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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Lotz, Wilhelm: Ewige Formen – Neue Formen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0175

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zeichnen, herausgenommen werden. Ein Stuhl
in Stilform ist nicht nur deshalb in einem mo-
dernen Raum eine Unmöglichkeit, weil er formal
nicht hineinpaßt, sondern weil er nicht Teil der
Atmosphäre eines solchen modernen Raumes ist.
Man kann einen Stuhl des 18. Jahrhunderts
ebensowenig mitten in unsere Zeit hineinver-
pflanzen wie einen Menschen der gleichen Zeit.
Eine chinesische Teetasse oder Teekanne ist
in ihrer Form nicht ein losgelöstes Etwas, son-
dern ein Teil der chinesischen Lebensatmosphäre
und des chinesischen Teekults. Wenn wir For-
men, die aus ganz verschiedenen Atmosphären
kommen, nebeneinanderstellen, so sieht das un-
geschulte Auge die Gleichheit, das empfindliche
aber sieht die Verschiedenheit und spürt, daß
die Dinge aus verschiedenen Welten kommen.
Nicht nur aus Fabulierlust hat man sich die Mars-
bewohner ganz anders aussehend und anders
organisiert gedacht als die Erdenbewohner, son-
dern weil man unwillkürlich annahm, daß dort
andere Bedingungen herrschen wie bei uns. Eine
chinesische Teetasse unterscheidet sich von
denen, die bei uns hergestellt werden, selbst
wenn sie formal noch so ähnlich und sogar nach-
geahmt sind, dennoch wesentlich durch ihre Phy-
siognomie. Wer Menschengesichter nur auf äu-
ßerliche Ähnlichkeiten hin ansieht, wird wieder
ganz andere Dinge sehen als derjenige, der die
Köpfe seiner Mitmenschen wie ein guter Plasti-
ker ansieht.

Betrachten wir doch einmal auf dem einen un-
serer Bilder die Tontasse aus der jüngeren
Steinzeit neben einer modernen Porzellantasse!
Es ist nicht nur das verschiedene Material, das
uns die Unterschiede deutlich spüren läßt, son-
dern es sind grundsätzlich andere Formgebun-
gen. Die Porzellantasse ist viel geschlosse-
ner und nicht nur zufällig äußerlich einem Kugel-
abschnitt ähnlicher. Der Henkel ist leicht von
außen darangesetzt, ohne irgendwie die Schalen-
rundungen und den Schaleninhalt formal anzu-
tasten. Die Steinzeittasse ist viel offener, erin-
nert viel mehr an die flache, empfangende Hand
als an das zärtliche und doch bestimmte Um-
schließen der Flüssigkeit. Der Henkel ist Teil
und Ausfluß der gesamten Schalenform. Diese
erinnert viel mehr an den äußerlich so ganz
anderen Wasserschöpfer aus Holz auf Seite 169.
Die Steinzeitschale ist viel geöffneter gegen ihre
Umwelt und viel mehr Teil von ihr. Man könnte
sagen, Teil der den Menschen umgebenden Na-
tur. Die Porzellantasse dagegen ist selbstbe-
wußter in ihrer Form, härter sich abschließend
gegen ihre Umwelt, betonter als eigenes Wesen.
Wer diese Formen aber als Einheit sieht, der

Der Stahlrohrstuhl, die Haltung des modernen Menschen und
seine Kleidung bilden wiederum eine Einheit. Mies-Stuhl

La chaise de tubes d'acier, l'attitude de l'homme moderne et son
vetement constituent egalement un ensemble homogene

Steel-tube Chair. Here, again, the attitude and clothing of the present
day form with the chair a complete entity

Fotos: C. Rehbein, Berlin

Der bequeme Ruhestuhl ist für den Menschen, der sich wirk-
lich voll und ganz im Sitzen ausruhen will. Kramer-Stuhl

La chaise moderne de repos est destinee, par sa commodite, ä une
personne qui veut vraiment se reposer d'une facon complete en
s'asseyant

The comfortable modern resting chair is thoroughly fitted for those
who desire to be seated completely at their ease

müßte noch weiter gehen und könnte den abge-
bildeten Isolatorteil mit einem Kinderkreisel oder
die phantastisch schöne Aufnahme von dem Ab-

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