Baupolitik und Bau Wirtschaft
ALEXANDER SCHWAB
Rußland baut Städte.
In dem Vortrag, den Ernst May über seine Arbeit in
Rußland im Juni dieses Jahres gehalten und den er jetzt
in der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt" veröffentlicht hat,
spürt man die Freude des Praktikers, daß er einmal in
ganz großem Stil arbeiten kann. Neue Industriestädte
sind aus der Erde zu stampfen, bis Ende dieses Jahres
sollen Wohnungen für nicht weniger als 700 000 Arbeiter
mit ihren Familien geschaffen werden. Die riesige Kluft
zwischen Theorie und Praxis, die unter den Verhältnissen
des kranken Westeuropa die Position des Städtebauers
so unerfreulich, ja fast unmöglich macht, sie ist in der
Sowjetunion verschwunden. Dort gibt es wieder einen
Bauherrn, der ungeheure Aufgaben mit kürzesten Fristen
stellt, während bei uns die Praktiker der Verwaltung und
der Wirtschaft sich in endlosen Konkurrenz- und Ressort-
kämpfen verlieren und sich gegenüber den von der ge-
sellschaftlichen Entwicklung aufgeworfenen Fragen meist
nur zu verspäteten und auch sonst falschen Teilkompro-
missen entschließen.
Damit ist allerdings die Frage, ob das, was in der
Sowjetunion städtebaulich im allgemeinen und was ins-
besondere von May unternommen wird, in irgend einem
Sinne „richtig" sei, erst aufgeworfen, aber nicht beant-
wortet. Leider wird man sie auch nach der Lektüre des
Mayschen Vortrages nicht beurteilen können. Ob die
Regierung die Aufgaben richtig gestellt hat, wäre gewiß
nur im Zusammenhang mit einer Prüfung der gesamten
russischen Wirtschaftsplanung zu entscheiden, kann also
hier nicht zur Diskussion stehen. Zur Beurteilung der
Lösungen, die Ernst May zusammen mit seinen deutschen
und russischen Mitarbeitern vorgeschlagen hat, wäre das
Material an Planskizzen, das dem Heft beigegeben ist,
die unentbehrliche Unterlage, und leider ist gerade dieses
Material in so kleinem Maßstabe und mit so unzureichen-
den Erläuterungen wiedergegeben, daß man ihm kaum
irgendwelche Anhaltspunkte entnehmen kann. So bleibt
man auf den Text angewiesen, der sich naturgemäß auf
Andeutungen beschränken muß. Der Gedanke der Band-
stadt ist als General-Planungsidee bevorzugt, so z. B. für
das neue Industriezentrum Magnitogorsk in der Anord-
nung Fluß — Industrie — Eisenbahn — Grüngürtel —
Wohnungen. Allerdings ist May der Auffassung, daß der
Gedanke der Trabantenstadt sich als das höhere Prinzip
erweisen wird, doch sind Streitfragen dieser Art im Range
der Grundfrage nachgeordnet, nämlich: was das eigent-
lich für Städte sind, die dort neu entstehen sollen. Der
Existenzgrund dieser Städte ist die Unterbringung der
Arbeitskräfte für neu geschaffene Industriezentren — sehr
im Gegensatz zur Entstehung fast aller Städte der kapita-
listischen Welt aus Markt, Verkehr und Verwaltungs-
mittelpunkt. Ja man kann fragen, ob das noch wirkliche
Städte sind oder nicht vielmehr ausgedehnte Industrie-
siedlungen, wie sie ja z. B. auch von großen deutschen
Werken schon vor dem Kriege geschaffen wurden. Die
Bandstadt verdeutlicht das recht gut: es gibt in ihr,
wenigstens prinzipiell, nur noch zwei Verkehrsrichtungen,
nämlich die Längsrichtung für die Güterproduktion von
den ankommenden Rohstoffen am einen bis zu den ab-
gehenden Fertigfabrikaten am andern Ende, und die
Querrichtung, in der die Arbeiter aller Grade aus den
Wohnungen in die Werkstätten und zurück strömen.
