EWIGE FORMEN - NEUE FORMEN
W. LÖTZ
Der rührige Leiter der „Neuen Sammlung" in
München, Dr. von Wersin, hat kürzlich eine Aus-
stellung „Ewige Formen" veranstaltet, die leb-
haftes Interesse gefunden hat. Wir geben in die-
sem Heft neben einer Anzahl von Abbildungen
aus der Ausstellung einer Besprechung unseres
Mitarbeiters Dr. Bier Raum, in der an den Ord-
nungsprinzipien dieser Ausstellung Kritik geübt
wird. Soviel Interesse diese Ausstellung gefun-
den hat, so hat sie dennoch auch einigen Wider-
spruch gefunden, der vor allen Dingen dem Titel
gilt, unter dem hier Gefäße aus allen möglichen
Zeiten zusammengestellt worden sind. Mit die-
sem Titel ist eine Art Behauptung aufgestellt, die
man nicht ohne weiteres durch das Material der
Ausstellung als erwiesen ansehen kann. Auch
wird man durchaus nicht die Meinung teilen kön-
nen, daß ewige Formen in der Geschichte des
menschlichen Schaffens ganz selbstverständ-
lich sind und daß deshalb hier auf Grund einer
selbstverständlichen Voraussetzung das Material
für ein bestimmtes Gebiet zusammengestellt
worden ist.
Wir schließen uns der Meinung von Dr. Bier an,
daß man zwei so ganz verschiedene Ordnungs-
prinzipien wie die Form, die sich durch den Ge-
brauch ergibt, und die durch gedankliche Kon-
struktion oder den Menschen als Erbteil mitge-
gebene Vorstellungsform, nicht vermengen darf.
Wenn wir recht unterrichtet sind, so wird Dr.
With bei der Aufstellung seines neu zusammen-
gestellten Kunstgewerbemuseums in Köln in
einer besonderen Abteilung ganz eindeutig das
Material nach Gebrauchsformen ordnen. Er stellt
beispielsweise einmal Gießgeräte, ein anderes
Mal Henkelkrüge aus den verschiedensten Zeiten
zusammen. Eine solche Nebeneinanderstellung
kann sehr fruchtbar sein für unsere Erkenntnis
der Formen, aber es ist bedenklich, sie zusam-
menzustellen, um zu beweisen, wie völlig gleich-
artig diese Formen in allen Jahrhunderten sind.
In unseren folgenden Ausführungen wollen wir
denTitel der Münchener Ausstellung als mit einem
Fragezeichen versehen hinnehmen. Wir wollen
das, was uns als gleiche Formen gezeigt wurde,
auf seine Unterschiede hin untersuchen und nach
tieferen Gründen der Wandlung der Form
suchen. Da wird man an das Buch von Ernst
Kropp „Wandlung der Form im 20. Jahrhundert"
erinnert, und ist versucht, nachzulesen, wie ein-
prägsam und überzeugend er darin seine An-
schauung vertritt, daß in unserer Zeit allmäh-
lich eine ganz andere Form, nämlich die „starre
Form", ihren Einzug hält. Vielleicht kann man hier
einwenden, daß diese Herrschaft der starren
Form nur für ganz bestimmte Gebiete, vor allem
für diejenigen gelte, die unter der Herrschaft der
neuen Macht der Technik stehen. Es ist sicher-
lich richtig, daß auf dem Gebiet der Technik
diese Formenwelt zuerst unsere Aufmerksamkeit
anzog. Wenn wir nun aber überlegen, wie stark
die Technik bis ins Gebrauchsgerät des Men-
schen vordringt, so werden wir zum mindesten
zugeben müssen, daß viele Gerätschaften älterer
Zeiten heute durch ganz andersartige, von den
Gesetzen der Technik her bestimmte Formen
ersetzt werden. Ein sehr deutliches Beispiel ist
die Entwicklung des Lichtträgers vom Kienspan
über die Öllampe bis zur elektrischen Leuchte.
Wie weit die Technik als neugestaltende Macht
und als Schöpferin neuer Formen bis zum alltäg-
lichsten Gebrauchsgerät vordringt, zeigen Bei-
spiele wie der elektrische Teekocher, der
Siphon, die Thermosflasche. Das Bauhaus hat
vor einigen Jahren in einem Prospekt einmal eine
sehr witzige Darstellung der Entwicklung des
Stuhls gebracht, vom Holzstuhl zum Stahlrohr-
stuhl, und dann als letztes einen Menschen, der
auf nichts, sozusagen auf einer Luftschicht sitzt.
