z. B.
Schottenstoffe, die einen häufigen und weit-
läufigen Wechsel in den Farben des Schus-
ses verlangen, werden vom Handweber billi-
ger hergestellt als von der Maschine.
Das führt zum Thema zurück, denn hier
tritt der wesentlichste Gegensatz zwischen
den Möglichkeiten der Handweberei und
der mechanischen Weberei zutage: Die un-
terschiedliche Tendenz, dort zum „Schuß",
hier der ,,Kette" das formale Übergewicht
zu geben.
— Die technische Bedeutung von Kette
und Schuß muß ich als bekannt voraus-
setzen. —
Die beiden Eigenschaften der Kette, ihre
beliebige Länge und ihre Abhängigkeit vom
Geschirr, dessen Anordnung und Bewegung
die Bindungen des Gewebes bestimmt und
dessen Auswechselung mühsam und zeitrau-
bend ist, machen es für die mechanische
Weberei in noch höherem Maße als für die
Handweberei zum ökonomischen Gesetz,
möglichst lange die gleiche Ware auf ein
und demselben Webstuhl zu erzeugen. Fast
alle farbigen Effekte werden in der mecha-
nischen Weberei mit der Kette erzielt durch
Wahl einer geeigneten Bindung und An-
wendung mehrfarbiger Ketten oder durch
Bedrucken der Kette; dies z. B. bei allen
billigen Maschinen-Teppichen. Immer han-
delt es sich hier um Massenware oder
Serienhcrstellung, mag auch die Qualität
einwandfrei oder vorzüglich sein. Das
Wesen der Maschine erzwingt diese Art der
Produktion und die technische Eigenart der
Kette kommt dem zu sehr entgegen, um
nicht ausschlaggebend zu werden.
Selbstverständlich arbeitet die mecha-
nische Weberei auch mit Schußeffekten,
dies tritt in seiner Bedeutung aber sehr zu-
rück. Ein reicher und weitläufiger Schuß-
wechsel erfordert am mechanischen Stuhl
nicht nur das Vorbandensein sehr großer
WechselUästen, sondern auch für die kom-
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