Unter diesem Aspekt stellt sich auch heraus, daß der
exemplarische Wert dieser russischen Arbeiten für unsere
Verhältnisse relativ beschränkt ist und im wesentlichen nur
für die Anlage von Werksiedlungen gelten kann. Für
unsere Städte im eigentlichen Sinne, als Produkte und
Träger einer Markt- und Verkehrswirtschaft, wird viel-
leicht nicht allzuviel daraus zu lernen sein. Es kommt
hinzu, daß Probleme von Millionenstädten, die ja ihren
eigenen Charakter haben, in den russischen Arbeiten
von May bisher noch nicht behandelt sind.
Von besonderem Interesse, freilich in ganz anderer
Weise, ist das, was May von den wohnungspolitischen
Elementen mitteilt, die sich aus der Ideologie der Sow-
jets ergeben, die Verpflanzung der weiblichen Arbeits-
kraft aus dem Haushalt in die Industrie, die Schaffung
von Verpflegungskombinaten, Halbfertigküchen, Kollek-
tivwohnungen, der Richtungsstreit zwischen Gemäßigten
und Radikalen bezüglich des Grades und des Tempos
der pädagogischen Sozialisierung. Alle diese Probleme,
ausgehend von der Hereinziehung der Frau in den Pro-
duktionsprozeß, klingen auch bei uns an. Aber da wir
nun einmal, mit wieviel Zweifeln auch immer, nach wie
vor in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung leben, so
haben alle diese Probleme für uns ein anderes Gesicht,
und der Erkenntniswert der russischen Arbeiten rückt ins
Akademische.
Wohin geht der Weg?
Unter den Schlägen der Krise ändert sich von Woche
zu Woche die Gestalt aller unserer wirtschaftlichen Ge-
gebenheiten und Fragen. Die Bautätigkeit, schon im
Frühjahr sehr schwach, ist seit der Kreditkrise Mitte Juli
jäh zurückgegangen. Die Großstädte hatten schon im
vergangenen Jahr einen leichten Wanderungsverlust, der
zum Teil sogar durch den Geburtenüberschuß nicht aus-
geglichen wurde und diese Entwicklung, eine vollkom-
mene Umkehr des Gewohnten, hat sich auch im laufenden
Jahr fortgesetzt. Der Markt der städtischen Groß-
wohnungen ist zusammengebrochen, und außerdem hat
auch schon eine Flucht aus den Neubauwohnungen ein-
gesetzt. Der Ertrag der Hauszinssteuer, 1929 noch rund
zwei Milliarden, ist gesunken und dürfte 1931,1932 nur
noch 1,4 Milliarden ausmachen, wovon bestimmungs-
gemäß allerdings ohnehin nur noch 400 Millionen dem
Wohnungsbau zugute kommen. Die Zahl derer, für die
das Wohlfahrtsamt die Miete bezahlen muß, steigt von
Monat zu Monat. Die öffentliche Bautätigkeit ist aus
Mangel an Mitteln aufs äußerste eingeschränkt.
In dieser Situation erhebt die „Baufront" ihre Stimme,
eine Front, in der so gut wie alle am Bauen interessierten
Industrien, das Bauhandwerk, die Verbände der Archi-
tekten und Ingenieure zusammengefaßt sind. Sie fordert
die Fortführung der normalen Bautätigkeit der öffent-
lichen Hand, die volle Durchführung des Wohnungsbau-
programms im laufenden Jahr und den beschleunigten
Abbau von Wohnungszwangswirtschaft und Hauszins-
steuer. Gleichzeitig veröffentlicht ein führender Mann
der Hausbesitzerverbände, Stadtrat Humar, einen Plan
zur Umwandlung der Hauszinssteuer in eine Rente, die
dem Staat nur noch 300 statt 1400 Millionen jährlich
bringen soll. Die Hypothekenbanken haben sich bereit
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ALEXANDER SCHWAB
Rußland baut Städte.
