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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Lotz, Wilhelm: Ewige Formen – Neue Formen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0174

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Der Mensch in der typischen repräsentativen Haltung des
18. Jahrhunderts bildet mit dem Sitzmöbel eine vollkommene
Einheit. Das Sitzmöbel ist für diese repräsentative Haltung
geschaffen worden

La personne, dont la tenue est typiquement repräsentative du XVlIle
siede,forme avec les sieges divers une unite completement homogene.
Les sieges ont ete crees en vue de cette tenue repräsentative

The occupant, assuming the typical attitude of 18th Century society,
forms with the seat a harmonious whole. The seat is exactly adapted
for this characteristic attitude

Foto: Dr. Wolff ,,Hauff-Leonar-Photo"

Drahtseile zu hängen, so sieht man dafür zwar
die Gründe nicht recht ein, kann aber schon
heute die Möglichkeit nicht bestreiten. Kehren
wir wieder zum Gebrauchsgerät zurück, so fin-
den wir, daß bestimmte Formen erst durch geeig-
nete Materialbehandlung ermöglicht wurden, wie
etwa das dünnstielige Weinglas eine gute Be-
herrschung der Glastechnik voraussetzt, ganz
abgesehen davon, daß es auch dünnwandiger
hergestellt werden kann. Ja, mit dem Glas war
es erst überhaupt möglich, von der Schale zu
der heute üblichen Glasform überzugehen.
Ähnlich ist es mit allen Gegenständen, die aus
Stahl hergestellt werden, von der Schneider-
schere bis zum X-Haken. Ein mechanisch glei-
ches Funktionsprinzip führt selbstverständlich zu
ähnlichen Formen, wie alle Beile oder alle Häm-
mer ebenso ähnliche Grundformen haben, wie
alle Schalen. Nach der Ausstellung „Ewige For-
men'' sieht es leicht so aus, als ob schon in den
vorgeschichtlichen Zeiten alle Formen als For-
men festgelegt worden seien.

Über die Abhängigkeit der Form vom Material
werden wir später noch einiges zu sagen haben.
Vorerst sei hier noch auf eine andere Tatsache,
die auch wesentlich für die Formwandlung ist,
hingewiesen: den Zusammenhang der Formen
der Gebrauchsgeräte mit den Lebensgewohnhei-
ten und dem Lebensstil. Es wird so oft behaup-
tet, daß der Stuhl im England des 18. Jahrhun-
derts seine letzte und höchste Ausprägung er-
halten habe und daß es falsch sei, immer neue
Stühle zu erfinden, nachdem schon lange der
Stuhl schlechthin geschaffen sei. Dem gegen-
über muß aber festgestellt werden, daß eine
Wandlung der Stuhlformen in engster Anleh-
nung an eine Wandlung der Art des Sitzens vor
sich geht. Die Römer haben anders gesessen als
die Orientalen, und wir sitzen anders als die Men-
schen des Rokoko. Einflüsse der Lebensart und
der Lebensgewohnheiten, Einflüsse der Körper-
haltung, Etikette, Sport und Arbeitsbetätigung
spielen dabei eine große Rolle. Außerdem unter-
liegt ein Objekt wie der Stuhl auch den Einflüs-
sen der Wohnraumgestaltung, denn jedes Objekt
wird nicht nur von seinem Gebrauch durch den
Menschen her bestimmt, sondern es ist auch Teil
seiner Umwelt und kann nicht aus dem Gesamt-
gefüge dessen, was wir als unsere Umwelt be-

Junge Familie in einer neuen Frankfurter Wohnung. Die un-
gezwungenen natürlichen Lebensgewohnheiten bedingen
auch eine natürliche ungezwungene Form der Möbel

Jeune famille dans une habitation moderne de Francfort. Les habi-
tudes d'une vie naturelle et sans contrainte exigent egalement des
meubles d'une forme naturelle et sans contrainte

Young family in a new Francfort dwelling. The unconstrained and
natural habits of daily life require a natural and unconstraining style
of furniture

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