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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 5.1930

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Bier, Justus: Zur Auflösung der staatlichen Bauhochschule in Weimar
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https://doi.org/10.11588/diglit.13711#0328

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dellen wie die von Dorfner geleitete Buchbinderei
in der Ausbildung des Maschineneinbandes solche
Aufgaben.

Sämtliche Klassen gaben damit dem Schüler eine
moderne handwerkliche Erziehung, indem sie der
heutigen Produktionsform entsprechend ihn anleite-
ten, über das handwerklich durchgebildete Einzel-
stück zum industriemäßigen Serienmodell zu gelan-
gen. Zudem gab die Schule durch die Auswahl der
Lehrer und ihre innere Einigkeit in den geistigen
Grundfragen den jungen Menschen nicht nur eine
gesunde technische Erziehung, sondern die noch
wichtigere geistige Vorbereitung auf die Aufgaben
der kommenden Zeit.

Man hat also das Bild einer intensiv mit dem
geistigen und wirtschaftlichen Leben der Gegenwart
verbundenen Anstalt vor sich. Die zahlenmäßigen
Feststellungen erhärten den positiven Eindruck, den
man von dem gesunden Unterbau der Anstalt beim
Besuch der Schule und ihrer Musterausstellung er-
hielt. In der kurzen Entwicklungszeit von vier Jahren
hat eine starke und rückschlaglose Aufwärtsent-
wicklung in Schülerzahl, Auftragsquoten, Betriebs-
vermögen stattgefunden, so daß der Reichsspar-
kommissar sich in einem Gutachten über die Anstalt
in positivstem Sinne aussprechen konnte. Trotz zu-
nehmenden Ausbaues war eine ständige Herab-
setzung des in Anspruch genommenen Staatszu-
schusses möglich. An Stelle des vertraglich zu
leistenden Zuschusses von 188 000,— RM. wurden
1929 nur noch 150 000,— RM. beansprucht. Das
Betriebsvermögen war von 38 000,— RM. im Jahre
1926 auf 79 000 RM. im Jahre 1929 angewachsen.
Die Umsätze der Vertriebsorganisation für die Er-

zeugnisse der Anstalt stiegen von 32 800,— RM. im
Jahre 1926 auf 173 200— RM. im noch nicht ab-
laufenen Geschäftsjahre 1929.

Alle diese höchst erheblichen Aufträge, Aufträge,
die z. T. vom Preußischen Staat an die Thüringische
Schule gegeben wurden, kamen dem thüringischen
Handwerk zu 90 v. H. zugute. Diese positive wirt-
schaftliche Entwicklung erscheint um so wertvoller,
da sie von strengsten Anforderungen an die Rein-
heit und Gegenwartsbestimmtheit der Form aller
von der Schule entwickelten Modelle erzielt wurde.
Die Weimarer Möbel, Beleuchtungskörper, Be-
schläge usw. gehören heute zum Besten und künst-
lerisch Reinsten, was für den modernen Innenaufbau
auf dem Markt greifbar ist.

Wenn heute dieser ganze, so mühsam aufgebaute
Apparat zerschlagen wird, um für Schultze-Naum-
burgs „Vereinigte Kunstwerkstätten" Platz zu
machen, so ist das für Thüringen ein geistiger und
materieller Verlust von einer Tragweite, über die
sich die Thüringische Regierung offenbar sehr un-
klar ist.

Eine solche auf die wesentlichen Aufgaben der
Zeit abgestellte Schule, wie es die Bartningsche
Bauhochschule war, braucht für ihre geistige und
wirtschaftliche Entwicklung, die hier Hand in Hand
gehen, eine Basis, die sich nur in vielen Jahren neu
schaffen läßt. Ohne diese Basis einer gesunden
Zusammenarbeit mit den aktuellen Aufgaben der
Wirtschaft ist ein Schulaufbau heute unmöglich. An
Stelle einer im ganzen Reich als Spitzenschule ge-
achteten Anstalt wird Thüringen nun wiederum eine
Schule haben, die mit den Kunstgewerbeschulen
konkurrieren kann.
 
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