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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Tschichold, Jan: Neuere Typografie in Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0394

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Neuere Typografie in Frankreich

JAN TSCHICHOLD

Es hat verhältnismäßig lange gedauert, bis man in
Frankreich zu einer Revision der geltenden typo-
grafischen Methoden gekommen ist. Aber die Not-
wendigkeit bestand dort auch weniger als in Deutsch-
land, wo in den ersten Jahren nach dem Kriege in der
Typografie eine Verwilderung einsetzte, die nur mit den
schlimmen Zeiten um 1890 verglichen werden kann. Die
Regeln des spätklassischen Satzes (1830) sind in Frank-
reich noch heute gültig; sie sind Grund für die zwar
häufig recht konventionelle, aber zu einer Art Standard
entwickelte, nie eigentlich geschmacklose Form der
Durchschnittsdrucksache. Der französische Geist erlaubt
nicht, den logischen Aufbau der äußeren Form zu opfern,
wie es in den expressionistischen Kitschdrucksachen der
Jahre 1920—25 bei uns nicht selten geschah.

Auch die Sucht nach dem Besonderen, dem „Schmus",
ist dem französischen Typografen fremd. Er folgt den
alten Regeln und versucht sie möglichst kultiviert an-
zuwenden. Das wird freilich immer schwerer, da auch
die französische Tradition in Wirklichkeit erstarrt ist und
nichts Neues mehr zeugen kann. Diese Sterilität ist
indes eine andere wie die der deutschen Typografie
um 1924. In der französischen lebt immer noch ein Rest
echten Lebens; die deutsche Typografie dagegen, allzu-
sehr geschwächt durch allerlei Experimente der letzten
vierzig Jahre, zeigte nur die Zuckungen eines galvani-
sierten Körpers. Eine gewisse Betriebsamkeit mancher
deutschen Schriftgießereien begünstigte den Wirrwarr,

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indem diese jeder Eintagsmode mit einer neuen Spezial-
schiff entgegenkamen.

Zu seinem Glück hat Frankreich solche Hypertrofie
der Matrizenproduktion nie erlebt. Die jährlichen Neu-
erscheinungen französischer Schriften lassen sich an fünf
Fingern abzählen. Daher konnte auch nie ein solches
Chaos wie bei uns vor ein paar Jahren entstehen.

Die französische Typografie hat sich jedoch nicht auf
die Dauer dem überall einsetzenden neuen Gestaltungs-
willen widersetzt. Etwa seit der Kunstgewerbeausstellung
Paris 1925 begegnet man häufiger Drucksachen im Sinne
neuer Typografie.

Die Bilder zeigen einige Beispiele. Die Arbeiten von
Maximilien Vox beweisen das Bestreben, das bekannte,
überlieferte Material in neuer, witziger Weise anzu-
wenden. Deutlich spürbar, vor allem etwa in der Ver-
wendung der Schreibmaschinentype, ist eine gewisse
ironische Einstellung, die diese Art Typografie von dem
Verdacht reinigt, historisierend zu sein. Die beiden
Arbeiten repräsentieren eine bestimmte „neue Richtung",
die vielen Lesern auch durch neuere französische Buch-
umschläge bekannt sein dürfte.

Der Briefbogen Lanvin entstammt einem Schriftmuster-
heft der Gießerei Deberny & Peignot, Paris. Von dieser
wurde auch die Schrift „Bifur" herausgegeben, aus deren
Probeheft wir einige Seiten reproduzieren. Die Schrift
selbst hat den bekannten Plakatmaler A.-M. Cassandre
zum Autor; die Probe wurde von ihm und Charles

Maximilien Vox: Entwurf eines Briefbogens. (Aus einer Schrift- Maximilien Vox: Geschäftsbriefbogen
probe von Deberny & Peignot, Paris). Farben: schwarz und
karminrot

Modele d'un papier ä lettres (de la collection de la maison Deberny
& Peignot, Paris). Couleurs: noir et carmin

Design of a letter head (from a catalogue issued by Deberny et Peignot,
Paris). Colour scheme: black and carmine

Papier ä lettres commercial
Commercial letter form

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