In dem Vortrag, den Ernst May über seine Arbeit in
Rußland im Juni dieses Jahres gehalten und den er jetzt
in der Zeitschrift „Das Neue Frankfurt" veröffentlicht hat,
spürt man die Freude des Praktikers, daß er einmal in
ganz großem Stil arbeiten kann. Neue Industriestädte
sind aus der Erde zu stampfen, bis Ende dieses Jahres
sollen Wohnungen für nicht weniger als 700 000 Arbeiter
mit ihren Familien geschaffen werden. Die riesige Kluft
zwischen Theorie und Praxis, die unter den Verhältnissen
des kranken Westeuropa die Position des Städtebauers
so unerfreulich, ja fast unmöglich macht, sie ist in der
Sowjetunion verschwunden. Dort gibt es wieder einen
Bauherrn, der ungeheure Aufgaben mit kürzesten Fristen
stellt, während bei uns die Praktiker der Verwaltung und
der Wirtschaft sich in endlosen Konkurrenz- und Ressort-
kämpfen verlieren und sich gegenüber den von der ge-
sellschaftlichen Entwicklung aufgeworfenen Fragen meist
nur zu verspäteten und auch sonst falschen Teilkompro-
missen entschließen.
Damit ist allerdings die Frage, ob das, was in der
Sowjetunion städtebaulich im allgemeinen und was ins-
besondere von May unternommen wird, in irgend einem
Sinne „richtig" sei, erst aufgeworfen, aber nicht beant-
wortet. Leider wird man sie auch nach der Lektüre des
Mayschen Vortrages nicht beurteilen können. Ob die
Regierung die Aufgaben richtig gestellt hat, wäre gewiß
nur im Zusammenhang mit einer Prüfung der gesamten
russischen Wirtschaftsplanung zu entscheiden, kann also
hier nicht zur Diskussion stehen. Zur Beurteilung der
Lösungen, die Ernst May zusammen mit seinen deutschen
und russischen Mitarbeitern vorgeschlagen hat, wäre das
Material an Planskizzen, das dem Heft beigegeben ist,
die unentbehrliche Unterlage, und leider ist gerade dieses
Material in so kleinem Maßstabe und mit so unzureichen-
den Erläuterungen wiedergegeben, daß man ihm kaum
irgendwelche Anhaltspunkte entnehmen kann. So bleibt
man auf den Text angewiesen, der sich naturgemäß auf
Andeutungen beschränken muß. Der Gedanke der Band-
stadt ist als General-Planungsidee bevorzugt, so z. B. für
das neue Industriezentrum Magnitogorsk in der Anord-
nung Fluß — Industrie — Eisenbahn — Grüngürtel —
Wohnungen. Allerdings ist May der Auffassung, daß der
Gedanke der Trabantenstadt sich als das höhere Prinzip
erweisen wird, doch sind Streitfragen dieser Art im Range
der Grundfrage nachgeordnet, nämlich: was das eigent-
lich für Städte sind, die dort neu entstehen sollen. Der
Existenzgrund dieser Städte ist die Unterbringung der
Arbeitskräfte für neu geschaffene Industriezentren — sehr
im Gegensatz zur Entstehung fast aller Städte der kapita-
listischen Welt aus Markt, Verkehr und Verwaltungs-
mittelpunkt. Ja man kann fragen, ob das noch wirkliche
Städte sind oder nicht vielmehr ausgedehnte Industrie-
siedlungen, wie sie ja z. B. auch von großen deutschen
Werken schon vor dem Kriege geschaffen wurden. Die
Bandstadt verdeutlicht das recht gut: es gibt in ihr,
wenigstens prinzipiell, nur noch zwei Verkehrsrichtungen,
nämlich die Längsrichtung für die Güterproduktion von
den ankommenden Rohstoffen am einen bis zu den ab-
gehenden Fertigfabrikaten am andern Ende, und die
Querrichtung, in der die Arbeiter aller Grade aus den
Wohnungen in die Werkstätten und zurück strömen.
