HANDWERK UND NEUES
BAUEN
OTTO RÜCKE RT
„Das Bauen der Gegenwart, die sogenannte
neue Sachlichkeit und die traditionsgebundene
Arbeit des Handwerks vertragen sich miteinander
wie Feuer und Wasser." Diese und ähnliche
Meinungen sind bei Gesprächen, die man mit
Handwerkern über das Bauen und Formen der
Gegenwart da und dorten gelegentlich pflegt,
geradezu an der Tagesordnung. Warum wohl?
Das Handwerk, das sich immer wieder, selbst
auf die Gefahr hin, in eine sentimentale Lebens-
sphäre abzugleiten, auf seine altehrwürdige Tra-
dition (die übrigens auch die Modernsten nicht
bestreiten) beruft, muß, da es von Hause aus
nicht über die schöpferischen Potenzen wie etwa
die Baukunst verfügt, auf diesem scheinbar
richtigen Standpunkt beharren. Eine Preisgabe
dieser Meinung käme nämlich in den Augen des
Handwerks einer Preisgabe des gesamten hand-
werklichen Gutes gleich!
Diese Meinungen und Anschauungen gehen
auf jene seit rund 80 Jahren propagierte Ver-
quickung des künstlerischen Schaffens mit der
gewerblichen Arbeit — auf den Zustand „Kunst-
gewerbe" zurück. Ich weiß nicht, ob es richtig
ist oder falsch, wenn ich annehme, daß die-
ses sonderbare Gebilde, „Kunstgewerbe" ge-
nannt, auf die ebenso sonderbare Auswirkung
einer unter dem Gesichtswinkel einer entschuld-
baren Romantik gesehenen Geschichtsschrei-
bung zurückzuführen ist. Und die Menschen,
stets geneigt, Absonderliches höher einzuschät-
zen als das Sachlich-Gegebene, gewöhnten sich
gern daran, gelegentlich einen Blick in die so
beschriebene seltsam-wunderliche Welt des mit-
telalterlichen Bürgertums, in die von dem fal-
schen Glänze einer opernhaften Romantik um-
wobene „traute Enge" der Zünfte zu tun und
reihten jeden Künstler, der vielleicht und vielfach
grollend und widerstrebend sich den Zünften und
Gilden beigesellte, unerbittlich in die Reihen
der Handwerker von echtem Schrot und Korn.
Daß seit dem Ablauf des Mittelalters ein halbes
Jahrtausend dahingegangen ist und daß sich seit
den Tagen Dürers und Riemenschneiders das
Antlitz der Welt von Grund auf verändert hat, —
all dies wissen wir und verspüren wir alitäglich
am eigenen Leib. Und trotzdem scheut man
nicht vor fortgesetzten Versuchen zurück, dem
Handwerk bei jeder sich bietenden Gelegen-
heit ein romantisches Mäntelchen umzuhängen.
In Festansprachen, die von offiziellen und in-
offiziellen Persönlichkeiten gelegentlich hand-
werklicher Tagungen und Versammlungen gehal-
ten werden, taucht immer wieder das Zitat aus
den Meistersingern: „Ehrt eure deutschen Mei-
ster, dann bannt ihr gute Geister" auf und der
ehrsame Schuster und Poet Hans Sachs hat es
sich bei Lebzeiten bestimmt nicht träumen lassen,
daß er in späteren Zeiten als das besondere Ab-
bild einer antiquierten Weltanschauung heraus-
gestellt würde. Dabei geht, wenn auch für die
Außenstehenden kaum bemerkbar, ein frischer
Zug durch das Handwerk, besonders durch das
Junghandwerk, und der Stimmen, die den An-
schluß an die neue Zeit mit ihren Erscheinungen
predigen, werden täglich mehr und mehr. Das
„neue Handwerk" (wollen wir es so nennen) be-
ruht vor allem auf der Besinnung auf den eigent-
lichen Wert, Zweck und Sinn der handwerklichen
Arbeit. Der Wert des Handwerks ist seit
seinem Eintritt in das ökonomische Leben der
Menschheit identisch mit dem vernünftigen Be-
scheiden mit den Dingen des Handwerks und
sein Sinn ist nahezu gleichbedeutend mit dem
ehrbaren Erwerb, gleichbedeutend mit seiner
Sendung als Hüterin und Wahrerin der selbstän-
digen Arbeit des Einzelmenschen.
Es war niemals die Aufgabe des Handwerks,
das künstlerische Gesicht einer Zeit zu bestim-
men. Vielmehr war und ist das Handwerk eine
getreue, und wenn es sinngemäß betrieben wird,
eine zuverlässige Dienerin der Kunst und dazu
berufen, dem Werkstoff zu Leben und Gestalt,
der Idee zur greifbaren Wirklichkeit zu verhelfen.
Wie schon angedeutet wurde, ist das Handwerk
vor allem ein wirtschaftliches Gebilde. Es sorgt
dafür, daß die Geräte und Dinge des Gebrauchs
wohlfeil und werkgerecht erstellt werden und
gibt seinen Gliedern auskömmlichen Verdienst
und ein besonderes Ansehen und Gewicht im
Leben der Gemeinschaft. Dieses schöne Bild
wurde allerdings jäh zerstört. Der Prozeß
der Industrialisierung hat manches Handwerk
vernichtet, manches scheinbar zum Handlanger
der Industrie erniedrigt. Und auch diese Klage ist
ein wesentliches Stück Sentimentalität und nicht
201
BAUEN
OTTO RÜCKE RT
„Das Bauen der Gegenwart, die sogenannte
neue Sachlichkeit und die traditionsgebundene
Arbeit des Handwerks vertragen sich miteinander
wie Feuer und Wasser." Diese und ähnliche
Meinungen sind bei Gesprächen, die man mit
Handwerkern über das Bauen und Formen der
Gegenwart da und dorten gelegentlich pflegt,
geradezu an der Tagesordnung. Warum wohl?
