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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Unter der Lupe
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Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [17]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0411

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Zur Abwechslung

überall in der Tages- und Fachpresse begegnet man
kleinen Artikeln und Bemerkungen, in denen die Rück-
kehr zum Ornament verheißen wird. Eine spaßige
Notiz finden wir in den „Düsseldorfer Nachrichten"
vom 3. September: „Wir sind einmal wieder so weit!
Die Mode der nackten Wand hat sich so überspitzt,
daß die Sehnsucht nach schmückendem Beiwerk wieder
lebendig wird. Nach Schönheit dürstet unsere Seele,
nach langer Zeit der Askese und Nüchternheit, nach dem
allzu langen Winter unseres Mißvergnügens. — Auch
Alexander Kochs ,Deutsche Kunst und Dekoration',
die gewiß im Lager der unentwegten Extremisten ge-
standen hat, bequemt sich dazu, den Umschwung mit-
zumachen." Wenn nicht alles täuscht, ist das sogar
der Abdruck eines Waschzettels. Notre eminent confrere
bequemt sich schon wieder einen Umschwung mitzu-
machen, der unentwegte Extremist!

Im „Mannheimer Tageblatt" fanden wir am 17. August
einen Bericht über den 20. Bundestag der Graveure
und Ziseleure. Darin heißt es: „Das Zeitalter der Ma-
schine, das über uns gekommen ist, schreit nach Gegen-
pol, den nur das private Leben geben kann, nach dem
einförmigen Rhythmus des Maschinenlaufes, nach dem
stundenlangen Ansehen der nüchternen Bürowände. (!)
Das Auge suchte nach einer harmonischen Form, es
suchte das Ornament. Das beste Beispiel, daß die Be-
wegung der neuen Sachlichkeit vorüber ist, haben wir
an der Bauausstellung in Berlin gesehen. Das Orna-
ment herrscht wieder vor. Dies war der Richtpunkt,
unter dem die Bundestagung des Deutschen Graveur-

und Ziseleur-Bundes in Hamburg stattfand." Oben
dürstete die Seele, hier sucht das Auge das Ornament,
weil der Mensch im Büro nichts weiter zu tun hat, als
die Wände anzustarren. „Das Zeitalter der Maschine
schreit!" und die „Phrase von der neuen Sachlichkeit
wird zu Tode gerannt". Ja, in diesem Stil, man kann
es schon nicht mehr Stil nennen, berichtet die Presse
über solche Fragen. Nicht immer, aber leider sehr,
sehr oft. Wie ein weiterer Witz wirkt es, daß in der-
selben Notiz einige Sätze aus einem Vortrag zitiert
werden, den Max Sauerlandt, Hamburg, auf dieser
suchte das Ornament. Das beste Beispiel, daß die Be-
Tagung gehalten hat. Sie sind wirklich im gleichen
Artikel wiedergegeben: „Wir alle kämpfen zwar
gegen die Maschine, theoretisch und praktisch ge-
sehen. Dieser Kampf legt uns drei Pflichten auf: Wir
müssen scharf unterscheiden lernen zwischen Nach-
ahmung und eigenem Gestalten. Wir müssen die Ma-
schinen lehren, uns ,aus der Hand zu fressen', um sie
nützlich zu machen, Hand und Maschine haben ihren
eigenen Stil. Wir dürfen die Maschine nicht bekämpfen,
sondern nur ihre Auswüchse. Unsere Zeit ist pro-
duktiv: sie hat eine neue Architektur geschaffen, die
nicht nur physischen, sondern die auch den tieferen
psychischen Bedürfnissen, Hoffnungen, Notwendigkeiten
der Zeit nach Klarheit, Ordnung und Gesetz entspricht.
Aus der gleichen Gesinnung muß auch das neue
Kunsthandwerk hervorgehen. Jedes Werk muß Sehn-
suchtserfüllung sein, aber auch von höchster Qualität.
Immer wieder müssen wir vor Augen führen, daß jede
produktive Zeit nicht nur für sich, sondern auch für die
Enkel schafft." W. L.

