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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 4.1929

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Villon, Pierre: Filmkunst in Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.13710#0314
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Aus dem japanischen Film „Jujiro" (Kreuzwege)

von Teimotsuke Kinugasa

In „Die Muschel und der Clergyman" konnte sie
am unmittelbarsten ihre Auffassung des Filmes ver-
wirklichen, die sie mir vor Jahren schon ausgedrückt
hatte: „Wir sollen mit einer bewußt komponierten

Bewegung von Formen, mit Licht und Schatten einen
künstlerischen Eindruck schaffen; wirmüssen loskom-
men von der Literatur, vom Theater, von der Malerei
und der Dekoration. Die Geschichte, das Gesicht,
ja der Gegenstand sind mögliche aber unnötige Ele-
mente des Films." Ihr bestes Werk ist noch eine
Geschichte, benützt noch den menschlichen Körper,
die Dinge als Ausdrucksmittel. Doch alles ist Sym-
bol geworden. Ein inneres Drama spielt sich ab und
reißt uns mit sich, sichtbar gemacht durch traum-
nafte Handlung, durch unwirkliche Geschehnisse. Die
rhythmische Komposition, d. h. sowohl die Bewegung
der Formen innerhalb eines Bildes als auch die Be-
schleunigung oder Verlangsamung des Ubersprin-
gens von einem Bild zum andern, die Wahl der Nah-
oder Fernaufnahmen und alle andern kinotechni-
schen Mittel sind bedingt durch die Abwicklung des
psychischen Kampfes und unterstreichen seine sug-
gestive Wirkung.

Ob dies der einzige Weg zu einer wertvollen Film-
kunst ist? Sicher nicht, ebensowenig, wie der
gegenstandlose Film — Germaine Dulac bereitet
augenblicklich einen solchen vor —, aber es ist auch
ein Weg. Uns Zuschauern, die wir die Werke nur
an der erreichten Wirkung zu messen haben, ist es
gleich, ob die mitwirkenden Elemente dem einen
Kunstgebiet allein angehören oder auch anderen.
Mit beschränkten, puristischen Mitteln kann ein
Künstler ebensowenig und ebensoviel erreichen wie
ein anderer mit gemischten, zahlreichen Mitteln.
Nicht auf die Mittel kommt es an, sondern auf die
Persönlichkeit, auf die Aufrichtigkeit, die Intensität
und Disziplin des Künstlers, sein Gefühl für die
Werte und seine Klugheit. Doch darf man nicht ver-
gessen, daß die nackte Verwendung rein filmischer
Elemente insofern erzieherisch auf die Großproduk-
tion wirken könnte, als dadurch gezeigt würde, daß
sie mindestens so stimmungserregend ist wie das
Lächeln einer Diva oder die Pappdekorationen eines
„Großfilmes" und daß man gut daran täte, sie zur
Verstärkung der Wirkung auch erzählender Filme
mitzuverwenden,

„J u j i r o" (Kreuzwege).

Ein japanischer Film von Teimotsuke Kinugasa,
„Jujiro", wurde in Europa zum ersten Male hier ge-
spielt. Während ich diese Zeilen schreibe, verhan-
delt sein Regisseur in Berlin wegen einer dortigen
Aufführung. Zum erstenmal ein japanischer Film, der
echt ist. Echt, nicht nur weil Regisseur und Schau-
spieler Japaner sind, sondern auch, weil sie nicht
versucht haben, die Oberflächlichkeit der amerika-
nischen Durchschnittsproduktion nachzuahmen. Ein
Drama, gespielt mit einem Ernst, einer Tiefe, einer
Größe der Schauspielkunst und einer Einfachheit,
wie wir sie nie zuvor gesehen haben, aber voll von
einer hoffnungslosen Tragik, die für uns das einzig
Befremdende ist. Die technisch - kinematografi-
schen Mittel sind meisterhaft beherrscht, Beleuch-
tung und Bildausschnitte, die Auswertung der drama-
tischen Effekte vorzüglich. Ein ganz starkes Werk,
das unseren westlichen Regisseuren und Schauspie-
lern eine Mahnung zur Arbeit, zur Aufrichtigkeit und
Hingebung sein sollte.

Roger Ginsburger, Paris

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