Das Handwerk, das sich immer wieder, selbst
auf die Gefahr hin, in eine sentimentale Lebens-
sphäre abzugleiten, auf seine altehrwürdige Tra-
dition (die übrigens auch die Modernsten nicht
bestreiten) beruft, muß, da es von Hause aus
nicht über die schöpferischen Potenzen wie etwa
die Baukunst verfügt, auf diesem scheinbar
richtigen Standpunkt beharren. Eine Preisgabe
dieser Meinung käme nämlich in den Augen des
Handwerks einer Preisgabe des gesamten hand-
werklichen Gutes gleich!
Diese Meinungen und Anschauungen gehen
auf jene seit rund 80 Jahren propagierte Ver-
quickung des künstlerischen Schaffens mit der
gewerblichen Arbeit — auf den Zustand „Kunst-
gewerbe" zurück. Ich weiß nicht, ob es richtig
ist oder falsch, wenn ich annehme, daß die-
ses sonderbare Gebilde, „Kunstgewerbe" ge-
nannt, auf die ebenso sonderbare Auswirkung
einer unter dem Gesichtswinkel einer entschuld-
baren Romantik gesehenen Geschichtsschrei-
bung zurückzuführen ist. Und die Menschen,
stets geneigt, Absonderliches höher einzuschät-
zen als das Sachlich-Gegebene, gewöhnten sich
gern daran, gelegentlich einen Blick in die so
beschriebene seltsam-wunderliche Welt des mit-
telalterlichen Bürgertums, in die von dem fal-
schen Glänze einer opernhaften Romantik um-
wobene „traute Enge" der Zünfte zu tun und
reihten jeden Künstler, der vielleicht und vielfach
grollend und widerstrebend sich den Zünften und
Gilden beigesellte, unerbittlich in die Reihen
der Handwerker von echtem Schrot und Korn.
Daß seit dem Ablauf des Mittelalters ein halbes
Jahrtausend dahingegangen ist und daß sich seit
den Tagen Dürers und Riemenschneiders das
Antlitz der Welt von Grund auf verändert hat, —
all dies wissen wir und verspüren wir alitäglich
am eigenen Leib. Und trotzdem scheut man
nicht vor fortgesetzten Versuchen zurück, dem
Handwerk bei jeder sich bietenden Gelegen-
heit ein romantisches Mäntelchen umzuhängen.
In Festansprachen, die von offiziellen und in-
offiziellen Persönlichkeiten gelegentlich hand-
werklicher Tagungen und Versammlungen gehal-
ten werden, taucht immer wieder das Zitat aus
den Meistersingern: „Ehrt eure deutschen Mei-
ster, dann bannt ihr gute Geister" auf und der
ehrsame Schuster und Poet Hans Sachs hat es
sich bei Lebzeiten bestimmt nicht träumen lassen,
daß er in späteren Zeiten als das besondere Ab-
bild einer antiquierten Weltanschauung heraus-
gestellt würde. Dabei geht, wenn auch für die
Außenstehenden kaum bemerkbar, ein frischer
Zug durch das Handwerk, besonders durch das
Junghandwerk, und der Stimmen, die den An-
schluß an die neue Zeit mit ihren Erscheinungen
predigen, werden täglich mehr und mehr. Das
„neue Handwerk" (wollen wir es so nennen) be-
ruht vor allem auf der Besinnung auf den eigent-
lichen Wert, Zweck und Sinn der handwerklichen
Arbeit. Der Wert des Handwerks ist seit
seinem Eintritt in das ökonomische Leben der
Menschheit identisch mit dem vernünftigen Be-
scheiden mit den Dingen des Handwerks und
sein Sinn ist nahezu gleichbedeutend mit dem
ehrbaren Erwerb, gleichbedeutend mit seiner
Sendung als Hüterin und Wahrerin der selbstän-
digen Arbeit des Einzelmenschen.
Es war niemals die Aufgabe des Handwerks,
das künstlerische Gesicht einer Zeit zu bestim-
men. Vielmehr war und ist das Handwerk eine
getreue, und wenn es sinngemäß betrieben wird,
eine zuverlässige Dienerin der Kunst und dazu
berufen, dem Werkstoff zu Leben und Gestalt,
der Idee zur greifbaren Wirklichkeit zu verhelfen.
Wie schon angedeutet wurde, ist das Handwerk
vor allem ein wirtschaftliches Gebilde. Es sorgt
dafür, daß die Geräte und Dinge des Gebrauchs
wohlfeil und werkgerecht erstellt werden und
gibt seinen Gliedern auskömmlichen Verdienst
und ein besonderes Ansehen und Gewicht im
Leben der Gemeinschaft. Dieses schöne Bild
wurde allerdings jäh zerstört. Der Prozeß
der Industrialisierung hat manches Handwerk
vernichtet, manches scheinbar zum Handlanger
der Industrie erniedrigt. Und auch diese Klage ist
ein wesentliches Stück Sentimentalität und nicht
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