Baupolitik und Bauwirtschaft

Stadtrandsiedlung

Die Krise, weit entfernt davon, sich zu mildern, greift
vielmehr immer weiter und tiefer. Wie ein ungeheurer
Pflug bringt sie das ganze Erdreich des gewohnten
Lebens in Bewegung, Welthandel, Währungen, Banken
und Börsen, nicht weniger aber auch den zähen binnen-
ländischen Alltag, Lebensgewohnheiten, Arbeitsverhält-
nisse, Siedlungsformen und schließlich unser Denken.
Die Flucht aus den großen und teuren Wohnungen hält
an, aus den alten hochbebauten Wohnvierteln drängen
die Menschen nach draußen, aus den Großstädten an
die Stadtränder und aufs flache Land. Die Industrie hat
Millionen von Arbeitskräften abgestoßen, in allen Städten
sitzen Tausende, die nie mehr volle Beschäftigung in der
Industrie erwarten können, andere Tausende, junge
Menschen, die seit dem Ende ihrer Schulzeit vergebens
auf Arbeit warten. Wer irgend kann, rettet sich zu Ver-
wandten aufs Land, um ein wenig in der bäuerlichen oder
gärtnerischen Arbeit mitzuhelfen und dafür Nahrung und
ein Dach über dem Kopf zu haben.

In vielen Städten, besonders im Westen, haben Scharen
von Erwerbslosen Besitz ergriffen von städtischem Boden,
ohne viel nach Eigentum und Erlaubnis zu fragen, haben
den Boden unter sich aufgeteilt und haben angefangen,
sich primitive Hütten zu bauen und ein Stückchen Nutz-
garten anzulegen. Die Baupolizei, soweit sie vernünftig
ist, drückt beide Augen zu, obwohl die wilden Siedler
von ihren Vorschriften keinerlei Kenntnis nehmen. Da-
gegen müssen die vielen Hunderttausende von Schreber-
gartensiedlern und Laubenkolonisten, die bisher im nor-

malen gesetzlichen Rahmen gearbeitet haben, auch diesen
Herbst am 15. Oktober ihr Grundstück wieder verlassen.
Anderwärts, so in Leipzig und Frankfurt a. M., haben die
Stadtverwaltungen selbst angefangen, den von ihnen
unterstützten Arbeitslosen kommunalen Grundbesitz und
eine gewisse Hilfe für die erste Aufbauarbeit zu geben.

Parallel mit dieser Entwicklung geht eine Tendenz zur
Förderung der Kurzarbeit oder einer längeren Be-
urlaubung wechselnder größerer Belegschaftsteile (sog.
Krümpersystem). Diese Tendenz ist der Ausdehnung des
Siedlerwesens an den Stadträndern günstig, weil sie die
Verteilung der Arbeitszeit auf Fabrik und Kleingarten
ermöglicht.

Inzwischen setzt sich der Druck von draußen, vom
Weltmarkt her, auf die export-industriellen Länder, vor
allem auf Deutschland und England, weiter und in ver-
schärftem Maße fort. Die Uberproduktion der großen
Agrargebiete, die industrielle Verselbständigung der ehe-
maligen Absatzmärkte, die Behinderung des Güter-
verkehrs durch Zollmauern, des Kapitalverkehrs durch
politische Beunruhigung — das sind die Faktoren, die bei
uns die Menschen aus den großen Wohnungen treiben,
aus den Fabriken jagen, die sie aus den steinernen
Städten zur Scholle flüchten lassen. Und da Ende oder
Umkehrung dieses Vorganges nicht abzusehen sind, tun
wir zweifellos gut, uns auf seinen Fortgang einzurichten.
(Wir haben es bisher viel zu wenig getan; dafür war
noch die Bauausstellung dieses Sommers ein Beweis.)

Aber was bedeutet das? Was müssen wir tun, wenn
der alte Exportindustrialismus endgültig zu Ende geht?

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