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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rückert, Otto: Handwerk und neues Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0214

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ganz ernst zu nehmen, da auch heute noch ein
tüchtiger und zuverlässiger Handwerker Arbeit
und Verdienst findet. Das tragische Moment des
Handwerks, besonders des mit Form befaßten,
liegt in der Schwerfälligkeit des handwerklichen
Lebens und in der Tatsache begründet, daß es
von der Entwicklung der künstlerischen Gesche-
hen, die zumeist schlagartig einsetzen, durch-
aus abhängig ist. Und diese Abhängigkeit be-
ruht, wie eingangs erwähnt wurde, auf dem Um-
stand, daß das Handwerk trotz diesem oder
jenem Versuch, die klare Wahrheit mitleidig zu
verhüllen, niemals selbstschöpferisch, also revo-
lutionierend, sondern dienend und damit behar-
rend aufzutreten vermag. Das Handwerk folgt,
wenn auch zunächst zögernd, den Bahnen der
Kunst und muß diesen folgen, da es von dem
schöpferischen Menschen — dem Künstler —
nicht nur Arbeit und Aufträge, sondern dar-
über hinaus die wertvollsten Anregungen für das
eigene selbständige Schaffen erhält. Und von
der Bedeutung und dem geistigen Inhalt der Bau-
geschehen einer Zeit leiten sich die wirtschaft-
liche und kulturelle Stellung des Handwerks,
seine Leistungen und vielfach seine Arbeits-
verfahren ab.

Das gegenwärtige Handwerk leidet heute noch
unter den Nachwirkungen einer auf die Stil-
nachahmung und Äußerlichkeiten eingestellten
Baukunst. Die Zwangslage des Handwerks (d. h.
das kulturelle und wirtschaftliche Bild desselben)
ist nicht, wie irrtümlich behauptet wird, darauf
zurückzuführen, daß die gegenwärtigen Bau-
künstler glatte Möbel, glatte Anstriche, schmuck-
lose Gitter usw. gegenüber schwülstigen Dingen
bevorzugen. Die Schuld an der sichtbaren Not
der mit Form befaßten Gewerbe liegt, abgesehen
von den allgemein herrschenden Zuständen, die
auch die Industrie an den Rand des Ruins ge-
bracht haben, vor allem bei dem absonderlichen
Versuch unserer Väter, die reiche und prunkende
Formensprache ferner Zeiten auf neue Beine zu
stellen. Die Gewerbe erhielten durch diese
Übung reichliche Aufträge und der Zugang zu
dem Dekorationsmaler-, Vergolder-, Glasmaler-,
Kunsttischler- und Drechslergewerbe war ein so
reger, daß in demselben Augenblick, in dem die
neue Form des Bauens in den Werkbundländern
ihren Einzug hielt, die Zahl der Betriebe, und
damit die Zahl der Handwerker, in keinem Ver-
hältnis zu der Menge der Aufgaben stand. Die
vielgelästerte Maschine trat bei dieser Erschei-
nung nur bedingt in den Vordergrund, da die
meisten handwerklichen Betriebe mit Hilfsma-
schinen arbeiteten und die Investierung hand-
werklichen Kapitals in mechanischen Werkzeu-

gen derart anschwoll, daß nur zu oft die Grenzen
zwischen Industrie- und Handwerksbetrieb völlig
verwischt wurden. Eine besondere Schädigung
des Handwerks bedeutete die Heranzucht so-
genannter kunstgewerblicher Spezialisten, die
sich angesichts einer Umstellung eines Betrie-
bes auf die alltägliche Arbeit wie entthronte
Götter vorkamen.

Belastet mit einem Wust von Schnörkeln und
Arabesken, von kunstvollen Imitationen und an-
deren Beigaben der handwerklichen Arbeit
trat das Handwerk aus dem Halbdunkel einer
romantisch anmutenden Welt, die oft genug be-
denklich in das Kitschige geriet, in das klare und
überdeutliche Licht einer durchaus unsentimen-
talen Gegenwart. Der Bestand des Arbeitsvolu-
mens der Gewerbe war gleichzeitig zusammen-
geschwunden, und nichts liegt näher, als ange-
sicht der leeren Schränke an die guten alten
Zeiten zu denken. Man soll dem Handwerker die-
ses Beginnen nicht verübeln. Aber diese Ein-
stellung, die durchaus wirtschaftlichen Erwägun-
gen entspringt, gibt unverdientermaßen nur zu oft
den äußeren Anlaß für eine kühle Handbewegung,
mit der das Handwerk als etwas „Hinterwäldle-
risches und Altfränkisches" abgetan werden soll.
Und diese Geste, die durch nichts berechtigt ist
(es sei denn durch eine völlige Unkenntnis des
Handwerks selbst), bedeutet eine Sünde gegen
das Handwerk, in dessen Reihen heute genau so
wie ehedem tüchtige Meister und Gesellen zu
finden sind. Allerdings gibt es unverhältnismäßig
viele Stümper und Halbkönner, eine Erscheinung,
die man auch bei anderen Ständen ohne weiteres
feststellen kann.

Wie steht nun das sogenannte ,,neue Bauen"
zu dem Handwerk?

Ist es wirklich so, daß die gegenwärtigen Bau-
künstler lediglich das Industrieerzeugnis im Ge-
füge ihres Werkes dulden? Es muß zugegeben
werden, daß durch Typisierungsmaßnahmen aller
Art Fenster und Türen, Beschläge und andere
Bauteile innerhalb großer Baukomplexe verein-
heitlicht (wenn auch nicht verbilligt) wurden. Es
ist weiterhin richtig, daß neben dem herkömm-
lichen Möbel die Stahlrohrmöbel ihre Liebhaber
fanden, daß die doch noch anfallenden Holz-
arbeiten (und ihre Menge überwiegt das Stahl-
rohrmöbel ganz wesentlich!) glatt und schmuck-
los erstellt werden, daß kunstvoll geschmiedete
Gitter und Geländer durch einfache und zweck-
hafte Formen, schablonierte Anstriche und bunt-
bemusterte Tapeten durch glatte Anstriche er-
setzt werden. Wurde nun die Entwicklung der
Wertarbeit des Handwerks durch diese Übung,

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