versität angehört — hier unternimmt, ist nichts Geringeres
als der Versuch, von der Seite der Volkswirtschaft aus
die Zusammenhänge zu erhellen, die zwischen den wirt-
schaftlichen und künstlerischen Erscheinungen einer be-
stimmten Epoche, in diesem Falle des späten Mittelalters,
bestehen. Man tritt diesem Versuch mit um so größerer
Spannung entgegen, als ja hier mit der „soziologischen"
Fragestellung dasjenige Problem angerührt zu sein
scheint, das angeblich — nach der Meinung der
„Marxisten" — im Zentrum jeder Ästhetik stehen müßte.
Nun ist es bekanntlich mit der Berufung auf Marx so
eine Sache: nicht nur die Gegner des Marxismus haben
in der Regel keine Ahnung davon, was Karl Marx eigent-
lich gesagt und gemeint hat, sondern auch die An-
hänger schieben ihm Meinungen in die Schuhe, an die er
nie gedacht hat. So steht es auch mit der sogenannten
„soziologischen Ästhetik", die ja nach der Überzeugung
der konsequenten Marxisten, vor allem der Russen, die
einzig mögliche und zu realen Ergebnissen führende sein
soll. Nun hört man freilich, daß die schon vor Jahren in
Rußland eingesetzte Kommission, die die soziologischen
Grundlagen der Kunstentwicklung feststellen sollte, nach
langwieriger Arbeit aufgelöst wurde, weil sie nur fest-
stellen konnte, daß die Kunst von den soziologischen
Bedingungen in hohem Grade unabhängig sei. Und
das ist auch nicht weiter wunderbar, da ja jene sozio-
logische These nur aus dem populären Marxismus
stammt, während Marx und Engels ganz anderer Mei-
nungen waren: „Es ist nicht so, daß die ökonomische
Lage als Ursache allein aktiv ist und alles andere nur
passive Wirkung, sondern es ist Wechselwirkung auf
Grund der in letzter Instanz sich durchsetzenden öko-
nomischen Notwendigkeiten" (zitiert von Fr. W. Seiwert
in „A bis Z" Nr. 17). Dies läßt sich sehr wohl hören;
und wenn dieser Satz besser bekannt wäre, so blieben
wir von manchem Unsinn verschont, der sich in den
letzten Jahren unter dem Schutze des pseudo-marxisti-
schen Dogmas breitgemacht hat.
Um so wichtiger ist es nun, wenn ein ernsthafter, nicht
dogmatisch gebundener Soziologe den Versuch unter-
nimmt, die tatsächlichen Beziehungen zwischen wirtschaft-
lichen und künstlerischen Erscheinungen vorurteilslos zu
untersuchen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn
der Soziologe nicht nur über das kunstgeschichtliche
Wissen eines Dilettanten verfügt, sondern auch auf dem
Gebiete der Kunst zu selbständigen Urteilen fähig ist.
Dies ist bei Bechtel ganz offenbar der Fall — jedenfalls
weiß er nicht nur in der betreffenden kunstgeschichtlichen
Literatur gut Bescheid, sondern hat auch Urteil genug,
um das Wesentliche und für sein Problem Entscheidende
von dem Unwesentlicheren zu unterscheiden. Trotzdem
wird deutlich genug, daß sein eigentliches Forschungs-
gebiet die Wirtschaftsgeschichte ist — was sich schon
daraus erkennen läßt, daß den kunstgeschichtlichen Er-
örterungen verhältnismäßig nur ein kleiner Teil des
Buches eingeräumt ist. Trotzdem aber ist die ver-
gleichende Betrachtung der beiden Gebiete äußerst
fruchtbar: es ist Bechtel unzweifelhaft der Nachweis
gelungen, daß zwischen den beiden Gebieten nicht nur
äußerliche und zufällige, daher vorübergehende Be-
ziehungen, sondern tiefe und grundsätzliche Ent-
sprechungen bestehen.
