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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Bier, Justus: Gabo
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0477

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N. Gabo. Raumplastik schwebend 1924

Motif decoratif «Planant», de 1924
Sculpture "In Suspension", 1924

Gabo

Justus Bier

Im November 1930 veranstaltete die Kestner-Gesell-
schaft eine Ausstellung der plastischen Arbeiten von
Gabo. Gabo ist Russe, er ist am 5. August 1890 in
Briansk im Gouvernement Orel geboren, ist aber schon
früh mit deutschem Geistesleben in Berührung gekommen.
Er bezog 1909 die Universität München und studierte
dort bei Wölfflin Kunstgeschichte, bei Röntgen, Grätz
und Beyer Naturwissenschaften. Später ging er zur Tech-
nischen Hochschule über, um sich zum Ingenieur auszu-
bilden. Er beschäftigte sich schon damals mit künstlerischen
Dingen, begann aber erst in Oslo, wo er nach Kriegs-
ausbruch sein Studium fortsetzte, mit plastischen Arbeiten.
Jene Jahre in Deutschland haben entscheidenden Ein-
fluß auf seine spätere Entwicklung gehabt: München war
damals ein Mittelpunkt für alle vorwärtsdrängenden
künstlerischen Geister, aber darüber hinaus ist auch die
Exaktheit deutscher wissenschaftlicher Arbeit für Gabos
spätere künstlerische Arbeit bestimmend geworden.

Seine ersten Anfänge zeigen Gabo in enger Berüh-
rung mit dem Kubismus. Diese ersten Arbeiten sind noch
gegenständlicher Art: es sind Köpfe, Figuren. Gabo be-
treibt hier wie die Kubisten eine Analyse des Gegen-
ständlichen auf den Gehalt an absoluten Formen hin.
Von den Kubisten unterscheidet er sich dadurch, daß er
keine geschlossene Masse duldet, den Körper nicht durch
seinen Umfang, durch kompakte Oberflächengestaltung,
sondern durch diagonale Flächendurchdringungen auf-
baut. Er macht sich bald vom Gegenstand, von jeder

Art Wirklichkeitserinnerung ganz frei und baut nun seine
Raumkonstruktionen, wie er seine Plastik nennt, aus jenen
absoluten geometrischen Formen, rationalen Elementen
einer Formensprache, die mit ihren Mitteln nicht weniger
als die Musik Irrationales, zur Empfindung Sprechendes
zu gestalten vermag. Wie er sich in seinen Gestaltungs-
prinzipien von aller kompakten Massivität löst, so auch
in der Auswahl der Materialien, aus denen er seine
plastisch-räumlichen Konstruktionen aufbaut. Er ver-
wendet fast ausschließlich Metall und Glas und erhält so
die Möglichkeit, aus Linien und Flächen seine Gebilde
aufzubauen, die schon durch ihr Material eine eigen-
tümliche Immaterialität besitzen. Die Verwendung von
Glas ermöglicht Wirkungen zu erzielen, die diesen ja an
sich plastisch-tastbaren Gebilden jede Festigkeit nehmen,
durch die gegenseitige Durchdringung der Flächen eine
seltsame Formspannung erzeugen, ja häufig die Illusion
bestimmter Bewegungseindrücke hervorrufen, die wie
alle Eindrücke bewegter Form mit bestimmten Empfin-
dungscharakteren verknüpft sind.

Es wird viele Menschen geben, die Gabos Arbeiten als
Plastik ablehnen, die sie aber als Architektur gutheißen.
Das sind alle die, die das Feld der Plastik auf das Feld
des Gegenständlichen einengen wollen. Wer will, mag
Gabos Arbeiten Architektur nennen, das Wesentliche ist,
daß sie eine zweckfreie Architektur vorstellen, eine
Architektur, die keine andere Aufgabe hat, als die
menschliche Seele anzusprechen. Das hat es bis zu

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