Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

DOI Artikel:
Lotz, Wilhelm: Die Tarnkappe der Technik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0413

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Tarnkappe der Technik

WILHELM LÖTZ

Die Begeisterung für die Technik, die sich oft
bis zu einer Vergötterung steigert, ist ebenso alt
wie die Verdammung der Technik. Walter Riezler
weist in seiner Besprechung dreier Bücher über
„Technik" in diesem Heft darauf hin, daß die
Frage nach der kulturfördernden oder kulturfeind-
lichen Rolle der Technik mit der Einstellung zur
Frage des Fortschritts in der Menschheits-
geschichte zusammenhängt. Die großen geistigen
Bewegungen der letzten drei Jahrhunderte, die
Naturrechtsphilosophie, der Humanismus, die
Aufklärung, die Romantik, haben in ihren Grund-
zügen engste Berührung mit der gefühlsmäßigen
Einstellung des Menschen zu der Frage, ob eine
fortschreitende technische Eroberung und eine
systematische Durchformung alles dessen, was
der Mensch schafft, zum Segen der Menschheit
ausschlägt oder nicht. Im frühen 19. Jahrhundert
zur Zeit der Frühgeschichte der Parteienbildung
spielt der Fortschrittsglaube wiederum eine
große Rolle. In der Literatur der dreißiger Jahre
findet man oft den Satz von den völkerverbin-
denden fortschrittfördernden Schienenwegen.
Daß gerade heute die geistige Auseinander-
setzung mit der Technik in unserem Denken eine
große Rolle spielt, wissen wir alle, und wir sehen
es aus den von Riezler besprochenen Büchern.

Die eigentliche Kernfrage jeglicher Ausein-
andersetzung mit der Technik ist, wie es auch
Riezlers Besprechung deutlich zeigt, die fol-
gende: Ist die Technik eine Macht mit
eigener, ungezügelter, nur aus sich selbst her-
aus genährter Kraft, die in die Menschheits-
geschichte eingebrochen ist wie eine Natur-
gewalt? Oder ist sie Dienerin der Menschheits-
entwicklung, Werkzeug des Fortschritts, Werk-
zeug des geistigen Strebens und Wollens? Diese
Frage berührt uns gerade in diesen Zeiten be-
sonders stark. Man könnte fast sagen, gerade
in diesen Tagen, denn sie tritt überall bei den
realsten und aktuellsten Tagesfragen auf. Um
nur ein Beispiel zu nennen: Angesichts der
großen Wirtschaftskrise, angesichts der gewal-
tigen Erwerbslosenziffern, angesichts der im
Augenblick viel erörterten Fragen der Ansied-
lung Erwerbsloser drängt sich jedem, auch dem,
der sich bisher um diese Probleme nicht geküm-
mert hat, die Frage auf, ob das alles nicht letzt-
hin die Krise der Technik ist, ob das alles nicht
hervorgerufen wurde durch die von der Entwick-

lung der Technik angetriebene und der moder-
nen Wirtschaft unterstützte Rationalisierungs-
tendenz der technischen Produktion. Scheint es
nicht so, als ob die Entwicklung der Technik und
der Wirtschaft gewissermaßen aus den Händen
der Menschen herausgeglitten ist, sich selb-
ständig gemacht hat und so nicht mehr Werk-
zeug ist, sondern ungezügelte Kraft, ausgelöst
und gefördert durch die wahnwitzige Begeiste-
rung der Menschen dieses Jahrhunderts für die
Macht der Technik?

Um zu diesen Fragen Stellung nehmen zu kön-
nen, ist es fördernd, auch an die Literatur zu
denken, genauer gesagt, an jene in literarische
Form gekleideten Wunschträume einzelner Men-
schen, die doch kaum nur als einzelne Stimmen
gewertet werden müssen, sondern als Ausdruck
breiter Willens- und Wunschströmungen. Man
denke zuerst an uralte Menschheitssagen. An
die Ikarus-Legende und an den geheimen
Wunsch, der sich in vielen Sagen und Märchen
spiegelt, fernsprechen und fernsehen zu können.
Man denke an Jules Verne, der seine phantasti-
schen Romane in den sechziger Jahren, in der
Frühzeit der modernen Technik, schrieb. Von
jenen uralten Menschheitsträumen her gesehen,
sehen wir die Technik als Erfüllung, als Werk-
zeug, als Dienerin geheimer Wünsche.

Nehmen wir einmal einen ganz anderen Blick-
punkt ein, nämlich von der modernen Hausfrau
her. Sie benutzt in ihrem Haus, in der Küche die
technischen Apparate, um sich die Arbeit zu er-
leichtern, um dadurch mehr Zeit für freie Betäti-
gung oder auch für die Familie und die Kinder
zu bekommen. Und doch hören wir im Alltag
oft Klagen über die technischen Erfindungen,
über die Schnelligkeit des Tempos, über die
Hetze in der Großstadt. Und viele behaupten,
man würde glücklicher leben, wenn alle diese
Erfindungen nicht gemacht worden wären. So
erkennen wir überall jenes doppelte Gesicht der
Technik und finden selbst im Alltag die Stellung-
nahme für oder gegen den Wert der Technik
für den Menschen.

Diese Einleitung scheint mit unserem Thema
fast nichts zu tun zu haben, denn wir haben
uns ja hier nur mit der Formenwelt der Technik
zu befassen. Aber dennoch werden wir, wenn
wir uns die augenblickliche Lage klarmachen,
bemerken, daß der Punkt der Entwicklung, an

401
 
Annotationen