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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Unter der Lupe
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0410

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Unter der Lupe

Ein ernsthaftes Problem
für das Gewerbe!

Das Landesgewerbemuseum Stuttgart will eine Aus-
stellung von Einzelmöbeln der Gegenwart unter dem
Namen: „Ohne scharfe Kanten" veranstalten. Hier
taucht also endlich die wichtige Frage auf, ob die
scharfe Kante oder die abgestumpfte Kante das
Charakteristikum der modernen Gestaltung ist.
Wenn vielleicht festgestellt werden kann, daß die
stumpfe Kante das Charakteristikum der wahrhaft mo-
dernen Gestaltung ist, so muß daraus geschlossen
werden, daß der Jugendstil die klarste Ausprägung
der modernen Gestaltung bedeutete, weil er nicht nur
keine scharfen Kanten zeigte, sondern im Gegenteil
sehr weiche Ecken, Kanten und Schwünge. Eine jede
Ausstellung dient angeblich einer Idee. Und auch die
Ausstellung, die das Stuttgarter Landesgewerbemuseum
veranstaltet, dient einer Idee. Wir erfahren diese aus dem
Einladungsschreiben, das die Museumsleitung an die
Firmen verschickt. „Es handelt sich nicht nur um die
am meisten störenden Vertikalkanten, die wir be-
kämpfen, sondern ebenso auch um scharfkantige Tisch-
platten, Armlehnen bei Möbeln und dergleichen, die
durch abgerundete Profile ersetzt werden sollen." Wie
wir hören, haben die Firmen, als ihnen dieses Schreiben
zuging, sofort einige ihrer Leute mit Hobeln und Feilen
ausgerüstet, damit sie an den Stücken, die für diese
Ausstellung bestimmt sind, alle Kanten abhobeln und
-feilen.

Der Kampf gegen die scharfe Kante ist damit an-
gesagt. Wir wissen nicht, ob die Ausstellung sich nur
auf Holzmöbel beschränkt. Es ist aber fast anzu-
nehmen, und zwar deshalb, weil bei diesem Material
und bei der Holzkonstruktion Kanten eine Selbst-
verständlichkeit sind. Vielleicht wäre es gut, wenn
man diese Kanten mit Gummipolstern umkleiden
würde, damit man sich nicht daran stößt, denn wir
nehmen doch an, daß die scharfe Kante nicht aus
formalistischen Motiven bekämpft wird, sondern des-
halb, weil man sich daran stoßen kann. Jedenfalls ist
es ratsam, Möbel aus anderem Material, etwa die
Stahlrohrmöbel, nicht in die Ausstellung zu nehmen,
weil ja Stahlrohr keine Kanten hat und also die scharfe
Kante beim Stahlrohrmöbel nicht bekämpft werden
kann. Aber ist es denn wirklich wahr, daß man sich
nur an den scharfen Kanten stößt? Stoßen sich die
meisten nicht an den „glatten Flächen"? Und noch
gefährlicher ist es, wenn man sich an den großen Glas-
scheiben, die in der modernen Architektur bis auf die
Erde heruntergezogen werden, den Kopf einrennt. Ja,
es gibt vieles in der modernen Architektur, an dem
man sich stoßen kann.

Eine weitere Museumsausstellung

Die Staatliche Kunstbibliothek in Berlin bereitet eine
Ausstellung „Das zeitgemäße Gebrauchsgerät" vor. Die
Ausstellung soll im Lichthof des ehemaligen Kunst-
gewerbemuseums während der Monate November und
Dezember gezeigt werden. Die Ausstellungsleitung
bat uns, eine Mitteilung über diese Ausstellung zu ver-

öffentlichen, in der folgende Sätze stehen: „Aus der
gesamten industriellen und handwerklichen Produktion
werden in Form und Material vorbildliche und zur
Normung geeignete Gerätschaften ausgewählt und zu-
sammengetragen. Es soll damit zum erstenmal der
Produktion der Weg zu der notwendigen Standardi-
sierung und einem weiteren Publikum die heute bereits
vorhandenen Möglichkeiten zum Erwerb eines billigen
und zugleich mustergültigen Hausgeräts gezeigt
werden." Wir möchten diese Notiz doch nicht ab-
drucken, ohne sie zu kommentieren. Es ist sehr zu be-
grüßen, wenn sich die staatlichen und städtischen
Museen in den Dienst der Propagierung guter moderner
Gebrauchsgerätschaften stellen. Solche Ausstellungen
werden nicht nur von der Industrie, sondern auch vom
Publikum begrüßt werden. Daß es die Leitung unter-
nimmt in kurzer Zeit aus der „gesamten" industriellen
und handwerklichen Produktion die geeigneten
Gerätschaften auszusuchen, muß Bewunderung bei
denen erregen, die eine Ahnung von dem Umfang
der gesamten Produktion haben. Bedenken erregt,
daß man Gerätschaften ausstellen will, die zur „Nor-
mung" geeignet sind. Genormte Gerätschaften, daran
hat wohl kaum noch jemand gedacht. Man hat
Größen, Materialien genormt, man ist sich etwa einig
darüber geworden, daß man die Tragkübel für das
Essen in den Krankenhäusern nur noch in drei oder
vier verschiedenen Literfassungen herstellt. Man hat
Schrauben und Gewinde genormt, aber von Geräten
lassen sich nur Größen normen. Aber daß diese Aus-
stellung „zum erstenmal" den Weg zur Standardisie-
rung — „Standardisierung" ist etwas anderes als „Nor-
mung" — zeigen soll, das ist nicht gut möglich. Wir
nehmen an, daß auf dieser Ausstellung vorbildliche
Hausgeräte gezeigt werden sollen, und das geschieht
nicht etwa zum erstenmal. Wir erinnern an die Hallen-
schau von Hausgeräten in Stuttgart 1927. Wir erinnern
an die Ausstellungen von Pechmanns und von Wersins
in der Neuen Sammlung in München. Wir erinnern an die
Arbeiten Biers in der Kestner-Gesellschaft in Hannover.
Wir erinnern auch an viele Publikationen in Büchern
und Zeitschriften, etwa an das „Deutsche Warenbuch",
das 1916 erschien. Es ist sehr natürlich, daß die bis-
herige Arbeit des Werkbundes auf diesem Gebiet im
nächsten Jahre in einer gut durchgearbeiteten Aus-
stellung in Stuttgart zusammengefaßt werden soll,
unter Mitarbeit von Leuten, die schon jahrelang auf
diesem Gebiet arbeiten und sich mit diesen Problemen
beschäftigen. Denn ganz so einfach sind die Fragen
der Standardisierung nicht. Man könnte sehr leicht
standardisieren, wenn wir den Musterschutz und die
Konkurrenz nicht hätten. So aber ist ja jede Firma ge-
zwungen, ihre Artikel ein klein wenig anders zu halten
wie die der Konkurrenz. Allerdings, es gibt viele
Firmen in Deutschland, die Fahrräder herstellen oder
elektrische Bügeleisen. Und das sind Sfandardartikel.
Standard bedeutet ja nicht völlige Gleichheit in der
Form, sondern höchste und bestmögliche Ausprägung
eines Gegenstandes in einer Form und Art, in der er
den bestehenden Bedürfnissen am besten dient.

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