Das ist natürlich ein Scherz, aber ein nicht klei-
nes Körnchen Wahrheit ist dabei, denn wir wis-
sen nicht, aus welchen Materialien die Sitzgele-
genheiten in späteren Zeiten bestehen werden
und welcher Art die Verbindung der eigentlichen
Sitze mit Decke, Boden oder Wänden sein wer-
den. Denn ein Sitz braucht ja nicht auf dem Erd-
boden zu stehen, er kann auch hängen oder
sonstwie anders angebracht sein. Der Stahlrohr-
stuhl von Mies und der Autoklappsitz sind sta-
tisch ganz neue Möglichkeiten, die daher auch
zu einer anderen Form geführt haben. Es ist
gar keine Frage, daß in unserer Zeit, und zwar
zum allerersten Mal, zwar nicht die Gesetze der
Statik an sich, aber die Art ihrer Ausprägung in
den Formen sich wesentlich ändern und daß da-
her auch unser statisches Gefühl ein wesent-
lich anderes wird. Neue Materialien und neue
Konstruktionen sind die Vorbedingungen. Wenn
ein Architekt die Idee propagierte, seine Häuser
nicht mehr auf den Boden zu stellen, sondern an
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W. LÖTZ
Der rührige Leiter der „Neuen Sammlung" in
München, Dr. von Wersin, hat kürzlich eine Aus-
stellung „Ewige Formen" veranstaltet, die leb-
haftes Interesse gefunden hat. Wir geben in die-
sem Heft neben einer Anzahl von Abbildungen
aus der Ausstellung einer Besprechung unseres
Mitarbeiters Dr. Bier Raum, in der an den Ord-
nungsprinzipien dieser Ausstellung Kritik geübt
wird. Soviel Interesse diese Ausstellung gefun-
den hat, so hat sie dennoch auch einigen Wider-
spruch gefunden, der vor allen Dingen dem Titel
gilt, unter dem hier Gefäße aus allen möglichen
Zeiten zusammengestellt worden sind. Mit die-
sem Titel ist eine Art Behauptung aufgestellt, die
man nicht ohne weiteres durch das Material der
Ausstellung als erwiesen ansehen kann. Auch
wird man durchaus nicht die Meinung teilen kön-
nen, daß ewige Formen in der Geschichte des
menschlichen Schaffens ganz selbstverständ-
lich sind und daß deshalb hier auf Grund einer
selbstverständlichen Voraussetzung das Material
für ein bestimmtes Gebiet zusammengestellt
worden ist.
Wir schließen uns der Meinung von Dr. Bier an,
daß man zwei so ganz verschiedene Ordnungs-
prinzipien wie die Form, die sich durch den Ge-
brauch ergibt, und die durch gedankliche Kon-
struktion oder den Menschen als Erbteil mitge-
gebene Vorstellungsform, nicht vermengen darf.
Wenn wir recht unterrichtet sind, so wird Dr.
With bei der Aufstellung seines neu zusammen-
gestellten Kunstgewerbemuseums in Köln in
einer besonderen Abteilung ganz eindeutig das
Material nach Gebrauchsformen ordnen. Er stellt
beispielsweise einmal Gießgeräte, ein anderes
Mal Henkelkrüge aus den verschiedensten Zeiten
zusammen. Eine solche Nebeneinanderstellung
kann sehr fruchtbar sein für unsere Erkenntnis
der Formen, aber es ist bedenklich, sie zusam-
menzustellen, um zu beweisen, wie völlig gleich-
artig diese Formen in allen Jahrhunderten sind.
In unseren folgenden Ausführungen wollen wir
denTitel der Münchener Ausstellung als mit einem
Fragezeichen versehen hinnehmen. Wir wollen
das, was uns als gleiche Formen gezeigt wurde,
auf seine Unterschiede hin untersuchen und nach
tieferen Gründen der Wandlung der Form
suchen. Da wird man an das Buch von Ernst
Kropp „Wandlung der Form im 20. Jahrhundert"
erinnert, und ist versucht, nachzulesen, wie ein-
prägsam und überzeugend er darin seine An-
schauung vertritt, daß in unserer Zeit allmäh-
lich eine ganz andere Form, nämlich die „starre
Form", ihren Einzug hält. Vielleicht kann man hier
einwenden, daß diese Herrschaft der starren
Form nur für ganz bestimmte Gebiete, vor allem
für diejenigen gelte, die unter der Herrschaft der
neuen Macht der Technik stehen. Es ist sicher-
lich richtig, daß auf dem Gebiet der Technik
diese Formenwelt zuerst unsere Aufmerksamkeit
anzog. Wenn wir nun aber überlegen, wie stark
die Technik bis ins Gebrauchsgerät des Men-
schen vordringt, so werden wir zum mindesten
zugeben müssen, daß viele Gerätschaften älterer
Zeiten heute durch ganz andersartige, von den
Gesetzen der Technik her bestimmte Formen
ersetzt werden. Ein sehr deutliches Beispiel ist
die Entwicklung des Lichtträgers vom Kienspan
über die Öllampe bis zur elektrischen Leuchte.
Wie weit die Technik als neugestaltende Macht
und als Schöpferin neuer Formen bis zum alltäg-
lichsten Gebrauchsgerät vordringt, zeigen Bei-
spiele wie der elektrische Teekocher, der
Siphon, die Thermosflasche. Das Bauhaus hat
vor einigen Jahren in einem Prospekt einmal eine
sehr witzige Darstellung der Entwicklung des
Stuhls gebracht, vom Holzstuhl zum Stahlrohr-
stuhl, und dann als letztes einen Menschen, der
auf nichts, sozusagen auf einer Luftschicht sitzt.
Das ist natürlich ein Scherz, aber ein nicht klei-
nes Körnchen Wahrheit ist dabei, denn wir wis-
sen nicht, aus welchen Materialien die Sitzgele-
genheiten in späteren Zeiten bestehen werden
und welcher Art die Verbindung der eigentlichen
Sitze mit Decke, Boden oder Wänden sein wer-
den. Denn ein Sitz braucht ja nicht auf dem Erd-
boden zu stehen, er kann auch hängen oder
sonstwie anders angebracht sein. Der Stahlrohr-
stuhl von Mies und der Autoklappsitz sind sta-
tisch ganz neue Möglichkeiten, die daher auch
zu einer anderen Form geführt haben. Es ist
gar keine Frage, daß in unserer Zeit, und zwar
zum allerersten Mal, zwar nicht die Gesetze der
Statik an sich, aber die Art ihrer Ausprägung in
den Formen sich wesentlich ändern und daß da-
her auch unser statisches Gefühl ein wesent-
lich anderes wird. Neue Materialien und neue
Konstruktionen sind die Vorbedingungen. Wenn
ein Architekt die Idee propagierte, seine Häuser
nicht mehr auf den Boden zu stellen, sondern an
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