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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwirtschaft, [14]
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Buchbesprechung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0132

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Berlin ist nun einmal nicht eine Gemeinde wie
alle andern, nur etwas größer. Der Satz, daß an
einem bestimmten Punkte die Quantität in die
Qualität umschlägt, ist eine Grundwahrheit aller Dia-
lektik, die nicht vergessen werden sollte. Auch Ber-
lin ist ein Beweis für die Richtigkeit dieses Satzes,
sei es vorläufig auch nur in der Form, daß die nicht

gemeisterte Massenhaftigkeit aller Verhältnisse
ständig umzuschlagen droht in die mangelhafte Qua-
lität der Verwaltung. Statistik, Technik und alle Wis-
senschaft sind gut und unentbehrlich als Hilfskräfte:
aber an dem Punkt, an dem Quantität in Qualität und
Vergangenheit in Zukunft dialektisch umschlagen,
müssen immer noch andere Kräfte eingebaut werden.

BUCHBESPRECHUNG

,.Architektur als Symbol, — Elemente
deutschen neuen Bauens" von Josef Frank.
(Verlag von Anton Schroll u. Co. in Wien.)

Aus seiner Wiener Werkbundrede kennen wir
Josef Frank als einen Geist von ungewöhnlicher
Beweglichkeit und von einer mutigen, manchmal
etwas boshaften Skepsis, die sich nicht scheut,
auch hinter solche Werte, die heute fast sakosankt
sind, ein Fragezeichen zu setzen. ,.Freie Geister"
dieser Art sind in den meisten Phasen einer kul-
turellen Entwicklung sehr nützlich, ja notwendig,
weil sie allein Festgefahrenes zu befreien, Erstarr-
tes aufzulockern vermögen. Deshalb mußte man>
einem Buche von Josef Frank mit hoher Erwartung
entgegensehen, in der Hoffnung, dort die tiefere
und ernsthaftere Begründung für manches vorzu-
finden, was in der Rede nur eben spielerisch ange-
deutet oder rhetorisch überspitzt war.

Leider wird diese Hoffnung enttäuscht. Das Buch
ist noch reicher an geistreichen und überraschenden
Einzelbemerkungen als der Vortrag, — aber ebenso
spielerisch und paradoxenfreudig wie dieser. Und
wenn man auch noch so sehr geneigt sein sollte,
die Kritik an den meisten heute herrschenden An-
schauungen als berechtigt anzuerkennen, muß man
doch jede klare Antwort auf die Frage, was denn
nun an die Stelle dieser Anschauungen treten soll,
vermissen. Eigentlich steht in dem ganzen Buche
— abgesehen von einer sehr schön formulierten,
aber durchaus ..platonischen" Lobpreisung Ost-
asiens — eine einzige richtige „Position", das ist
die Behauptung, daß es nur einmal in der Welt die
wahre Vollkommenheit gegeben habe, und zwar in
der griechischen Baukunst. Wahrscheinlich ist seit
den Zeiten des Klassizismus nie mehr die ganze
Welt so einseitig vom Standpunkt des klassischen
Ideals aus gesehen worden wie hier. In den ..Stein-
haufen" der romanischen Baukunst sieht Frank nur
..schwächliche Roheit" und „unbeholfene Brutali-
tät", in der Gotik nur „Hilflosigkeit und Schwäche",
in der Dekoration des Rokoko ..tierische Roheit",
und die reichen Schmuckformen der frühchristlichen
Baukunst sind ihm „ekelerregend". Die Proportions-
gesetze der griechischen Baukunst sind die einzi-
gen, die ewige Geltung haben.

Wer Frank nur aus diesem Buche kennt, muß ihn
für einen Klassizisten halten, der jedes Streben
eines schaffenden Architekten, in neuem Sinne zu
bauen, von vornherein als vergeblich ansieht. Denn
da auch heute noch das Ziel der Architektur sei,
„die Harmonie aller Teile eines Ganzen zu errei-
chen", so bleibt eigentlich nichts anderes übrig,

wie den griechischen Formen und Proportionen mög-
lichst nahezukommen. Und in der Tat ist ja Frank
der Überzeugung, daß wir dem klassischen Geiste
bereits wieder sehr nahe stehen. Allerdings stellt
er auch fest, daß der Gedanke, daß „unsere Zeit
die ganze bekannte Zeit ist", allein die Grundlage
moderner Baukunst sein könne. — nachdem er kurz
vorher geschrieben hatte, daß „Telefonisolatoren
und Straßenbahnen jeden Versuch einer alten Archi-
tektur lächerlich machen". Von diesem letzteren
Satze scheint mir ganz allein eine Brücke zu Franks
eigenem Bauen zu führen: dieses ist ganz entschie-
den „modern", sehr traditionslos und weder klassi-
zistisch noch klassisch, und das ist gut so.

Nun hat aber Frank bekanntlich auch jenen sehr
schönen, sehr bequemen Stuhl geschaffen, der ganz
sicher in der Form nicht „modern", vielmehr eher
im Sinne des 18. Jahrhunderts ist, — also immerhin
in die Nähe der ..Barocke" gehört, von der Frank
sagt: „Sie bedeutet eine vollkommen innerhalb der
antiken Tradition gelegene Entwicklung, die Indivi-
dualismus stärker betonte als jedes frühere Sta-
dium. Das ist es auch, was uns die Barocke so
fremd macht und sie als Ausläufer charakterisiert,
dem kein prinzipiell neues Wollen zugrunde liegt."
Man möchte gerne aus dem Buche eine Lösung die-
ser Widersprüche gewinnen, findet dort aber eigent-
lich nur einen sehr leidenschaftlichen Angriff gegen
die von Frank „kunstgewerblich" genannte Konse-
quenz, mit dem heute nach einer Neugestaltung
auch des „Geräts" gesucht wird. Er mag dabei in
manchem recht haben, aber er übersieht, daß diese
fast verbissene Konsequenz der natürliche Ausdruck
der augenblicklichen kulturellen Situation ist, und
daß der Verzicht auf vieles, was eine frühere Woh-
nung behaglich machte, nicht immer aus einer Mode,
sondern aus einer echten Überzeugung kommt.

Trotz allem — man wünscht diesem Büchlein viele
Leser, denn es ist sehr anregend und heilsam in der
vorurteilslosen Skepsis, mit der es vieles von dem.
was heute schon wieder Dogma geworden ist, in
Frage stellt. W. R.

Mitarbeiter dieses Heftes:

Dr. Justus Bier, Schriftsteller, künstlerischer Leiter der Kestner-

Gesellschaft E. V., Hannover
Richard J. Neutra, Architekt, Los Angeles, Kalifornien
Dipl.-Ing. Leonie Pilewski, Architektin, Wien

Dr. Otto Neurath, Direktor des Gesellschafts- und Wirtschafts-
museums Wien

Dr. Alexander Schwab, Volkswirtschaftlicher Schriftsteller, Berlin

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