Bechtel sieht mit Recht in der um 1350 einsetzenden
Spät- oder „Sondergotik" etwas grundsätzlich Neues,
das er mit ganz bestimmten um diese Zeit einsetzenden
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen in
Beziehung setzt. Die um diese Zeit beginnende Wen-
dung von der basilikalen Kirchenform zur Hallenkirche
ist für ihn Symptom einer Erstarkung der bürgerlichen
Gesellschaft, die sich nun dem Klerus gegenüber ganz
anders als früher behauptet — nicht im Gegensatz zu
ihm, aber sich ihm auch nicht völlig unterordnet. Und
ebenso sieht er in der gleichzeitigen Hinneigung der
Malerei zu einer größeren „Realistik", d. h. zu einer
intensiveren Beobachtung der „wirklichen" Welt, den
Beweis eines allmählichen Erwachens des Einzel-
menschen, der gleichzeitig auch im Wirtschaftsleben all-
mählich zu immer größerer Geltung gelangt. Wie sich
um diese Zeit die Zünfte allmählich immer mehr aus den
alten Bindungen lösen und wirtschaftliche und mensch-
liche Selbständigkeit erringen, lösen sich gleichzeitig
auch aus der Masse der Handeltreibenden die Einzel-
persönlichkeiten der „Großhändler" heraus, die sich als
echte Individualitäten in der Uberlieferung der Archive
zu erkennen geben. Und hierbei ist es besonders
wichtig, daß Bechtel, weit entfernt, alles soziologisch
erklären zu wollen, ausdrücklich den Künstlern eine füh-
rende Rolle zuerkennt: er ist überzeugt, daß in dieser
Zeit der Umwälzung und Neuentdeckung die Künstler,
vor allem die einer neuen Naturanschauung hingegebenen
Maler es waren, die den Zeitgenossen erst das Auge für
das Neue öffneten. Vielleicht geht das zu weit und ist
es richtiger, das tatsächlich Wirkende in einer tieferen
Schicht zu sehen, in der alles das verwurzelt ist, was
damals den Menschen, seien sie nun Künstler oder Kauf-
leute, geschah. Vielleicht ist es zu sehr von der Gegen-
wart aus gesehen, wenn man gerade den Künstlern —
die damals doch immer noch handwerklich gebunden
waren — allein zutraut, daß sie das Neue sahen und
zur Gestaltung brachten. Aber wichtiger als dieser
Einwand ist die Feststellung, daß hier in der Tat zum
erstenmal nicht von einem Dilettanten, sondern von
einem ernsten Wissenschaftler der Versuch gemacht
wurde, so heterogene Gebiete wie es Wirtschaft und
Kunst sind, durch eine gemeinsame Betrachtung zu-
sammenzufassen — und daß dieser Versuch gleich das
erstemal so erstaunlich gut gelungen ist.
W. Riezler
Baupolitik und Bauwirtschaft
In dieser Zeit der Notverordnungen muß man auf
Referentenentwürfe für Gesetze schärfer aufpassen als
früher, wenn man nicht eines Morgens durch die fertige
Existenz eines neuen Rechtszustandes überrascht werden
will. Immerhin wurde, was dankbar anzuerkennen ist,
der Entwurf für ein Reichsstädtebau-
gesetz, durch den nach Absicht des Arbeits-
ministeriums der ältere Entwurf eines Baulandgesetzes
ersetzt werden soll, in Nr. 32 des Reichsarbeitsblattes
veröffentlicht und so der Erörterung zugänglich gemacht,
und außerdem wird der Wohnungsausschuß des Reichs-
tages sich bereits mit dem Entwurf beschäftigt haben,
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als der Versuch, von der Seite der Volkswirtschaft aus
die Zusammenhänge zu erhellen, die zwischen den wirt-
schaftlichen und künstlerischen Erscheinungen einer be-
stimmten Epoche, in diesem Falle des späten Mittelalters,
bestehen. Man tritt diesem Versuch mit um so größerer
Spannung entgegen, als ja hier mit der „soziologischen"
Fragestellung dasjenige Problem angerührt zu sein
scheint, das angeblich — nach der Meinung der
„Marxisten" — im Zentrum jeder Ästhetik stehen müßte.
Nun ist es bekanntlich mit der Berufung auf Marx so
eine Sache: nicht nur die Gegner des Marxismus haben
in der Regel keine Ahnung davon, was Karl Marx eigent-
lich gesagt und gemeint hat, sondern auch die An-
hänger schieben ihm Meinungen in die Schuhe, an die er
nie gedacht hat. So steht es auch mit der sogenannten
„soziologischen Ästhetik", die ja nach der Überzeugung
der konsequenten Marxisten, vor allem der Russen, die
einzig mögliche und zu realen Ergebnissen führende sein
soll. Nun hört man freilich, daß die schon vor Jahren in
Rußland eingesetzte Kommission, die die soziologischen
Grundlagen der Kunstentwicklung feststellen sollte, nach
langwieriger Arbeit aufgelöst wurde, weil sie nur fest-
stellen konnte, daß die Kunst von den soziologischen
Bedingungen in hohem Grade unabhängig sei. Und
das ist auch nicht weiter wunderbar, da ja jene sozio-
logische These nur aus dem populären Marxismus
stammt, während Marx und Engels ganz anderer Mei-
nungen waren: „Es ist nicht so, daß die ökonomische
Lage als Ursache allein aktiv ist und alles andere nur
passive Wirkung, sondern es ist Wechselwirkung auf
Grund der in letzter Instanz sich durchsetzenden öko-
nomischen Notwendigkeiten" (zitiert von Fr. W. Seiwert
in „A bis Z" Nr. 17). Dies läßt sich sehr wohl hören;
und wenn dieser Satz besser bekannt wäre, so blieben
wir von manchem Unsinn verschont, der sich in den
letzten Jahren unter dem Schutze des pseudo-marxisti-
schen Dogmas breitgemacht hat.