Unter diesem Aspekt stellt sich auch heraus, daß der
exemplarische Wert dieser russischen Arbeiten für unsere
Verhältnisse relativ beschränkt ist und im wesentlichen nur
für die Anlage von Werksiedlungen gelten kann. Für
unsere Städte im eigentlichen Sinne, als Produkte und
Träger einer Markt- und Verkehrswirtschaft, wird viel-
leicht nicht allzuviel daraus zu lernen sein. Es kommt
hinzu, daß Probleme von Millionenstädten, die ja ihren
eigenen Charakter haben, in den russischen Arbeiten
von May bisher noch nicht behandelt sind.
Von besonderem Interesse, freilich in ganz anderer
Weise, ist das, was May von den wohnungspolitischen
Elementen mitteilt, die sich aus der Ideologie der Sow-
jets ergeben, die Verpflanzung der weiblichen Arbeits-
kraft aus dem Haushalt in die Industrie, die Schaffung
von Verpflegungskombinaten, Halbfertigküchen, Kollek-
tivwohnungen, der Richtungsstreit zwischen Gemäßigten
und Radikalen bezüglich des Grades und des Tempos
der pädagogischen Sozialisierung. Alle diese Probleme,
ausgehend von der Hereinziehung der Frau in den Pro-
duktionsprozeß, klingen auch bei uns an. Aber da wir
nun einmal, mit wieviel Zweifeln auch immer, nach wie
vor in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung leben, so
haben alle diese Probleme für uns ein anderes Gesicht,
und der Erkenntniswert der russischen Arbeiten rückt ins
Akademische.
Wohin geht der Weg?
Unter den Schlägen der Krise ändert sich von Woche
zu Woche die Gestalt aller unserer wirtschaftlichen Ge-
gebenheiten und Fragen. Die Bautätigkeit, schon im
Frühjahr sehr schwach, ist seit der Kreditkrise Mitte Juli
jäh zurückgegangen. Die Großstädte hatten schon im
vergangenen Jahr einen leichten Wanderungsverlust, der
zum Teil sogar durch den Geburtenüberschuß nicht aus-
geglichen wurde und diese Entwicklung, eine vollkom-
mene Umkehr des Gewohnten, hat sich auch im laufenden
Jahr fortgesetzt. Der Markt der städtischen Groß-
wohnungen ist zusammengebrochen, und außerdem hat
auch schon eine Flucht aus den Neubauwohnungen ein-
gesetzt. Der Ertrag der Hauszinssteuer, 1929 noch rund
zwei Milliarden, ist gesunken und dürfte 1931,1932 nur
noch 1,4 Milliarden ausmachen, wovon bestimmungs-
gemäß allerdings ohnehin nur noch 400 Millionen dem
Wohnungsbau zugute kommen. Die Zahl derer, für die
das Wohlfahrtsamt die Miete bezahlen muß, steigt von
Monat zu Monat. Die öffentliche Bautätigkeit ist aus
Mangel an Mitteln aufs äußerste eingeschränkt.
In dieser Situation erhebt die „Baufront" ihre Stimme,
eine Front, in der so gut wie alle am Bauen interessierten
Industrien, das Bauhandwerk, die Verbände der Archi-
tekten und Ingenieure zusammengefaßt sind. Sie fordert
die Fortführung der normalen Bautätigkeit der öffent-
lichen Hand, die volle Durchführung des Wohnungsbau-
programms im laufenden Jahr und den beschleunigten
Abbau von Wohnungszwangswirtschaft und Hauszins-
steuer. Gleichzeitig veröffentlicht ein führender Mann
der Hausbesitzerverbände, Stadtrat Humar, einen Plan
zur Umwandlung der Hauszinssteuer in eine Rente, die
dem Staat nur noch 300 statt 1400 Millionen jährlich
bringen soll. Die Hypothekenbanken haben sich bereit
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