Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

DOI Artikel:
Hirzel, Stephan: Die Erneuerung des Friedhofswesens
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0241

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE ERNEUERUNG DES FRIEDHOFSWESENS

STEPHAN HIRZEL

Die Abbildungen sind Aufnahmen aus der Kunst-Dienst-Ausstellung Dresden, „Tod und Leben"

Es bestehen seit Anfang des Jahrhunderts Be-
strebungen, die der Anarchie auf unseren Begräb-
nisstätten Einhalt zu gebieten versuchen und die
mit der Zeit unter dem Begriff „Friedhofsreform"
bekanntgeworden sind. Diese Reform erstreckt sich
ausschließlich auf den Begräbnisplatz, auf das Grab
und das Grabmal. Sie hat es bisher unterlassen,
den Gesamtvorgang vom Todesfall bis zur Bestat-
tung mit in den Aufgabenkreis einzubeziehen. Diese
Feststellung ist deshalb von Bedeutung, weil ein
durchgreifender Erfolg der Reform fragwürdig er-
scheinen muß, wenn nur ein Teil des Gesamtpro-
blems der Erneuerung unterworfen wird. Aus sol-
cher Teilreform ergeben sich dann in der Wirklich-
keit unweigerlich Widersprüche, wenn etwa die Hin-
bliebenen einen Toten mit großem Pomp und hohen
Kosten zu Grabe fahren und dort verordnungsgemäß
Aus der historischen Abteilung der Kunst-Dienst-Aussteiiung einen schlichten Reihenstein aufstellen müssen,
Dresden „Tod und Leben" . oder wenn ein Verstorbener zeit seines Lebens

einem selbstherrlichen Egoismus gehuldigt hat und
nun verordnungsgemäß einer Gräbergemeinschaft
eingeordnet wird. Der Zusammenhang von Toten-
kult und Lebensform einer Zeit wird an solchen
Beispielen klar und selbstverständlich. Somit stellt
das Friedhofswesen und der Bestattungsbrauch
eine sittliche Forderung an die Zeit. Die Verantwor-
tung für das, was auf diesem Gebiete unbeachtet
geschieht, wird um so größer, wenn man bedenkt,
daß bis auf unsere Tage Ruinen und Funde unter-
gegangener Völker zumeist das Grab zum Gegen-
stand haben, und an diesen Zeugnissen der Grad
einer Kultur abgelesen wird. Wer diese Methode
auf unsere Zeit anwendet, wird angesichts eines
üblichen Großstadtfriedhofes oder gar eines Sarg-
magazins zu sonderbaren Rückschlüssen auf die
Lebenshaltung der Gegenwart gelangen. Die Ab-
gründigkeit, die sich an solchen Orten offenbart,
wird durch die Fassade des frischfröhlichen Fort-
schrittes und der betonten Sachlichkeit nur sehr
notdürftig verdeckt.

Der instinktive Wunsch, die irdischen Reste oder
die Erinnerung an den Toten so lange wie irgend-
möglich zu erhalten, hat zu allen Zeiten verschie-
dene Bräuche hervorgerufen. Es hat Völker ge-
geben, die den Totenkult zum wesentlichen Inhalt
ihrer Gestaltungsarbeit gemacht haben, wie etwa
die alten Ägypter und die Chinesen bis auf unsere
Zeit. Obgleich Blüte und Verfall der Völker sich
deutlich im Totenkult widerspiegeln, so ist anderer-
seits festzustellen, daß die ursprünglichen Sitten
der Bestattung sich trotz aller formalen Degene-
ration und Verzerrung über alle Revolutionen und
Katastrophen hinaus hartnäckig erhalten. Nirgends
ist der Mensch so konservativ wie angesichts des
Todes. Selbst die Machteinbuße der Kirchen und
sch.ußbiid der historischen Abteilung die Aktivitäi der Freidenkerbewegung haben das

Tabieau final de i'exposition historique Friedhofs- und Bestattungswesen der Gegenwart

The final picture in the historicai exhibition nicht wesentlich verändern können. Alle Bräuche

Bankrotts einer Weltanschauung

229
 
Annotationen