Um so wichtiger ist es nun, wenn ein ernsthafter, nicht
dogmatisch gebundener Soziologe den Versuch unter-
nimmt, die tatsächlichen Beziehungen zwischen wirtschaft-
lichen und künstlerischen Erscheinungen vorurteilslos zu
untersuchen. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn
der Soziologe nicht nur über das kunstgeschichtliche
Wissen eines Dilettanten verfügt, sondern auch auf dem
Gebiete der Kunst zu selbständigen Urteilen fähig ist.
Dies ist bei Bechtel ganz offenbar der Fall — jedenfalls
weiß er nicht nur in der betreffenden kunstgeschichtlichen
Literatur gut Bescheid, sondern hat auch Urteil genug,
um das Wesentliche und für sein Problem Entscheidende
von dem Unwesentlicheren zu unterscheiden. Trotzdem
wird deutlich genug, daß sein eigentliches Forschungs-
gebiet die Wirtschaftsgeschichte ist — was sich schon
daraus erkennen läßt, daß den kunstgeschichtlichen Er-
örterungen verhältnismäßig nur ein kleiner Teil des
Buches eingeräumt ist. Trotzdem aber ist die ver-
gleichende Betrachtung der beiden Gebiete äußerst
fruchtbar: es ist Bechtel unzweifelhaft der Nachweis
gelungen, daß zwischen den beiden Gebieten nicht nur
äußerliche und zufällige, daher vorübergehende Be-
ziehungen, sondern tiefe und grundsätzliche Ent-
sprechungen bestehen.
Bechtel sieht mit Recht in der um 1350 einsetzenden
Spät- oder „Sondergotik" etwas grundsätzlich Neues,
das er mit ganz bestimmten um diese Zeit einsetzenden
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen in
Beziehung setzt. Die um diese Zeit beginnende Wen-
dung von der basilikalen Kirchenform zur Hallenkirche
ist für ihn Symptom einer Erstarkung der bürgerlichen
Gesellschaft, die sich nun dem Klerus gegenüber ganz
anders als früher behauptet — nicht im Gegensatz zu
ihm, aber sich ihm auch nicht völlig unterordnet. Und
ebenso sieht er in der gleichzeitigen Hinneigung der
Malerei zu einer größeren „Realistik", d. h. zu einer
intensiveren Beobachtung der „wirklichen" Welt, den
Beweis eines allmählichen Erwachens des Einzel-
menschen, der gleichzeitig auch im Wirtschaftsleben all-
mählich zu immer größerer Geltung gelangt. Wie sich
um diese Zeit die Zünfte allmählich immer mehr aus den
alten Bindungen lösen und wirtschaftliche und mensch-
liche Selbständigkeit erringen, lösen sich gleichzeitig
auch aus der Masse der Handeltreibenden die Einzel-
persönlichkeiten der „Großhändler" heraus, die sich als
echte Individualitäten in der Uberlieferung der Archive
zu erkennen geben. Und hierbei ist es besonders
wichtig, daß Bechtel, weit entfernt, alles soziologisch
erklären zu wollen, ausdrücklich den Künstlern eine füh-
rende Rolle zuerkennt: er ist überzeugt, daß in dieser
Zeit der Umwälzung und Neuentdeckung die Künstler,
vor allem die einer neuen Naturanschauung hingegebenen
Maler es waren, die den Zeitgenossen erst das Auge für
das Neue öffneten. Vielleicht geht das zu weit und ist
es richtiger, das tatsächlich Wirkende in einer tieferen
Schicht zu sehen, in der alles das verwurzelt ist, was
damals den Menschen, seien sie nun Künstler oder Kauf-
leute, geschah. Vielleicht ist es zu sehr von der Gegen-
wart aus gesehen, wenn man gerade den Künstlern —
die damals doch immer noch handwerklich gebunden
waren — allein zutraut, daß sie das Neue sahen und
zur Gestaltung brachten. Aber wichtiger als dieser
Einwand ist die Feststellung, daß hier in der Tat zum
erstenmal nicht von einem Dilettanten, sondern von
einem ernsten Wissenschaftler der Versuch gemacht
wurde, so heterogene Gebiete wie es Wirtschaft und
Kunst sind, durch eine gemeinsame Betrachtung zu-
sammenzufassen — und daß dieser Versuch gleich das
erstemal so erstaunlich gut gelungen ist.
W. Riezler
Baupolitik und Bauwirtschaft
In dieser Zeit der Notverordnungen muß man auf
Referentenentwürfe für Gesetze schärfer aufpassen als
früher, wenn man nicht eines Morgens durch die fertige
Existenz eines neuen Rechtszustandes überrascht werden
will. Immerhin wurde, was dankbar anzuerkennen ist,
der Entwurf für ein Reichsstädtebau-
gesetz, durch den nach Absicht des Arbeits-
ministeriums der ältere Entwurf eines Baulandgesetzes
ersetzt werden soll, in Nr. 32 des Reichsarbeitsblattes
veröffentlicht und so der Erörterung zugänglich gemacht,
und außerdem wird der Wohnungsausschuß des Reichs-
tages sich bereits mit dem Entwurf beschäftigt haben,
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